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Dialog an Weihnachten

Frohe Weihnachten und schöne Feiertage an all meine Freunde und Leser und ein frohes und gelungenes neues Jahr!

Quelle: pinterest

Die Abbildung auf der Weihnachtskarte rechts hat mich zu einem kleinen Dialog inspiriert, wie er sich heute zwischen den heiligen drei Königen und einem palästinensischen Polizisten/UN-Funktionär/Menschenrechtsaktivisten/Journalisten anhören könnte…


„Soso, nach Judäa wollen Sie. Judäa, das gibt es nicht. Es heißt Palästina. Wohin wollen Sie denn genau?“
„Nach Bethlehem.“
„Und wen suchen Sie dort?“
„Den neugeborenen jüdischen Jungen, Jesus heißt er. Ist mit seiner Familie dort.“
„Jüdisch? Juden sind hier in Judäa illegal, wissen Sie das nicht? Und wenn sie sich in Bethlehem aufhalten, machen sie sich strafbar!“
„Oh…“
„Außerdem kann es für Sie unangenehm werden, wenn Sie die Leute in Bethlehem nach einem Juden fragen. Wie heißen die Juden nochmal, sagen Sie?“
„Maria und Josef. Das Neugeborene heißt Jesus.“
„Kaum zu glauben. Hat es doch eine Siedlerfamilie geschafft, sich illegal in der Stadt einzunisten… Seien Sie vorsichtig. Sonst werden Sie noch für welche von ihnen gehalten…“

Quelle: online

 

 

NEWS: Zum Tod von Shimon Peres

Ex-Praesident Israels Shimon Peres (1923-2016).
Ex-Praesident Israels Shimon Peres (1923-2016).

Heute nacht (28.09.16) verstarb Shimon Peres, der neunte Praesident des Staates Israel, ehemaliger Premierminister und eine zentrale politische Figur in der Geschichte des Staates Israel und des Friedensprozesses zwischen Israel und den Palaestinensern, an den Komplikationen nach einem Hirnschlag, welchen er vor etwas zwei Wochen erlitt. Shimon Peres verstarb im Alter von 93 Jahren.

Fuer die Vertreter der Ideologie, welche Judaea und Samaria als Teil des Landes Israel sieht und als legitimen Teil des Staates Israel sehen moechte und an des Recht von Juden, in Judaea und Samaria legitim zu leben, glauben, war Shimon Peres eine schwierige und kontroverse Persoenlichkeit. Auch fuer diejenigen innerhalb der israelischen Gesellschaft – und diese Meinungen haeufen sich im Laufe der Jahre -, die die Osloer Vertraege, die Gruendung der Palaestinensischen Auronomiebehoerde und der Aufteilung des Landes ins Leben riefen, als einen historischen Fehler ansehen, ist es schwierig, sich der allgemeinen Trauerwelle aufrichtig anzuschliessen, aehnlich wie zur Zeit des Mordes an Yitzhak Rabin und dem Tod von Ariel Sharon. Es ist keine leichte Beziehung, die ein grosser und nicht zu ignorierender Teil der israelischen Bevoelkerung mit diesem zweifelsfrei grossen Politiker fuehrte.

Shimon Peres beim Besuch von Sebastia, 1975. Foto:  NRG
Shimon Peres beim Besuch von Sebastia, 1975. Foto: NRG

Fuer die Siedlerbewegung hatte Peres eine wichtige Bedeutung zur Zeit des Rueckkehr und des Aufbaus von juedischen Gemeinden ab dem Jahr 1975 in Samaria, namentlich bei dem ersten Aussenposten in Samaria und die Jahre danach. Peres unterstuetzte die Anfuehrer der Bewegung „Gush Emunim“ in ihrem Bestreben, Juden nach Samaria zu bringen, welches nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 von

Shimon Peres und Kinder bei dem Vorposten Sebastia, 1975. Foto: NRG
Shimon Peres und Kinder bei dem Vorposten Sebastia, 1975. Foto: NRG

der jordanischen Besetzung befreit worden war und die israelische Armee die Kontrolle ueber das Gebiet uebernahm. Damals fungierte Shimon Peres als Verteidigungsminister in der Regierung von Yitzhak Rabin. Er besuchte die ersten Siedler und sprach sich fuer Sebastia aus. Erste Ende der 80er Jahre wandte er sich oeffentlich gegen die Siedlerbewegung und von dann an wurde er zunehmend

zu einem erklaerten Gegner der juedischen Besiedelung von Judaea und Samaria, was auch seine Position im Bezug auf die Osloer Vertraege erklaert.

 

Mehr zu den Protokollen und Peres‘ Rolle fuer die Juden von Judaea und Samaria werde ich hoffentlich in einem ausfuehrlichen Beitrag schreiben. Moege Shimon Peres in Frieden ruhen, oder, wie in der juedischen Tradition auch gesagt wird, „gelobt sei der Wahre Richter“.

 

Meinungen zur Zweistaatenlösung und Die Siedlerin

Oliver Vrankovic. Quelle: Facebook
Oliver Vrankovic. Quelle: Facebook

Oliver Vrankovic, seines Zeichens deutschsprachiger Blogger aus Ramat Amidar nahe Tel Aviv, berichtet über spannende und wissenswerte Dinge aus der Geschichte und Kultur Israels. Oft sind auch politische Anmerkungen dabei. In der zweiteiligen Beitraggserie „Zwei-Staaten-Lösung“ stellt er verschiedene Meinungen von Israelis aus den unterschiedlichsten Milieus zu dem Thema dar. Dabei kommen zahlreiche Personen „vom Fach“ zur Sprache – Politiker, soziale Aktivisten von früher und heute und Zeitzeugen.

Im Rahmen der Serie interviewte Oliver auch mich –  natürlich zum Thema Siedlungen, Gush Etzion, israelische Souveränität in Judäa und Samaria und meine persönliche Geschichte. Auch mit einem kichererbsenchayaAktivisten der „Roots“-Friedensbewegung spricht Oliver, Myron Joshua aus Kfar Etzion, und dieser weiß auch mir und sicherlich euch Neues hinzuzufügen und zu berichten – beispielsweise aus dem Alltag der arabischen Bevölkerung von Gush Etzion. Beide Beiträge (Teil 1 und 2) sind sehr zu empfehlen. Nachfolgend der Link zum Bericht über mich:

→ Die Siedler von Gush Etzion- der Kichererbsenblog

Bibel- und geschichtsfest erklärt sie, dass Jerusalem und Hebron über Jahrhunderte hinweg die zwei wichtigsten kulturellen Zentren des Judentums gewesen seien (…). In all ihrem Wissen wurzelt ihre Anschauung.

(…) Für Chaya ist die Agenda einer Zwei Staaten Lösung ein Hirngespinst. Sie verweist auf Ben Dror Yemini, der die Realisierung eines palästinensischen Staates unter den Bedingungen des Nahen Ostens heute für unmöglich erachtet. (…) Sie diene einzig der Diskreditierung der Siedler als Friedenshindernis. Wer in Israel predige, sich für den Frieden von den Palästinensern abzukoppeln, ignoriere die Lehren des Rückzugs aus Gaza und die Veränderungen in der arabischen Welt. Ein friedfertiger palästinensischer Staat sei eine Illusion. (…)

So wie sie selbst voll hinter der jüdischen Präsenz im biblischen Kernland der Juden steht, anerkennt sie die arabische Präsenz. Sie ist gegen Landraub, gegen die Forderungen von extremistischen Siedlern, die Palästinenser zu deportieren.
Gleichzeitig spricht sie sich gegen die Fortsetzung der Militärbesatzung aus. Die Zivilverwaltung durch die Militärbesatzung in den C-Gebieten, so sagt sie, schade mit ihren Restriktionen den Juden und den Palästinensern.

 

Zum Weiterlesen: Palästinenser – von der Macht eines Wortes

Der Publizist Tomas Spahn auf der Meinungsplattform Roland Tichy in einer knappen, prägnanten und historisch dennoch sehr umfassenden Übersicht über die Entstehung des Begriffs „Palästinenser“ und die Rolle der – deutsche Medien, natürlich, wie könnte die moderne Geschichte ohne sie… Auch mir hat Tomas Spahn einige neue Fakten offenbart, und wer sich auf diese Übersicht nicht verlassen will, kann sich gerne die Erstquellen vornehmen und wird sich bestätigt wissen. Wie es heißt, „wer suchet, der findet“.  ( Für den Linktipp danke ich IK. )


 

Von der Macht eines Wortes Oder Als der SPIEGEL die Palästinenser erfand

Tomas Spahn, 22.03.2016

Palästinenser – ein Volk? Ja, vielleicht. Vor 3.000 Jahren … Über die Legende der Palästinenser und wie deutsche Medien ein Volk erfanden.

Palästina ist ein Begriff, der bis weit in die Vergangenheit reicht. Er findet sich erstmals im Tanach als Bezeichnung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, mit denen die frühen Hebräer des Öfteren zu tun hatten: Den Philistern – oder besser: Phéléshétjm (F-L- Sh-T-J-M).

