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NEWS: 13-Jährige ermordet. Hallels letzter Tanz

Heute (30.06.16) um etwa 9 Uhr morgens drang ein 17-jähriger Terrorist in das Haus der Familie Ariel im Vorort der Großsiedlung Kiryat Arba bei Hevron ein. Der Attentäter kletterte über den Sicherheitszaun, der die Ortschaft umgibt, und gelangte in das nächstgelegene Haus. Er verschloss hinter sich die Tuer und begab sich in das Kinderzimmer der Familie, dort schlief eins der Kinder von Rina und Amichai Ariel, die 13-jährige Hallel Jaffa.

Von da an begann ein Alptraum.

Hallel Yaffa Ariel. Quelle: Internet
Hallel Yaffa Ariel. Quelle: Internet

Der Terrorist fing an, auf das schlafende Mädchen einzustechen. Hallel war am vorherigen Abend von einer Tanzaufführung, bei welcher sie mitgemacht hatte, spät zurueckgekommen, die Ferien hatten am Sonntag begonnen, und Hallel schlief aus. Der Attentäter, selbst noch keine 18 Jahre, überraschte sie im Schlaf und stach auf sie mit insgesamt acht Stichen ein. Hallel verlor das Bewusstsein, ihr Blut verschmierte den Boden.

Als der Terrorist (ich erwähne generell keine Namen von Attentätern) noch über den Zaun gekommen war, alarmierte dies das Sicherheitszentrum von Kiryat Arba, da der Zaun mit einer Signalanlage versehen ist. Auf den Kameras wurde der Eindringling erkenntlich. Die Mitarbeiterinnen des Zentrums (ich habe einige Zeit in einem solchen im Gush Etzion gearbeitet) benachrichtigten die

Das Haus von Hallel und ihrer Familie. Quelle: Maariv
Das Haus von Hallel und ihrer Familie. Quelle: Maariv

innere Sicherheitseinheit, welche aus freiwillig in ihr dienenden Einwohnern besteht, und ebenso die Armee. Die ersten, die sich am Schnellsten zum Eindringungsort aufmachen konnten, waren die Schutzmänner der Sicherheitseinheit. Sie eilten zum Zaun und begannen, aus verschiedenen Richtungen das Haus einzukesseln, da es nicht klar gewesen war, wo sich der Täter in diesen Momenten befand. Anschließend, so berichtete einer von ihnen im Nachhinein den israelischen Medien, näherten sie sich dem Haus, bis drei von ihnen schließlich ins Innere des Hauses vordrangen – Yehoshua (Shuki), Chanoch und Amichai – der Vater des Mädchens, welcher ebenso in der Einheit diente. Dank diesem konnte wohl auch die Tür geöffnet werden, die zuvor vom Attentäter verschlossen worden war.

Kiyat Arba - Tatort, Bani Na'im - Wohnort des Terroristen
Kiyat Arba – Tatort, Bani Na’im – Wohnort des Terroristen

Als die drei hineingelangten, gingen sie in Richtung des Kinderzimmers. Direkt am Eingang sprang der Terrorist auf einen von ihnen, Yehoshua, und begann, auch auf ihn einzustechen. Chanoch erschoss den Angreifer. Auf dem Bett erblickten die drei die blutende Hallel. Sie wurde von den angekommenen Notfallärzten herausgebracht, ebenso der schwerverletzte

Hallels Zimmer. Die ersten Rettungseinsatzkräfte haben das Zimmer schon gereinigt.
Hallels Zimmer. Die ersten Rettungseinsatzkräfte haben das Zimmer schon gereinigt.

Yehoshua. Nach den ersten Wiederbelebungsversuchen wurde sie in den Notfallwagen gebracht und ins Hadassah-Krankenhaus gefahren, ebenso der verletzte Yehoshua. Die Frau von Yehoshua, die ebenso als Freiwillige des „Roten Davidssterns“ und als Krankenschwester arbeitete, sah den Ambulanzwagen fahren, als sie auf dem Nachhauseweg auf der Straße in der Siedlung war und stieg zu; der Patient offenbarte sich ihr als ihr Mann.