Von den Philistern zu Palästina

Féléshétjm, das waren jene überwiegend in Städten wohnenden Menschen, mit denen die damals noch in Sippen lebenden inländischen Semiten regelmäßig Probleme hatten. Die Geschichte von Simson und Delilah ebenso wie die Legende von David und Goliath sind herausragende Beispiele, wie dieser Konflikt in das Alte Testament Einzug gehalten hat.

Doch zwischen Féléshétijm und Hebräern gab es durchaus auch friedliche Phasen der Koexistenz. Die häufig noch als Nomaden durch das Land ziehenden Sippen gingen zum Handel in die Städte der „Palästiner“, einige sogar siedelten sich dort an, wurden zu wohlhabenden Menschen – und wurden dennoch von den Küstenstädtern argwöhnisch beäugt. Bekannt sind auch Vertragsabschlüsse zwischen den Stadtführern und den Nomaden über die Nutzung von Wasserstellen – für die Nomaden von existentieller Bedeutung.

All das findet sich berichtet im Tanach. Israels Archäologen, allen voran Israel Finkelstein, haben mit ihren Forschungen weiteres Licht in die Geschichte gebracht und kamen zu der Überzeugung, dass jene Féléstétjm auch die „Kanaanäer“ (Kénýnjm) des Alten Testaments waren. Und dass aus Kanaanern und Hebräern im Laufe der Zeit jene Völker wurden, die im antiken Israel und Jahudah lebten.

Als die Griechen in Folge der militärischen Invasion des Alexander die Herrschaft über den Landstrich übernahmen, bedienten sie sich des altsemitischen Begriffs der „Féléshétjm“ und es entstand Παλαιστίνη – Palaistinéh. Als die Römer 63 vc die jüdischen Priesterkönige der Hasmönäer, deren Vorfahren 167 vc den unabhängigen Staat Judäa gegründet hatten, entmachteten und zurück in die Tempel schickten, übernahmen sie erst einmal die jüdische Bezeichnung. Roms neue Provinz im fernen Orient bekam im Jahre 6 nc von Kaiser Augustus den Namen Judaea. Doch da die ortsansässigen Juden ein aufmüpfiges Volk waren und Rom mit wenig humanen Mitteln einen dritten Aufstand um Bar Kochba erst 135 nc abschließend niederschlagen konnte, wollten die römischen Besatzer nun alles tilgen, was an die Juden erinnerte. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in der menschlichen Geschichte sollte jegliche Erinnerung an eine im Kampf unterlegene Gruppe final ausradiert werden.

Roms Kaiser Hadrian ließ daher das antike Jerusalem schleifen und es als Aelia Capitolina neu aufbauen. Die Provinz Judaea wurde im Rückgriff auf jene jüdischen Gegner der Kupferzeit in Palaestina umbenannt.

Kein jordanisches Palästina, kein palästinensisches Israel

Diese Maßnahme der siegreichen Kolonialherren der Antike wirkt bis heute. Denn als nach dem großen Waffengang der europäischen Imperien das 636 nc von den arabischen Gotteskriegern zwangsislamisierte Gebiet 1920 nc völkerrechtlich aus dem osmanischen Herrschaftsbereich herausgelöst wurde, griffen die poströmischen Sieger Großbritannien und Frankreich erneut auf die altsemitisch-griechisch-römische Bezeichnung zurück. Es entstand das Mandatsgebiet „Palestine“ oder Palästina, welches nun auch kurzfristig das Gebiet jenseits des Jordan umfasste und in dem – gemäß alliierter Zusage – eine Heimstatt auch für Juden geschaffen werden sollte.

Doch bereits 1923 wurde das Mandatsgebiet wieder geteilt und es entstanden Cisjordanien – im Wesentlichen das heutige Israel und Gaza – sowie Transjordanien. Für dieses Protektorat hatten die Briten bereits 1921 Abd Alah ibn Husain, Sohn des von den Sa’ud vertriebenen Sherif von Mekka, als Emir eingesetzt. Der wurde am 25. Mai 1946 König des in die Unabhängigkeit entlassenen Jordaniens und wegen seiner kooperativen Haltung gegenüber dem jungen Staat Israel am 20. Juli 1951 in Jerusalem von einem arabischen Extremisten ermordet. Heute ist Abd Alahs Urenkel Abd Alah bin al-Husein König des Steppenstaates – nach wie vor ein enger Verbündeter des Westens und liberaler Muslim.

So wurde schon mit der Teilung des Mandatsgebietes der antike Begriff Palästina wieder reduziert auf jene klassische Region zwischen Mittelmeer und Jordan. Ein „palästinensisches“ Jordanien, in dem die „Organisation zur Befreiung Palästinas“ – kurz PLO – 1970 mit syrischer Unterstützung einen Bürgerkrieg entfachte und von den Truppen des damaligen jordanischen Königs unter der Führung des aus Cisjordanien/Judäa stammenden Muhamad Daud bis Juli 1971 aus dem Land gejagt worden war, hat es niemals gegeben.

Die Eindringlinge

Aber – gab es nun ein cisjordanisches Palästina? Am 29. November 1947 hatten die Vereinten Nationen mit Resolution 181 (II) die Teilung Cisjordaniens in zwei demokratisch zu organisierende Staaten beschlossen. Der eine dieser zwei Staaten wurde nach dem Abzug der britischen Mandatstruppen am 14. Mai 1948 als Israel proklamiert und ist – trotz zahlreicher Versuche seiner Nachbarn, ihn auszulöschen – bis heute die einzig funktionierende Demokratie in der Region. Die nach den arabischen Angriffskriegen verbliebenen, nicht–israelischen Gebiete der römischen Provinz Palaestina werden heute autoritär entweder von der Hamas oder der PLO verwaltet – und diese haben mangels eigener historischer Identität sich den altsemitischen Begriff der Féléshétjm zu eigen gemacht, um damit ihren Anspruch auf das ehemalige Mandatsgebiet Cisjordanien zu begründen.

Das lässt es zweckmäßig erscheinen, noch einmal einen Blick auf die historischen Wurzeln des Begriffs „Palästina“ zu werfen – und zu einem für seine heutigen Anspruchserheber möglicherweise irritierenden Ergebnis zu kommen. Denn der altsemitisch-hebräische Begriff des „Féléshétjm“ lässt sich unschwer auf das Peh-Lamed-Shin des hebräischen Alphabets zurückführen. Félésh – das steht im Ivrit bis heute für „eindringen“. Féléshétjm – das waren für die Autoren des Tanach nichts anderes als „Eindringlinge“.

Historisch lässt sich das gut nachvollziehen, denn zwischen 1200 und 1000 vc kam es im östlichen Mittelmeerraum zu einer Völkerwanderung von Nordwest nach Südost, in deren Zuge nicht nur das vermutlich hethitische Troja vernichtet wurde, sondern die mit den in ägyptischen Archiven als „Seevölker“ beschriebenen Migranten mit militärischer Gewalt Siedlungsraum an den Küsten Ostägyptens und dem heutigen Israel erobern wollten. Die antiken Städte der Philister von Gaza bis Ekron waren ebenso Ergebnis dieser Völkerwanderung wie die Küstenstädte des heutigen Libanon.

Selbstverständlich waren diese Migranten für die ortsansässige Bevölkerung „Eindringlinge“ – und so ist es naheliegend, dass der Tanach dann, wenn er von „Féléshétjm“ spricht, tatsächlich „Eindringlinge“ und nicht etwa „Palästinenser“ meint. Die Küsten des kupferzeitlichen „Palästina“, das damals mangels Féléshétjm noch nicht so genannt werden konnte, wurden von einer Welle möglicherweise durch dorische Kriegsflüchtlinge oder klimatisch bedingte Hungerflüchtlinge erfolgreich übernommen. Eines allerdings waren diese aus hebräischer Sicht seinerzeit „echten“ Palästinenser zu keinem Zeitpunkt: Araber. Sie waren nicht einmal Semiten, sondern werden sich erst im Laufe der Jahrhunderte mit den ortsansässigen Semiten vermischt haben.

Viele unterschiedliche Menschen – keine Palästinenser

Als der britische Agent Thomas E. Lawrence zwischen 1917 und 1918 den Kampf des Sherif von Mekka gegen die Osmanen organisierte, kam er auch in die Region des heutigen Israel. Dort traf er auf zahlreiche Menschen unterschiedlichster Identität. Auf muslimische Araber und von Russland vertriebene Tscherkessen. Auf christliche Armenier und Aramäer. Auf Juden und sogar auf Berber, die in Folge der Niederschlagung des Aufstandes des Panarabisten Abd al’Qadir aus dem französischen Algerien in das Osmanische Reich geflüchtet waren. Auch gab es in den Gebieten zwischen Mittelmeer und Jordan nach wie vor Drusen und Maroniten. Eines allerdings gab es nicht: Palästinenser.

Und das blieb auch so – bis 1968 ein 1929 in Kairo geborener Araber dem deutschen Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ ein Interview gab. Dieser ägyptische Araber hatte 1957 als Fremdarbeiter in Kuwait eine Untergrundbewegung gegründet, die sich den Namen „Organisation zur Befreiung Palästinas“ gab. Sein Name lautete Yasir Arafat, Sohn der Verbindung eines aus Gaza stammenden Vaters und einer aus Jerusalem stammenden Mutter, die in den 1920er Jahren nach Kairo gezogen waren.

Abu Ammar und die arabische Nation

Als sich dieser Arafat 1968 erstmals mit dem SPIEGEL-Redakteur Helmut Sorge traf, nannte sich der frühere Muslimbruder Abu Amar und war Kopf einer Terrormiliz, die sich – so der Hinweis der Magazins – die Befreiung „Palästinas“ zum Ziel gesetzt hatte. Abu Amar Arafat spricht in dem Interview, das irgendwo in Jordanien nahe der Grenze zu Israel geführt wurde, laut deutscher Übersetzung von „arabischen Soldaten“, die „das Volk“ befreien werden. Er betrachtete sich laut dieser Übersetzung als Sprecher „unseres palästinensischen Volkes“ und „Vertreter des arabischen Volkes zwischen Atlantik und Persischem Golf“.

Nicht nur bei dieser letzten Formulierung wird es heikel – denn ein „arabisches Volk“ zwischen Atlantik und Persischem Golf hat es nie gegeben. Die Bewohner des Maghreb – Überbleibsel unterschiedlichster Besiedlungsphasen und lange Zeit christlich-römische Provinzen – wurden erst im Zuge des arabisch-islamischen Imperialismus zwangsarabisiert. Wenn Arafat diese Berber- und Maghreb-Stämme als „arabisches Volk“ bezeichnet, so folgt er damit letztlich der islamischen Idee seiner Muslimbrüder von der allumfassenden „Umah“, die jedoch nur Gläubige und Ungläubige kennt und regional- wie zeittypisch von Stämmen statt von Völkern ausgeht.

Gleichzeitig nutzt Arafat in dem in englischer Sprache geführten Interview angelsächsische Begriffe, um seinem westeuropäischen Besucher sein Anliegen zu erklären. Und der ist nun  ausgerechnet ein Deutscher und muss für seine Leser den englischen Text derart übersetzen, dass der Germane es auch versteht.

Die Deutschen und der Volksbegriff

Nun hat die deutsche Sprache – kultur-historisch bedingt – ein Volksproblem. Denn anders als das Angelsächsische unterscheidet sie faktisch nicht zwischen Nation und Volk. Die Idee des ethnisch reinen Staatsvolkes, mit der zuletzt Adolf Hitler einen bedeutenden und wichtigen Teil der Deutschen erst vertrieb und dann vernichtete, um anschließend die Welt mit einem Vernichtungskrieg im Namen „seines“ Volkes zu überziehen, ist in ihrem Kern tatsächlich ziemlich deutsch.

Für dieses deutsche „Volk“ nun gibt es kein wirkliches, angelsächsisches Äquivalent. Denn „folk“, welches man gewillt sein könnte als Übersetzung zu nutzen, hat mit dem deutschen „Volk“ wenig gemein. Weshalb der Deutsche „folk“ als „ländliche Bevölkerung“ versteht. Will er jedoch vom „Volk“ sprechen, so bedient er sich im Angelsächsischen der Begriffe „people“ oder „nation“. Beide aber entsprechen dem deutschen „Volk“ nicht. Denn das deutsche „Volk“ ist emotional. Es charakterisiert – im altgermanischen Stammesdenken verankert – eine durch das Blut geeinte Gemeinschaft eines Willens und eines Zieles – und ist deshalb für Führung stets anfällig. So fiel es denn auch den nationalsozialistischen Machtübernehmern in den dreissiger Jahren nicht schwer, die Losung des 1871 geeinten deutschen Nationalstaats, die da lautete „Ein Reich – Ein Volk – Ein Gott“, in „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“ zu pervertieren und damit nicht nur das Reich über das Volk zu setzen, sondern auch Gott durch Hitler zu ersetzen.

Die englischen „people“ nun sind erst einmal nur Menschen. Und „nation“ steht gemäß seinem lateinischen Ursprung für eine Gruppenzugehörigkeit qua Geburt – im deutschen Verständnis als „Nation“ von Staatsbürgern unterschiedlichsten Ursprungs zu verstehen.

Von der „arab nation“ und den „people of palestine“

Arafat spricht in dem Interview von „arab nation“ und „people of palestine“. Beides hat mit dem deutschen Volksbegriff nichts zu tun. Denn „the arab nation“, die arabische Nation, das war seinerzeit das Schlagwort des ägyptischen Fellachen Gamal abd a’Nasir, mit dem jener die sunnitisch-islamischen Länder, welche in diesem Falle tatsächlich vom Atlantik bis an den Indischen Ozean reichten, einen wollte. „The arab nation“ – das war das säkulare Pendant zum islamischen Kalifat.

Arafat hing damit einer zu jener Zeit schon ausrangierten, politischen Großmachtidee an, die 1958 den Ägypter Nasir zum Staatsoberhaupt der aus Ägypten und Syrien bestehenden „Vereinigten Arabischen Republik“ gemacht hatte. Lange hielt diese V. A. R. nicht. Schon 1961 verabschiedete sich Syrien aus dem Kunstprojekt – und der Panarabismus wurde zu einem Merkmal des sogenannten Nasserismus.

Dennoch ist nachvollziehbar, dass Arafat dieser panarabischen Idee des Nasir, die ihn offenbar geprägt hatte, auch 1968 anhing. Denn er brauchte, um mit seiner Terrororganisation erfolgreich zu sein, nicht nur eine Idee, sondern vor allem Geld. Dieses konnte er um so erfolgreicher bei den reichen Arabern einfordern, je erfolgreicher er ihnen ein schlechtes Gewissen einreden konnte. Die Idee des einen arabischen Volkes war dabei durchaus wirkungsvoller als der Versuch, für irgendwelche entfernten Vettern, die man laut Lawrence noch vor 50 Jahren im Zweifel für verweichtlichte Osmanenknechte gehalten hatte, in die Taschen zu greifen.

Gleichzeitig aber verstand sich Amar-Arafat als Kämpfer jener Menschen, die nach 1946 dem Aufruf seines Bekannten, dem Mufti von Jerusalem, gefolgt waren und ihre Heimat in der Erwartung, im Gefolge siegreicher arabischer Truppen heimzukehren, verlassen hatten. Dieses wiederum waren „the people of palestine“ – die Menschen von Palästina. Die waren 1968 noch weit davon entfernt, als eigenständiges Volk wahrgenommen zu werden, geschweige denn sich als solches zu verstehen. Denn – siehe oben – es waren Araber und Aramäer, Christen und Muslime – und selbst die Nachkommen von berberischen Rifbewohnern und zahllosen anderen Zuwanderern, die das Schicksal im Laufe der Jahrhunderte dorthin verschlagen hatte.

Wie der SPIEGEL das palästinensische Volk erfand

Der SPIEGEL übersetzte in treu-deutscher Manier all diese sich bei Arafat mangels Volksidee vermengenden Begriffe mit „Volk“ – und das, obgleich Arafat doch immer noch davon träumte, ein arabisches – oder besser: ein nicht-jüdisches – „Palästina“ in der großen, panarabischen Idee zu verwirklichen.

Da Arafat ein durchaus nicht dummer Mensch war, erkannte er recht schnell, welch positive, propagandistische Unterstützung ihm diese SPIEGEL-Hilfe bieten konnte. Als er 1974 vor der UN auftrat, adelte die Vollversammlung den Freischärler Arafat in wenig nachvollziehbarer Weise. Aus der Al Fatah als „Bewegung zur Befreiung Palästinas“ des Jahres 1968 war zwischenzeitlich die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ PLO geworden. Die wurde, obgleich sie sich bis zu diesem Zeitpunkt niemals irgendwelchen Wahlen gestellt hatte geschweige denn über ein Staatsgebiet und staatliche Verwaltungsstrukturen verfügte, als „offizielle Vertretung des palästinensischen Volkes“ anerkannt. Eines Volkes, das es selbst sechs Jahre zuvor noch nicht einmal in Arafats kühnsten Fatah-Träumen gegeben hatte.

Noch 2015 adelte „DER SPIEGEL Geschichte“ den als Terroristen gestarteten Ägypter als „Mr. Palestine“, für „seine Landsleute“ dazu durch seinen „bewaffneten Kampf“ gemacht.

„Seine Landsleute“ – ägyptische Araber? Oder alle heutigen und früheren Bewohner Cisjordaniens, aus dem Israel, Gaza und die  Westbank wurde, die nicht jüdischen Ursprungs sind? Und von denen kaum einer jemals gefragt wurde, ob er sich tatsächlich von einem Kairoer Berufsrevolutionär  (um an dieser Stelle diese nettere  Bezeichnung für terroristischer Freischärler zu verwenden) vertreten fühlt?