Hallel mit ihren Eltern Amichai und Rina und mit juengeren Geschwistern bei einem Besuch auf dem Tempelberg. Quelle: Nana
Hallel mit ihren Eltern Amichai und Rina und mit juengeren Geschwistern bei einem Besuch auf dem Tempelberg. Quelle: Nana

Im Krankenhaus fand das Drama sein bitteres Ende, zumindest, was Hallel anbetraf. Der Leiter des Traumazentrums des Hadassah-Krankenhauses berichtete den Nachrichtendiensten, Hallel sei durch die Messerstiche zu schwer verletzt worden und die Wiederbelebungsversuche hatten nicht geglückt. Hallel verstarb an ihren Wunden. Yehoshua befindet sich noch immer in der Notaufnahmestation und wird operiert.

Hallel beim Auftritt. Quelle: INN
Hallel beim Auftritt. Quelle: INN

Das Drama war vorbei, der Alptraum hatte erst begonnen. Für die Familie, Freunde und Nachbarn von Hallel; den Vater, einen Pädagogen und Weinbauern, für ihre Mutter Rina. Für die Schülerinnen der ehemaligen achten Klasse der Mittelschule in Kiryat Arba, welche Hallel vor einigen Tagen erfolgreich abgeschlossen hatte. Für ihre Tanzgruppe, mit welcher die 13-Jährige erst vor einem Tag eine erfolgreiche Aufführung gehabt hatte. Hallel liebte es zu tanzen, so erzählen ihre Eltern und Nachbarn.

„Sie hatte einen guten Charakter, ein gutes Mädchen, immer beliebt und von Freundinnen umgeben. Sie liebte diesen Ort, das schöne Haus, das Grün, sie fühlte sich sehr wohl“, so berichtete der Nachbar, der als Sicherheitsoffizier in der Siedlung fungiert, dem INN.

Der jüdischen Tradition entsprechend soll ein Toter so schnell wie

Das Trauersitzen (Shiva) von Familie Ariel. Auch Premierminister Netanyahu kam zu Besuch. Quelle: Nana
Das Trauersitzen (Shiva) von Familie Ariel. Auch Premierminister Netanyahu kam zu Besuch. Quelle: Nana

möglich begraben werden. Daher wurde die Beerdigung auf 18 Uhr Ortszeit gesetzt. Hallel wurde auf dem alten jüdischen Friedhof von Hevron, in der Hevroner Altstadt, in welcher sich die jüdische Gemeinde Hevrons befindet, beerdigt. Hunderte von Menschen erschienen auf der Beerdigung und begleiteten Hallel auf dem letzten Weg.

Was die offiziellen Reaktionen auf den Mord von Hallel und die Attacke auf Yehoshua angeht, so äußerte sich Premierminister Netanyahu zu dem Attentat und erklärte, die Arbeitsvisa für die Verwandten des 17-jährigen Terroristen zu streichen. Armeeeinheiten haben mittlerweile die Stadt Bani Na’im bei Hevron eingekesselt, in welcher der junge Attentäter gelebt hatte, die Familienmitglieder verhört und ebenso die Einfahrt nach Bani Na’im mit Betonblöcken versperrt Der Vater wurde aufs Armeerevier

mitgenommen. Die Mutter, so veröffentlichte es Ynet, beteuerte, nicht geglaubt zu haben, dass ihr Sohn die Attacke vollführt haben soll: „Er meinte immer, er wolle ‚etwas tun‘, aber wir dachten, er würde nur Spaß machen“.
Auch innerhalb des Gebietes von Judäa bis nach Ramallah im Norden Jerusalems wurden Straßensperren von der Armee errichtet.

(Quellen: Channel 2, Jerusalem Post, INN, Ynet, Walla)


Ein weiterer Artikel, aus persoenlicher Sicht geschrieben, laesst sich hier finden: Barbara Sofer, Jerusalem Post (uebersetzt): Je Suis Hebron


Bani Na’im, ebenso wie die gesamte Umgebung von Hevron, ist durchsetzt von Terrorzellen der Hamas und anderer islamistischer Terrororganisationen, und ihre Einwohner sind sehr anfällig für Radikalisierung. Zahlreiche Attentäter, welche Attacken auf