Möglich, dass sich viele der Bewohner im Westjordanland und im Gaza-Streifen heute als Anhänger Arafats verstehen. Ob sie damit bereits ein „Volk“ sind, darf allein schon mit Blick auf die Hamas angezweifelt werden. Denn die steht in gewisser Weise bis heute noch in der Tradition des frühen Abu Amar und träumt vom panarabischen Kalifat – aber selbstverständlich nicht wie dereinst Nasir in einem säkularen Staat, sondern unter dem Banner des Islam. Und dessen Staatsidee ist immer noch die Umah, in der Völker und Demokratie keine Rolle spielen.

Das Volk für den Westen und den Anti-Israelismus

Aber für den dummen Westen und die in Anti-Israelismus geeinten, mehr oder weniger „Vereinten Nationen“ macht es sich natürlich besser, von einem „palästinensischen Volk“ zu erzählen. Denn damit kann man das erfolgreiche, demokratische Israel vortrefflich als Unrechtsstaat diffamieren. Deshalb sind heute Teile jener Bewohner der früheren römischen Provinz Palaestina immer noch scheinbar zu Unrecht Vertriebene (die ihre Heimat dereinst freiwillig verlassen hatten) oder Bürger eines demokratischen Staates, dessen Existenzrecht von vielen Nachbarn bis heute nicht anerkannt wird – und das dennoch nach wie vor eine Bastion von Freiheit und auch Säkularismus im Nahen Osten ist.

Die verlogenen Landkarten @ „abseits vom mainstream“

001_Shany_Mor_Palestinian_Propoganda_MapWer kennt sie nicht, die dramatischen „Landverlust-Karten“, die stets im Argumentationskampf gegen Israel-Unterstützer eingesetzt werden?
Der folgende Beitrag, aus dem Blog „abseits vom mainstream“ entnommen, ist immer aktuell, sehr relevant und lesenswert, detailliert und mit ausreichenden Ausführungen auch für weniger Bewanderte.

abseits vom mainstream - heplev

Antiisrael-Aktivisten benutzen oft manipuliert Landkarte, um Israels angebliche Vergehen im Verlauf des letzten Jahrhunderts zu zeigen. Solche Behauptungen werden von Leuten aufgestellt, die im besten Fall keine Faktenkenntnis, im schlimmsten Fall keinen moralischen Kompass haben.

Shany Mor, The Tower Magazine, Ausgabe 22, Januar 2015

Dieser Tage kann man nicht auf einem amerikanischen oder europäischen Universitäts-Campus nicht weit gehen, ohne irgendeiner Version der Landkarten zu „Verlust von palästinensischem Land“ zu begegnen. Diese Serie von vier – gelegentlich fünf – Landkarten gibt vor zu zeigen, wie räuberische Zionisten fortlaufend auf palästinensisches Land übergegriffen haben. Davon kann man zur Verteilung Postkarten kaufen und sie sind in bezahlten Werbeanzeigen auf Bussen in Vancouver wie in Bahnhöfen in New York dargeboten worden. Die Antiisrael-Blogger Andrew Sullivan und Juan Cole haben Versionen davon gepostet und sie schleichen sich gelegentlich in angeblich seriöse Medienquellen wie Al-Jazira English ein.

In der Tat erschienen sie gerade als „Grafik des…

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Die Tage von Ssanur: Damals und heute

Zum „Tagebuch einer Siedlerin“ – Erlebnisbericht aus Ssanur – hier geht’s lang!


 

Alles Entscheidende geschieht mitten in der Nacht. Der Auszug aus Ägypten, manche würden sagen – die Geburt von Jesus. Und auch die Schaffung neuer Realität auf der Karte.

Geschichte von Ssanur

ssanurmapWas Google Maps angeht, so ist der Ort Ssanur dort verzeichnet, allerdings mit dem Vermerk „ruined“ (zerstört). Es liegt irgendwo in den Bergen Nordsamarias, südlich von Jenin und östlich von Netanya. Das arabische Dorf, nach welchem es genannt wird, heißt Sanur und liegt ein paar Kilometer weiter. Aber Ssanurs Geschichte beginnt nicht erst diese Nacht, sondern in 1977: Damals beginnen die ersten, auf die strategisch gut platzierte Anhöhe inmitten eines Tals, mit einer Festung aus osmanisch-britischen Zeiten zu ziehen. Verschiedene Gruppen beißen sich an der schroffen Gegend trotz pastoralischer Aussicht, frischer Luft und einer relativen Nähe zu Netanya aus. Als letzte von insgesamt 3 Gruppen tauchen Anfang der 80er einige wenige jüdisch-russische Künstler auf, die vor Kurzem aus der Sowjetunion ausgewandert sind. Sie verlieben sich in die Berge, die Stille und auch den Hauch von Abenteuer – und bleiben. Ssanur wird zu einem Künstlerdorf. Ihre Künstler – akkreditierte russische Bildhauer, Zeichner, Maler aus der Sowjetunion. 1987 wird Ssanur offiziell als Siedlung ausgerufen. Ihre Bewohner veranstalten Galerien und Ausstellungen im alten britisch-türkischen Fort.

Und dann im Dezember 2003 die Botschaft: Nordsamaria und Gaza werden geräumt. Weshalb Ariel Sharon es genau auf diese vier Siedlungen im Norden abgesehen hat, wird nicht ganz deutlich. Das Land selbst ist Staatsland, Agrarwirtschaft wird nicht betrieben und kein Land dafür beansprucht. Das Gebiet von Ssanur soll wohl bei einem zukünftigen Abkommen mit der PA entsprechend den israelischen Vorstellungen in jedem Fall nicht mehr zu Israel gehören. In den letzten Jahren ziehen Familien und Unterstützer nach Ssanur, um mit den Bewohnern Solidarität zu zeigen. Die arabischen umliegenden Dörfer sind feindlich und gefährlich, manche der Künstler kommen nur noch selten hierher. Frühere Passierwege werden nach der Zweiten Intifada nicht mehr benutzt – Lebensgefahr.

Im September 2005 werden die Zerstörung und der Abzug aus Nordsamaria vollendet. Von dem lebendigen und extravaganten Künstlerdorf bleiben nur noch Schutt und Wege. Die britische Festung gehört nicht dazu und bleibt bestehen, wird aber nicht aufrechtgehalten. Innen sammelt sich Müll und Schmutz, arabische Graffiti „zieren“ die Wände, Türen, Fenster, Kachelboden werden zerschmettert und über die Jahre sammelt sich der Schutt auf dem Boden.

Einige Male versuchen aktive jüdische Einwohner der Gegend, Ssanur wieder zu erklimmen. Kein Versuch währt lange. Die Regierung hat keinerlei Interesse daran, irgendeinen „Fehler“ „wiedergutzumachen“, wie die Aktivisten das nennen, und wieder diesen Landesteil zu besiedeln.

Der Aufstieg

Die Ruine von Ssanur.
Die Ruine von Ssanur.

10 Jahre später, am Abend nach dem großen jüdischen Fastentag  Tisha beAv nehmen die Leute das Ruder selbst in die Hände. In einer Nachtoperation gelangen fast 200 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – auf die Anhöhe mit der britischen Festung. Die Festung wird als Wohnhaus eingerichtet. Jede Familie, die erscheint, erhält einen Raum von den zahlreichen Räumen dieses verwüsteten, aber bautechnisch völlig intakten Gebäudes. In manchen Räumen kann man noch ihre ehemalige Funktion erkennen – Zeichnungen an den Wänden, Rohre, Kachelböden. Der altbekannte Alltag von Vorpostenbau hat für die Aktivisten Routine. Sie sind keine Campingtouristen. Daher sind sie bestens versorgt – mit Stromgeneratoren, Jeeps, Essen, Wasser und Verbindungen nach außen.

In der ersten Nacht gelangen ca.180 Leute auf den Hügel, erst kurz vor dem Morgen schlägt die Armee Alarm, und dann erfährt es auch die Presse. Sie tauchen vor den „Eindringlingen“ auf, welche sich schon geschafft haben, festzusetzen, Räume zu säubern und sie für die anwesenden Familien fertigzurichten. Unter den Anwesenden: Ehemalige vertriebene Familien aus den zerstörten 4 Siedlungen in Nordsamaria, Nachbarn und lokale Aktivisten, Jugendliche, Kinder. Die Taktik ist gut durchgeplant, aber auch simpel: Man bleibt oben, solange man kann. Versorgt sich selbst, organisiert weitere Unterstützung, und sendet Pressebotschaften nach außen. In diesem Fall: „Die Rückkehr“. Vertriebene kehren nach 10 Jahren an die Ruinen zurück und fordern von der Regierung, sich mit ihrem Anliegen auseinanderzusetzen. Passend dazu sind auch die Unruhen in Bet El – nicht parallel abgestimmt, aber durchaus für den Zweck zu nutzen. Wenn an zwei Stellen Forderungen gestellt werden, gelangt die Regierung unter Druck. Protestaktionen wie diese haben auch die Natur, sich von selbst weiter zu entwickeln, sobald man den Rahmen vorgibt. Hier in Ssanur will man mehr Unterstützung organisieren, die Aktion bekanntmachen – aber auch am Ort verbleiben. Diesmal ist es keine Gedenkaktion, sondern ein festes Vorhaben – „wir sind hier und wir bleiben“. Zumindest bis man uns herunterholt – oder bis die Forderungen irgendwie vorankommen.

Die Presse klebt sich an die Fersen der enthusiastischen Gruppe, filmt alles und jeden, versucht, Antworten und Statements von den Anwesenden zu ergattern, die man für eine reißerische Schlagzeile verwenden kann. Denn von Gewalt kann hier, im Gegenteil zu Bet El und seinen Bauten, keine Rede sein. Der Aktionsleiter, Beni Gal, bekannt aus früheren Aktionen dieser Art im naheliegenden
Chomesh, bringt nicht umsonst Familien her. Er will keine Gewalt, keine blutigen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften und keinen Kampf. Die Athmosphäre von Ruhe, Besonnenheit und friedlichem Protest soll im Land herüberkommen – vertriebene Bewohner, die das Unrecht, das ihnen vor zehn Jahren angetan worden ist, nicht mehr hinnehmen wollen. Menschen sitzen zusammen, kochen, planen Restaurierungsarbeiten in der Festung, Kinder spielen, die Presse huscht zwischen allen hin und her. Die wichtigsten Planungen bekommt diese allerdings erst am Ende mit.

In der zweiten Nacht wird ein weiterer Aufstieg organisiert, denn tagsüber sind da die Soldaten überall, und auch die Araber, die kein Interesse an Zuwachs in Ssanur haben. Also werden die Aufstiegswilligen per Jeep in der Dunkelheit transportiert und irgendwann nach einer holprigen Reise auf Pfaden, die sie nicht veröffentlicht haben wollen, in der Festung empfangen. Immer wieder werden währenddessen andere Deadlines für die eigentliche Räumung festgesetzt. Mal heißt es, es gäbe ein Ultimatum bis zum Morgen, dann bis zum Mittag. Dann sollen Soldaten in der zweiten Nacht kommen – stattdessen geben Beni Gal und sein Organisationsteam bekannt, dass die Armee noch eine weitere Verlängerung bekommen haben, also weiterhin die Siedler in der Festung bewachen werden. Denn bevor diese geräumt werden (wenn sie es denn werden), müssen sie vor den arabischen Nachbarn beschützt werden. Eine seltsame Situation entsteht – die Ssanur-Rückkehrer befinden sich in einem halb-Belagerungszustand, wobei niemand herausfährt, und auch nach der Vorstellung der Armee niemand hineinkommt (es sei denn, man weiß, wie.)

Morgenversammlung in Ssanur.
Morgenversammlung in Ssanur.

Auch der zweite Tag vergeht ruhig. Es gibt einige Versammlungen, in welchen die Neuigkeiten von der Außenwelt besprochen werden. Denn in Ssanur gibt es keinen Handyempfang. Die Journalisten leiden darunter, die Siedler sind entspannt, und manche finden auch kleine Empfangsinseln auf dem Areal, so wie beispielsweise hoch oben auf der Spitze eines alten Minaretts, das neben der Festung steht.

Säuberungsarbeiten in Ssanur.
Säuberungsarbeiten in Ssanur.

Trotz der ständigen Aussicht, ausgewiesen zu werden, widmen sich die meisten Restaurationsarbeiten und Verschönerung des Areals: Säubern, Schutt freiräumen, Wände streichen, kochen, putzen. Die Kinder müssen beschäftigt werden, die Räume gefegt werden, Mittagessen muss zubereitet werden. Beni Gal, der Organisationsleiter, ist kaum

Säuberungsarbeiten in Ssanur.
Säuberungsarbeiten in Ssanur.

zu finden. Er ist der Verantwortliche für die Presse und für die Logistik, für die Kontakte zur Armee und die Organisation der Familien. Limor, eine ehemalige Bewohnerin der zerstörten Siedlung Chomesh, die man von Ssanur aus auf dem Berghang erkennen kann, übernimmt den Teil der Presse und führt Journalisten herum.

Am Nachmittag erscheinen die ersten Polizisten, aber sie ziehen sich bald wieder zurück, nur die Armee bleibt. In der Luft hängt der Gedanke der Räumung, man bereitet sich mental darauf vor und macht Abendessen. Am Abend schließlich, als der lokale Stromgenerator seine Energie für einige Lampen im Gebäude und eine Ladestation für die Mobilgeräte spendet, sitzen die meisten beim Lagerfeuer und die Kinder gehen schlafen.

In der israelischen Presse wird unterdessen ein unter der Leitung von Beni Gal verfasster Brief der Familien von Ssanur veröffentlicht, er wendet sich an den Premierminister. Die Gemeinde der Ssanur-Rückkehrer verlangt eine unabhängige Untersuchung der Regierungsstellen, welche Gründe einen Wiederaufbau von Ssanur und der anderen vier geräumten Siedlungen in 2005 verhindern, und wann ein solcher Aufbau wieder ermöglicht werden kann. Sie bitten auch darum, den Kindern und Jugendlichen eine gewaltsame Räumung zu ersparen und die 10 Jahre nach der Räumung von Gush Katif zu berücksichtigen. Solange würden die Leute von Ssanur am Ort verweilen.

Eine neue Nacht beginnt und mit ihr folgen neue Entwicklungen…..

Rabbiner Levinger, ruhe in Frieden

Rabbiner Moshe Levinger z'l. Quelle: Wikipedia
Rabbiner Moshe Levinger z’l. Quelle: Wikipedia

Am Samstag, dem 17.05.15, ist einer der bekanntesten führenden Persönlichkeiten der Siedlungsrevolution von 1967, ideologischen Grundpfeiler und politischen Aktivisten der Siedlerbewegung, Rabbiner Moshe Levinger, im Alter von 80 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben. Gestern mittag wurde er auf dem antiken jüdischen Friedhof in Hevron beigesetzt. Der Beerdigung wohnten nach Angaben israelischer Medien über tausend Menschen bei, darunter der israelische Präsident Reuven Rivlin, Knessetabgeordnete und landesweit bekannte Rabbiner. Hier nun eine knappe Zusammenfassung der zentralen Stationen in Rabbiner Moshe Levingers Leben.

Rabbiner Levinger wurde 1935 als Kind der deutsch-jüdischen Einwanderer Eli’ezer und Paula Levinger in Jerusalem geboren. Seine Eltern waren vor der nationalsozialistischen Herrschaft zwei Jahre zuvor in das Land geflüchtet. Als junger Mann lernte er bei einem der bekanntesten Anführer der nationalreligiösen / religiös-zionistischen Bewegung namens Rabbiner Zwi Jehuda Kook (⇒ über die Lehren von Rav Zwi Jehuda und seinem Vater, dem Oberrabbiner der jüdischen Gemeinschaft im Land Israel vor der Staatsgründung – Avraham Yitzhak Hacohen Kook – werde ich getrennt berichten).

Rabbiner Levinger folgte der Ideologie, die die Wichtigkeit und zentrale Bedeutung des Landes Israel und der Anwesenheit des jüdischen Volkes auf dessen gesamtem Gebiet unterstreicht und ins Zentrum der zionistischen Bemühungen rückt. Nach dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 war es Rabbiner Levinger, gemeinsam mit weiteren jungen Aktivisten wie (Rabbiner) Hanan Porat, der die Bewegung „Gush Emunim“ (der Block der Getreuen) gründete und sich politisch wie gesellschaftlich dafür einsetzte, jüdische Präsenz in das von den Jordaniern befreite Judäa und Samaria zu bringen. „Gush Emunim“ ist der Grundstein der bis heute aktiven Siedlerbewegung zugunsten des Baus neuer Wohnorte hinter der Waffenstillstandslinie von 1948, welche Judäa und Samaria , sowie Ostjerusalem, Gaza und den Golan vom „Kernland Israel“ abtrennte und die erst im Sechs-Tage-Krieg wiedergewonnen werden konnten. Trotz der politischen Unentschlossenheit der israelischen Regierung, alle eroberten Gebiete vollends in den Staat zu integrieren, und der Schaffung des rechtlich fraglichen Status Quo, worunter die Gebiete von Judäa und Samaria (und ebenso der Gazastreifen bis 2005) unter militärische anstelle von offizielle staatliche Verwaltung kamen, bemühten sich Rabbiner Levinger und die Jahr für Jahr wachsende Anhängerschaft, möglichst viele Erfolge in der Besiedelung der Gebiete zu erzielen.