Terroregion Großraum Hevron - Karte
Terroregion Großraum Hevron – Karte

Zivilisten und Soldaten in und außerhalb der „Grünen Linie“ verübt hatten, auch in dem letzten halben Jahr, stammten aus dieser Region:  Dura  – Yatta – Bani Na’im  – Hevron- Sse’ir (alShuyuch)  – Halhul. So die drei Attentäter, welche in diesem Monat  (Juni) die Terrorattacke im Sarona-Zentrum in Tel Aviv zu verantworten hatten; der Attentäter, der vor etwa einem halben Jahr Jakov Don und Ezra Schwarz in einem Stau bei Alon Shevut erschoss; der Mörder von Dalia Lemkos im Oktober 2014, und schließlich auch die Entführer der drei Jugendlichen, Eyal, Gil-ad und Naftali, welche genau vor einem Jahr, am 30.06.14 , ermordet und eingebuddelt auf einem Feld beim Hevroner Vorort Halhul gefunden wurden.


spiegel-online-logoSeitens der deutschen Berichterstattung dürften diejenigen, die die heutigen Nachrichten größeren Medienkonzerne verfolgt hatten, eine kleine Überraschung erlebt haben:
So berichtete der SPIEGEL in einer uncharakteristisch informativen datazdfund sachlichen Art und Weise über den Terroranschlag und erwähnte ebenso die Terrorwelle und die israelischen Opfer der Attacken des letzten Dreivierteljahres. Die Meldung stammte aus der Nachrichtenagentur dpa.

Bei der „Tagesschau“ musste man Vorarbeit leisten:
Der Studentin Noemi Becher aus Frankfurt fiel in der Nachrichtenausgabe der „Tagesschau“ auf, dass der Mord mit tagesschau128-_v-banner3x1keinem Wort erwähnt wurde. Daraufhin schrieb sie einen Brief an die Onlineredaktion. Wenig später veröffentlichte die Webseite einen kurzen Bericht zum Attentat. Noemi postete auf ihrem Facebook-Profil:

Eigeninitiative hilft. Nachdem ich bei der Tagesschau nichts zum Attentat in Kiryat Arba gefunden habe, habe ich mich per Mail an die Redaktion gewendet und sie darauf aufmerksam gemacht, dass der Terror nicht in Tel Aviv anfing und dort auch nicht aufgehört hat. Ich habe auch ausdrücklich gefordert, dass der Attentäter nicht als das Opfer dargestellt wird. Kurz darauf erschien der Artikel auf ihrer Webseite. Zusammen mit den anderen, die eventuell auch eine Mail geschickt haben, haben wir etwas bewirkt.

Auch andere Medien meldeten sich im Laufe des Tages – so beispielsweise die BILD, RTL Online, Hamburger Morgenpost. Offenbar ließ sich der Mord an einer unschuldigen 13-Jährigen nicht einfach übergehen.

Der Bericht von ZDF heuteplus.
Der Bericht von ZDF heuteplus.

Am Ende des Tages kam auch das ZDF heuteplus mit einem gar außergewöhnlichen Bericht auf, welches sowohl einfühlsam und respektvoll über den Mord von Hallel berichtete, als auch mehr als deutlich auf den Hass hinwies, welcher in der palästinensischen Gesellschaft geschürt wird und dem vor allem Jugendliche ausgesetzt werden.

Leider schrieb keins der erwähnten Medien darüber, welche Überzeugungen der Attentäter selbst vor seiner Tat hegte. So verherrlichte er auf seinem Facebookprofil die jugendliche Terroristin, ebenso aus Bani Na’im, die vor einigen Monat Soldaten in Hevron angegriffen hatte und dabei erschossen worden war. So schrieb der 17-Jähriger, dessen Cousin laut Ynet bei einer versuchten Autorammattacke im März dieses Jahres von Soldaten erschossen worden war, am vorherigen Samstag auf Facebook:

„Ich will sterben. Das Sterben ist ein Privileg.“


Mein Bekannter Me’ir aus der Ortschaft Bet Haggai im Norden Hevrons berichtete einige Stunden nach dem

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Attentat, vor der Einfahrt nach Hevron (von seinem Haus aus zu sehen) würde eine lange Autoschlange stehen, die Autos wären mit Flaggen geschmückt und es würde gehupt werden: Sie hupen sicherlich deshalb, weil sie gute Zeugnisse heimgebracht haben“, schrieb Me’ir sarkastisch.