Als besondere Stichworte bei der politischen Aktivität Rabbiner Levingers für die Siedlerbewegung sind die „Park-Hotel-Episode“ in Hevron 1968 und der Siedlungsversuch von Sebastia 1974 (⇒ das Thema „Jüdisches Hevron“ werde ich in naher Zukunft getrennt behandeln).

Rabbiner Levinger gilt als eine Symbolfigur für die Wiedererrichtung einer jüdischen Gemeinde in Hevron, die auch die „Stadt der Patriarchen“ genannt wird, da sich dort die Gräber der Vorväter Avraham, Yitzhak und Ya’akov befinden. Bis zu den arabischen Pogromen 1929 lebten Juden inmitten der muslimischen Gemeinschaft seit hunderten von Jahren. Nach den Pogromen, bei welchem während des bestialischen Massakers mehr als 60 Gemeindemitglieder ihr Leben lassen mussten, wurden die Juden von den Organen des britischen Mandats aus Hevron evakutiert und durften nicht wieder zurückkehren. Nach der Befreiung Hevrons durch die israelische Armee organisierte Rabbiner Levinger eine Gruppe jüdischer Aktivisten, welche sich, als jüdische Touristen getarnt, ein leerstehendes Hotel in Hevron über die Pessach-Feiertage mieten wollten. Die Gruppe zog in das Hotel ein und weigerte sich nach Feiertagsende, dieses zu verlassen, trotz der Anweisung der Militärverwaltung. Die „Beschlagnahmung“ des Hotels durch die Gruppe um Rav Levinger war bis dato ein einzigartiger Präzedenzfall von Aktivismus innerhalb des Staates. Nach längeren Verhandlungen wurden die Aktivisten in eine naheliegende leere Militärbasis überführt, in welcher sie weitere 3 Jahre wohnten und sich weigerten, den  Ort zu verlassen, bis feste Wohngebäude für Juden in der Gegend errichtet sein würden. 1971 schließlich gab die israelische Regierung nach und erteilte die Erlaubnis zur Errichtung der Siedlung Kiryat Arba, welche heute eine der größten Siedlungs- und Absorptionszentren für neue Einwanderer in ganz Judäa und Samaria darstellt.

Dem nicht genug, beschloß Rabbiner Levinger nach der Errichtung von Kiryat Arba, auch für die Rückkehr von Juden in das ursprüngliche Hevron zu kämpfen (dazu siehe später). Er initiierte die Übersiedlung von Frauen mit Kindern in das ehemalige jüdische Krankenhaus im Zentrum des arabischen Hevrons, entgegen dem Widerstand der Armee, und auch diese Tat legte den Grundstein für die heutige jüdische Besiedlung von Hevron und die Rückkehr an historische Plätze, für die archäologischen Ausgrabungen von historischem Maßstab und für die Wiederherstellung der seit 1929 verlassenen Orte.

Rabbiner Levinger (links) und Hanan Porat, Sebastia 1974
Rabbiner Levinger (links) und Hanan Porat, Sebastia 1974

Im Laufe seines Lebens war Rabbiner Levinger die treibende Kraft hinter der Errichtung zahlreicher Siedlungen und Ortschaften in Judäa und Samaria; er gründete und leitete die zivile Regionalverwaltung. Es mangelte nicht an Kontroversen um seine Person durch seine ideologisch fest definierte Ansichts- und Handlungsweise, insbesondere aus dem zentralen und linken politischen Lager. In den letzten Jahren erkrankte Rabbiner Moshe Levinger sehr, was schließlich auch zu seinem Tod führte.

Präsident Reuven Rivlin äußerte sich wie folgt bei der Beerdigung:

„‚Hevron ist die Schwester von Jerusalem‘, schrieb David Ben Gurion an die Erneuerer der jüdischen Anwesenheit in Hevron. Schwer ist für uns die Trennung von dir; dieser Ausdruck bekommt eine neue Bedeutung, jetzt, wo man dich, Rabbi Moshe, der Hevron so teuer ist, zur letzten Ruhe bringt. 

Bei vielen hast du dich mit dem berühmten Sederabend ins Bewusstsein eingegraben, doch ich kenne dich noch als Jerusalemer Jungen. Du bist in einem Heim voller seltener Tiefgründigkeit und Torawissen afgewachsen. Das war dein Kennzeichen. Du warst kein Freund von Konsensus, aber hast niemals die Gelegenheit verschmäht, weitere Menschen für deine Idee zu gewinnen. Du suchtest nicht den Kompromiss, aber du hast auch nie daran gezweifelt, dass nur eine starke Basis dazu führen wird, die jüdische Besiedlung in Hevron zu erneuern. Du glaubtest daran, dass durch den Aufbau von Hevron auch Jerusalem erbaut wird. Du hattest nie aufgehört, an die Erlösung Israels zu glauben und diese zu erwarten. Du hattest um das Recht gekämpft, in Hevron begraben zu werden, und siehe da, genau das geschieht nun.“

Der Todestag von Rabbiner Levinger fiel auf den Vorabend des Jerusalem-Tags, des nationales Feiertags der Befreiung ganz Jerusalems durch die israelischen Streitkräfte von der jordanischen Besatzung. Doch nicht nur Jerusalem wurde in diesem Krieg befreit, sondern auch Hevron, die Stadt, dessen Name für immer mit dem von Rabbiner Moshe Levinger verbunden sein wird. Im Volksmund hatte und hat Rabbiner Moshe einen ganz besonderen Namen: „Der Vater von Hevron.“

1- Die brennende Fackel von Gush Etzion

„Wenn heute ein hebräisches Jerusalem steht, wenn der Todesstoß für die jüdische Besiedlung, die ganz in der Hand des Feindes lag, nicht gegeben wurde – dann gebührt der Dank der israelischen Geschichte und des ganzen Volkes zuallererst den Kämpfern von Gush Etzion…“ (David Ben Gurion, 1948)

Vor genau 67 Jahren fiel der Kibbutz Kfar Etzion, gelegen in der Bergregion namens Gush Etzion zwischen Jerusalem und Hevron, zwei antiken Städten und Zentren jüdischer Geschichte, in einem erbitterten Kampf zwischen den jüdischen Einwohnern, gemeinsam mit den Verteidigungseinheiten und den Kämpfern der Arabischen Legion aus Jordanien und der umliegenden arabischen Bevölkerung. In den letzten Tagen vor der Gründung des Staates Israel am 14.Mai 1948 wurden die vier Kibbutzim in den Judäischen Bergen, auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Hevron  – Kfar Etzion, Massuot Yitzhak, En Tzurim und Rewadim – durch die Arabische Legion eingenommen, zerstört und verbrannt. Ihre Einwohner und Kämpfer wurden zur Aufgabe der Positionen gezwungen, im Kampf teils getötet und teils gefangen genommen. Erst 19 Jahre später, im Zuge der Eroberung der Gebiete von Judäa und Samaria im Sechs-Tage-Krieg 1967 konnten die ehemaligen Einwohner der Kibbutzim und ihre Kinder zu den zerstörten Häusern und Ställen und den Gräbern der gefallenen Kameraden zurückkehren, um ihre Präsenz in den Bergen zu erneuern.


Überblick – Geschichte und Kontext

Gush Etzion - Großansicht
Gush Etzion – Großansicht

Die jüdische Anwesenheit in der Region von Judäa reicht zurück bis zu den biblischen Vorvätern Abraham, Yitzhak und Ya’akow, welche zwischen den damaligen Ansiedlungen von Jerusalem und Hevron pendelten und in der Patriarchenhöhle von Hevron begraben wurden. Sie zieht sich weiterhin über die Zeit der Eroberung des Landes durch die jüdischen Stämme von den Kana’anitern unter Jehoschua und über die Geburts- und Regierungszeit König Davids in Hevron und Jerusalem hinweg, gefolgt von den Kriegen der Makkabäer gegen die griechisch-seleukidischen Eroberer, der Herrschaft König Herodes und dem Aufstand jüdischer Kämpfer unter Bar Kochva gegen die Legionen des römischen Imperators Hadrian. Auch als das jüdische Exil seinen Lauf nimmt und die jüdische Bevölkerung sich in ferne Länder zerstreut, bleiben kleine Gemeinden im Kern der antiken Städte Jerusalem und Hevron erhalten und durchleben Fremdherrschaft, Zerstörungen, Kriege, Armut und Seuchen, aber auch Ruheperioden und geistigen Aufschwung bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein.

Die Welle des Zionismus, die vor allem die Juden in Europa erfasst und sie zur Auswanderung in das Land Israel bewegt, um dort ein neues Schicksal  für das jüdische Volk zu schaffen, trägt die frischen Winde des nationalen Aufschwungs auch in die Berge von Judäa. Bis in die 20er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gibt es nur in Hevron eine kleine jüdische Gemeinde. Wie bei den meisten Neugründungen jüdischer Ortschaften im Land Israel, so ist es auch hier eine Organisation, „Zichron David„, unter der

Rabbiner Yitzhak Grinwald. http://www.etzion-bloc.org.il/
Rabbiner Yitzhak Grinwald. http://www.etzion-bloc.org.il/

Leitung von Rabbiner Yitzhak Grinwald, die sich 1925 aufmacht, einen passenden Ort und Ackerland für die Schaffung einer religiösen landwirtschaftlichen Siedlung in der Gegend von Jerusalem zu suchen. 1927 wird der Ort „Migdal Eder“* gegründet, westlich der heutigen Lage der Gush-Etzion-Kreuzung. Die ersten Siedler sind tiefreligiöse europäische als auch jemenitisch-jüdische Familien und einige Toraschüler. Die Bewohner Migdal Eders erhalten keine Unterstützung durch die zionistische Führung des Landes, haben sehr geringe bis keine Erfahrung in Ackerbau und Landwirtschaft, und haben mit der harten, felsigen

Wasserbecken und britische Polizeistation bei Migdal Eder.
Wasserbecken und britische Polizeistation bei Migdal Eder.

Beschaffenheit des Grundes zu kämpfen, auf welchem die Siedlung errichtet wird. Sie leben in großer Armut bis 1929. Zwei Jahre nach der Gründung wird die junge Siedlung Opfer der landesweiten brutalen Progrom seitens der arabischen Bevölkerung in den Städten und Dörfern des britischen Mandatsgebietes Palästina im August 1929, welche ihren Anfang in Jerusalem nehmen und von dort aus auch die Gemeinde in Hevron erreichen. Bei den Pogromen werden mehr als 66 Juden der Gemeinde in Hevron von ihren Nachbarn und dem gewaltbereiten Mob aus der Umgebung

Familien in Migdal Eder, 1927
Familien in Migdal Eder, 1927

niedergemetzelt und der Rest von der britischen Armee evakuiert. Als die Berichte über die Pogrome die Gegend um Migdal Eder erreichen, kontaktiert der Dorfälteste des arabischen Nachbarortes Bet Ummar die Juden, nimmt diese noch vor Ankunft der Plünderern bei sich im Haus auf und lässt sie durch die Briten verdeckt nach Hevron und dann nach Jerusalem evakuieren.

Migdal Eder hört auf zu existieren, doch die Ländereien bleiben in Besitz des „Zichron David“-Vereins, welcher darum zu kämpfen hat , diese nicht wieder an die Araber verkaufen zu müssen. 1933 schließlich bietet ein Züchter aus Rehovot namens Shmuel Zwi Holzmann seine Hilfe an und kauft die Ländereien von dem Verein, und hinzu noch viele weitere Flächen mit der Absicht, drei neue landwirtschaftliche Siedlungen auf dem Grund zu errichten, und jüdische Landwirtschaft und Viezucht zu fördern.

Der Ländereien-Kauf gestaltet sich schwierig, da die Araber die unfruchtbarsten und steinigsten Flächen zu verkaufen pflegen und zudem der Besitz sich nicht auf eine Person  beschränkt, sondern zumeist einem ganzen Clan gehört und nicht leicht abzukaufen ist. Holzmann schafft  die Organisation „El Hahar“ (eine ihrer Filialen befindet sich damals in Wien), welche sich aus zionistisch motivierten Arbeitern zusammensetzt, die sich 1933 aufmachen, neben einem alten verlassenen russischen Kloster auf einem der Berge der Umgebung das Dorf „Kfar Etzion“ ** zu gründen. Die Entfernung zwischen Kfar Etzion und Jerusalem – ca.21 km, Höhe über dem Meeresspiegel – ca. 900m. Es werden Plantagen errichtet, erste Häuser, Hühner- und Viehställe gebaut. Die Arbeitsbedingungen sind hart; die erste Zeit leben die Arbeiter in Zelten und ohne ihre Familien.

Galerie:  Die Gründung von Kfar Etzion 1933. © http://www.etzion-bloc.org.il/. Einfach auf das Bild zur Vergrößerung klicken!

1936, im Zuge einer weiteren arabischen Pogromwelle, wird die kleine Siedlergruppe nahe des verlassenen russischen Klosters von arabischen Aufständischen bedroht. Die Bewohner retten sich rechtzeitig nach Jerusalem. Kfar Etzion und alle dort bis dato errichteten Projekte werden zerstört.

Sieben Jahre später, im April 1943, erfolgt der dritte Aufstieg, diesmal seitens der Leute der Gruppe „Kwutzat Avraham“, auf die Berge Gush Etzions. Sie gründen auf den alten Ruinen den religiösen Kibbutz Kfar Etzion.

Galerie:  Kibbutz Kfar Etzion. © http://www.etzion-bloc.org.il/. Einfach auf das Bild zur Vergrößerung klicken!

Gush Etzion - die Lage der Kibbutzim
Gush Etzion – die Lage der Kibbutzim

Dies legt den Grundstein für die Errichtung drei anderer Kibbutzim durch religiöse und nichtreligiöse zionistische Bewegungen in den Folgejahren1945 bis 1947: Massuot Yitzhak, En Tzurim und Rewadim, allesamt inmitten dutzender arabischer Dörfer, zu manchen sie teils nachbarschaftliche Verhältnisse pflegen, andere ihnen jedoch feindlich gegenüberstehen.  Die Gründung des Siedlungsblocks ist nicht nur ideologisch gestützt, sondern wird auch wegen ihrer enormen strategischen Wichtigkeit von der jüdischen Führung, allen voran David Ben Gurion, begrüßt: Die Grenzen jüdischer Ansiedlungen im Mandatsgebiet sollen in absehbarer Zukunft die Grenzen eines Staates bestimmen, um dessen Errichtung sich die Führungskräfte angesichts der Entwicklungen im Nahen Osten und in Europa und Amerika bemühen. Der Etzion-Block könnte durch seine Anwesenheit die Verbindung zu Hevron und den Puffer um Jerusalem herum bilden – eine Berechnung, die sich im Unabhängigkeitskrieg 1947-1949 als wahr erweist und fatale Auswirkung auf die Region hat.

 Teil 2: Reaktionen auf den UN-Teilungsplan 1947, der Unabhängigkeitskrieg, der Fall Gush Etzions, Neuanfang 1967 bis heute

Fortsetzung folgt!


 

Der Name leitet sich aus dem Vers 20 im 1.Buch Moses, Kap.35 ab, in welchem der Name „Migdal Eder“ erwähnt wird, aufgrund der Nähe des Ortes am antiken Wanderweg des Vorvaters Ya’akov.  

** Holz, auf Hebräisch: Etz, daher auch der Name: Etzion. 


 

Quellen: 

„Gush Etzion“, Johanan ben Ja’akov, 1982

http://www.nrg.co.il/online/1/ART2/690/264.html?hp=1&cat=402&loc=1

http://www.etzion-bloc.org.il/

Feldinstitut Kfar-Etzion

http://lib.cet.ac.il/

Klänge aus Indien

Sanfte Gitarrenklänge und leise Stimmen dringen durch die unfesten Holz- und Gipswände des Wohncontainers. Ein Blick nach draußen – und ich weiß, es sind meine Nachbarn, das Ehepaar Gadi und Ateret aus Indien, die ein Barbecue mit Familie direkt vor ihrer Haustür, auf den Kieselsteinen, veranstalten. Die Töne klingen fern, weich und verführerisch. Es sind nicht die gewohnten traditionellen Melodien, die hier jeder kennt und summt, und auch die Sprache klingt anders.

Besondere Atmosphäre. Beim Grill der Familie von Gadi und Ateret im Karavanenviertel.
Besondere Atmosphäre. Beim Grill der Familie von Gadi und Ateret im Karavanenviertel.

Ich öffne die Tür, und Gadi winkt mir einladend zu und zeigt, dass ich mich zu ihnen setzen soll, auf einen umgedrehten Blumentopf, hin zum provisorischen Grill, um welchen herum auch der Rest der Familie versammelt ist. Ein alter Mann sitzt auf einem Holzkasten, eine alte Frau auf einem Plastikstuhl, kleine Kinder, die kichernd um sie herumrennen, junge Frauen und Männer. Das Feuer knistert, und während ich mich schüchtern danebensetze, fängt der Sänger mit der Gitarre ein neues Lied an. Die Umsitzenden klatschen im Takt. Sie kennen die Worte des Liedes. „Welche Sprache ist es?“, frage ich flüsternd eine junge Frau, die neben mir sitzt. Sie stellt sich als Yiska vor. „Kuki, unsere Sprache“, antwortet sie und lächelt mich verschämt an.  Ich lasse mich in ein Gespräch mit ihr verwickeln und frage sie nach ihrer Herkunft. „Wir stammen alle aus Manipur, Indien. Wir sind Verwandte von Gadi und Ateret, und leben in Kiryat Arba, Hebron. Ich bin eine Neueinwandererin“, entschuldigt sich Yiska in einem leicht akzentbeladenen, aber dennoch recht guten Hebräisch, „ich bin erst zwei Jahre hier.“ Wo sie arbeite, frage ich sie. „In einem Kinderhort.“ Auch ihre Freundin, Elischewa, die kaum Hebräisch versteht, hat sie aus der Siedlungsstadt Kiryat Arba bei Hebron mitgebracht.