Ein anderer Bekannter, Moshe Rahmanov, veröffentlichte das folgende Bild und betitelte es „Bunkerbetten – bald im Angebot“:
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Es wäre lustig, wenn es nicht so realitätsnah wäre.

Spieglein, Spieglein – darf man das?

Zuerst leicht veraendert erschienen in der Ausgabe 05/2016 der Juedischen Rundschau.


Der SPIEGEL, Deutschlands populärstes Israel-verabscheuendes Magazin, braucht eigentlich keine Bilder, um die Absichten seiner Autoren zu unterstreichen. Seine Texte tun es bestens. Während beispielsweise die linksradikale Boulevardzeitung taz  nicht ganz für voll genommen werden kann, und die SZ und die FAZ  wenigstens noch versuchen den Anschein von Professionalität zu wahren, so fühlen sich der SPIEGEL und seine Ausgeburten wie „bento“ oder „Unispiegel“ in der deutschen Medienlandschaft selbstbewusst genug, um Israel mithilfe ihrer Autoren ihre Texte ungestraft um die Ohren zu hauen. Denn die Aufgabe des SPIEGELS in Bezug auf den jüdischen Staat besteht schon viele Jahre lange darin, abstoßende Ekel-Reflexe zu erzielen. Ein verfaulter Brei aus Verleumdungen und Halbwahrheiten wirkt als giftige Injektion einer emotional verseuchten Einschätzung des jüdischen Staates. Der SPIEGEL pfeift auf jegliches journalistisches Gewissen, und auf die Objektivität gleich mit.

Die UniSpiegel Ausgabe mit dem betroffenen Artikel. Ausgabe 02/2016
Die UniSpiegel Ausgabe mit dem betroffenen Artikel. Ausgabe 02/2016

Der aktuelle Stoff, der mir unter die Finger gekommen ist, behandelt das Thema „Ferien in Krisengebieten – Urlaub mitten im Nahostkonflikt“, er wurde von David Donschen verfasst und am 27. April 2016 auf der SPIEGEL-Webseite veröffentlicht. Das „Besondere“ daran: Das Kunstwerk ist bebildert. Illustriert von Philipp Lemm – zum besseren Verständnis für Leser, die schwer von Begriff zu sein scheinen. Es ist nämlich offiziell in der Mai-Ausgabe des Magazins „UNISPIEGEL“ abgedruckt worden; der „UNISPIEGEL“ ist für junge Leute gedacht, junge Leute sind der Ansicht der Redaktion nach schwer von Begriff – Idioten, auf gut deutsch, und die sollen die ihnen vorgelegte Idiotie auch noch mit Bilderchen im Comic-Format verziert bekommen, damit das Schlucken einfacher fällt. Die Portion wird ihnen auch noch kostenlos in den Mund gesteckt, denn der „UNISPIEGEL“ wird an den meisten Hochschulen kostenlos ausgelegt. Und die jungen Leute beeilen sich offenbar nicht, aus der Kategorie „leicht zu fütternderIdioten“ auszubrechen und man darf annehmen, dass sie in diesem Fall ganz bequem das schlucken werden, was man ihnen bebildert vorkaut.

Neugierig geworden? Dann los, lasst uns, nach Originalwortlaut des Textes, „die Hände schmutzig machen“ und das kostenlose Drecksstück auseinander nehmen.


Zunächst eine Frage: Welcher von den drei gezeichneten Personen ist der jüdische Siedler?

Illustration: Philipp Lemm
Illustration: Philipp Lemm
Illustration: Philipp Lemm
Illustration: Philipp Lemm
Illustration: Philipp Lemm
Illustration: Philipp Lemm

Nicht erraten? Es sind die zwei, die euch besonders unangenehm anstarren. Es ist nicht der nette bebrillte Junge im mittleren Bild. Der nette bebrillte Junge auf den Bildern heißt Eric und ist die Hauptfigur im Text. Er kommt aus den USA und mag Öko-Tourismus und Biofarmen. Um eine solche kennenzulernen, fährt er zu einer Dattelfarm im Jordantal, welche an der israelisch-jordanischen Grenze liegt, und arbeitet dort einige Tage zusammen mit einem Einheimischen auf seiner Dattelfarm. Sonne, Palmen, Datteln, Handarbeit. Hört sich soweit gut an und ist nicht schwer zu verstehen.