Wo Manipur liege, frage ich sie. „Im Norden Indiens“, antwortet Yiska, und Gadi korrigiert sie, während er die Hühnerflügel auf den Grill nachlegt: „Im Nordosten.“ Sie singen weiter, und die alte Frau, die sich als Oberhaupt der Familie offenbart, zusammen mit ihrem Mann, liest die Liedtexte aus einem Liederbuch mit, in das ich einen Blick werfe. Die Texte stehen dort in der besagten Sprache, „Kuki“, aber auf lateinischer Umschrift. Das Buch scheint von einer jüdischen Organisation herausgegeben worden zu sein und ist wohl ziemlich alt.

Die ganze Familie – Großeltern, Kinder, Enkelkinder, Neffen, Nichten und Cousins sind braungebrannt, und sind für mein ungeübtes Auge eher Mongolen oder Tibetern ähnlicher denn Indern, aber Indiens Regionen und Bevölkerungen sind zahlreich und kaum meßbar vielfältig.

Die indisch-jüdische Gemeinde, der Gadi und seine Verwandten angehören, ist in Israel als die „Bne Menasche“, die Söhne des antiken jüdischen Stamms Menasche, bekannt. Sie gehören den „verlorenen Stämmen“ des israelitischen Königreichs an, welches um 722 v.d.Zeitrechnung aufgrund innerer Streitigkeiten zerfiel und zudem von den Assyrern überfallen und zerstörten worden war. Die Bewohner des Königreichs, angehörige verschiedener jüdischer Stämme, wurden ins assyrische Imperium  vertrieben. Als das assyrische Imperium um 460 v.d.Z. herum dem griechischen wich, flüchteten die Menasche-Nachkommen über Assyrien, Babylonien und Persien Richtung des heutigen Afganistan, Indien und China. Nach dieser Vertreibung kehrten sie nicht mehr in das Land Israel zurück und den Kontakt zur übrigen jüdischen Gemeinschaft ging verloren. Um das dritte Jahrhundert d.n. Zeitrechnung herum, als der Stamm geistiger und physischer Unterdrückung seitens des chinesischen Kaisers ausgesetzt worden war, flohen diese in Richtung der Himalaya-Berge und setzten sich dort fest. Ein lebendiger Bezug zu den jüdischen Gemeinden der Welt ging den Bne Menasche verloren, ebenso offenbar das „Heilige/Goldene Buch“ selbst (wie sie es in der Tradition bezeichnen). Wohl blieben aber einige Bräuche und der Glaube an den Einen Gott.

Bis zum 19.Jahrhundert wanderte die kleine Stammesgemeinde in den Regionen von Himalaya, Tibet, Burma/Myanmar, Thailand umher, bis sie sich in den Gebieten von Manipur, Assam und Mizoram, welche heute zum nordöstlichen Teil Indiens an der Grenze zu Myanmar (Burma) zählen, festsetzten. Im 19. Jahrhundert gelangten christliche Missionäre aus Großbritannien im Zuge der Kolonialisierung Indiens nach Manipur und Mizoram, entdeckten zu ihrem Erstaunen die kleine Gemeinde, die inmitten der polytheistischen Umgebung an eine körperlose Gottheit glaubte und Traditionen pflegte, die den biblischen nicht fern waren – Erdbegräbnis, Priesteropfer, Ruhetag, Pessach-Opfer – und begannen, diese in Eifer dem Christentum anzunähern. Nach Berichten sollen sie unter anderem traditionelle Artefakte wie die spezielle Priesterkleidung, welche die Bne Menasche nach dem Vorbild der Tora besaßen, verbrannt haben. In ihrer mündlich überlieferten Tradition der Sehnsucht nach der Rückkehr in das Heilige Land als die Nachkommen des Stammes, nahmen viele das Christentum zu Herzen, in der Hoffnung, diese würde sie dem Wunsch näher bringen. Dennoch blieben ihnen stark an das Judentum erinnernde Bräuche erhalten.

Nach der Entstehung des jüdischen Staates versuchten Vertreter des Stammes wiederholt, Kontakt zu der israelischen Regierung aufzunehmen, so in einem Brief an Premierministerin Golda Meir in 1974. In den letzten Jahrzehnten gelangten Vertreter jüdischer Organisationen nach Manipur, Assam und Mizoram, um den „verlorenen Stamm“ aufzuspüren  und seine Jüdischkeit wiederherzustellen. Auch Israels langzeitiger Oberrabbiner Shlomo Amar erkannte sie als jüdische Nachkommen an, und nach einer provisorischen Konversion durfte die erste  Gruppe in 2006 nach dem Rückkehrrecht nach Israel einwandern, ihr folgten weitere. Ihr asiatisches Aussehen war für die mehrheitlich orientalisch oder europäisch geprägten Bewohner Israels nicht minder unerwartet und ihre schiere Existenz nicht weniger überraschend als die der äthiopischen Juden.

Heute leben auf der Welt mehr als 7200 Angehörige der Bne Menasche, davon zwischen 1700 und 2000 in Israel (Stand: 2013) In Israel gehören sie zumeist der national-religiösen Strömung an, und wohnen in Siedlungen wie Kiryat Arba, oder in Samaria, aber auch in anderen Landesteilen Israels.

(Quellen: Artikel aus YNET, Abhandlung von Rabbiner Eliyahu Birnboim, Herzog Institut Alon Shevut , Shavei Israel Organisation)

 

 

Gelegenheitsarbeiten

Mit welchen Gelegenheitsarbeiten verdient sich ein Siedler so das Kleingeld und verbringt manchmal den Alltag?

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Mein Arbeitsplatz für diesen Tag. Die Hose stammt noch aus Armeezeiten, ist aber unwiederbringlich mit Farbe volgekleckert – auch eine Beschäftigung für freie Stunden

Nun ja, als Frau bin ich kein repräsentatives Beispiel für die weiter unten illustrierte Tätigkeit, denn ein Großteil der Frauen in den Siedlungen ist meist verheiratet und Mutter; die verbreitetesten Berufe sind Pädagoginnen, Kindergärtnerinnen, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen oder Hausfrauen. Mit (il- und legaler) Bautätigkeit verbringen eher die Familienväter und manche Pensionäre ihre freie Zeit, und die Jungen im Teenageralter verdienen sich ihr erstes Geld auf dem Bau bei dem Nachbarn.

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Mischa (links) stammt aus Moskau. Yo’av aus Weißrussland. Auf dem Bild sieht man sie eine Keramikplatte auseinander schneiden.

Mich hat für eine kurzweilige Bautätigkeit in den letzten Tagen ein guter Freund und Nachbar eingestellt, wohnhaft ebenso in unserem Karavanenviertel, aber auf der Seite des Hügels, wo die ersten schon ihre festen Bauten errichtet haben (auf Staatsland, allerdings nicht mit offizieller Bauerlaubnis). Er heißt Mischa und ist vor 24 Jahren mit seiner Frau Maria aus Moskau nach Israel eingewandert – in den ersten Jahren des Zerfalls des unterdrückenden und judenfeindlichen Sowjetregimes.  In Russland hatten er und seine Familie an Antisemitismus gelitten und ein Familienmitglied, das ihm sehr nahestand, wurde sogar von Judenhassern aus Georgien, damals Sowjetunion, umgebracht. Als die offiziellen Stellen in Moskau sich weigerten, die Schuldigen zu verfolgen und zu bestrafen, mit der Begründung, „wir werden unsere Beziehungen zu Georgien doch nicht wegen einer Jüdin gefährden“, machte Mischa für sich den Entschluss, nach Israel auszuwandern. Von da an wurde Mischa zum Aktivisten und organisierte verschiedene Treffen für jüdische Auswandererwilige, in Zusammenarbeit mit der Jewish Agency for Israel, welche die Menschen auf ein weiteres Leben in Israel vorbereiten sollte.

In Israel arbeitete Mischa lange Zeit als Mathematiklehrer und ist heute in Pension. Seine Frau arbeitet noch immer als Krankenschwester in Jerusalem. Heute leben sie hier in Alon Shvut, nachdem sie unter anderem auch im Osten Gush Etzions gelebt hatten. Sie haben einen Sohn, zwei Katzen und bauen an einer festen Erweiterung ihres Karavans. Genau für diese Aufgabe wurde ich einbeordert, weil mir das Graben und die Arbeit mit Erde und Baumaterial nahestehen  und mir auch sehr gefallen. Weiterarbeiten an der Baugrube werden wir allerdings demnächst zusammen, und höchstwahrscheinlich wird es sich bis nach den kommenden Pessach-Feiertagen ziehen, weil wir alle viel zu tun haben  – eben nicht nur im Baubereich…

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Baustellen am Rande der Siedlung, Blick auf die Stadt Efrat
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Mit Hacke in der nassen Erde wühlen.