Bei meiner simplen Zusammenfassung tauchen aber schnell die ersten Probleme auf. Problem Nummer Eins: Einheimischer. Schön und gut, der amerikanische Tourist kommt zu einem Ortsansässigen, aber der Ortsansässige heißt nicht Achmed, Machmud oder Ra‘ed. Dann würde er nämlich ein ganz normaler Anwohner sein. Aber Eric arbeitet bei jemandem, der anders heißt:

Er…hebt gemeinsam mit dem israelischen Siedler Eyal einen Graben aus.

Eyal ist ein jüdisch-hebräischer Name. Daher ist die Identität des „Einheimischen“ oder „Anwohner“ problematisch, denn es gilt: jüdische „Einheimische“ gibt es nicht im Westjordanland. Juden gibt es dort nur als Soldaten, oder Siedler. Daher mag Eyal dort vielleicht wohnen, aber ist kein Einheimischer, diesen Status verdient er nicht. Er ist Siedler. Das ist schon eine ganz andere Kategorie von Mensch.

Problem Nummer Zwei: Seine Dattelfarm. Eyal ist zwar zugegeben einer ihrer Betreiber, aber hier ist der Haken: Siedler können keine Dattelfarmen haben, die ihnen gehören. Denn das Land, auf dem sie wohnen siedeln, kann ihres nicht sein. Sie mögen es persönlich gekauft haben, es mag niemandem zuvor gehört haben, es kann leer und steinig und unbebaut jahrzehntelang herumgelegen haben, sie mögen alle Nachweise dafür besitzen, dass dieses Land nach allen Rechten ihr Privatland ist und darauf Produkte kultivieren wollen – egal. Siedler sind per definitionem Landräuber. Denn es gibt keine „freilebenden“ Juden im Westjordanland. Juden sind Landräuber, entweder in Gestalt von Soldaten oder von Siedlern. Sie können kein Land besitzen. Erst recht keine Farm.

Eric ist ein netter Mensch. Er sieht nett aus, kommt, um Urlaub zu machen und hat auch nette Ansichten, die der SPIEGEL auch direkt dem Leser mitteilt, um Eric nicht allzu schlechtzumachen:

„In einer perfekten Welt gäbe es eine Zweistaatenlösung. Manche Leute sagen, die Juden hätten Anspruch auf das Westjordanland, weil Gott es ihnen gegeben hat“, meint Eric. Er halte aber eher zu den Palästinensern. „Die sind die Underdogs.“

Aber dennoch hilft Eric seine Haltung nicht. Denn er ist einer der Menschen, die der SPIEGEL in diesem Text eigentlich geißeln will: Er ist ein Kollaborateur, er macht gemeinsame Sache mit dem Siedler, denn er macht „Urlaub mitten im Nahostkonflikt“, und hier stellt das deutsche Magazin endlich die alles entscheidende Frage: Darf man das eigentlich?

„Darf man das eigentlich – hier Arbeitsurlaub machen? Oder facht man damit einen Konflikt an, der seit Jahrzehnten die Welt in Atem hält? Wie viel Verantwortung trägt ein Tourist?“

Spieglein, Spieglein an der Wand, darf man das eigentlich? Sich auf jüdischen Farmen die Hände schmutzig machen, darf man das eigentlich? Hinter Zäunen arbeiten, die Juden vor den Angriffen ihrer Nachbarn schützen, darf man das eigentlich? Menschen besuchen, die zu Illegalen erklärt wurden, darf man das eigentlich?

„Die Farm…steht mitten in einer Krisenregion und wird von israelischen Siedlern betrieben, die unter anderem nach Ansicht der deutschen Bundesregierung gegen internationales Recht verstoßen. Auch die EU erkennt das Westjordanland nicht als Teil Israels an – und hat Ende 2015 sogar eine Kennzeichnungspflicht für Produkte aus israelischen Siedlungen beschlossen.“

Als 1917 der britische Außenminister Lord Arthur Balfour in einer offiziellen, amtlichen Erklärung mitteilte, der jüdischen Bevölkerung der osmanischen Provinz und dem zukünftigen britischen Mandatsgebiet Palästina ein „nationales Heim“ zuzugestehen, da setzte er die Grenzlinien für dieses Heim nicht an

UniSpiegel, Ausgabe 2/2016
UniSpiegel, Ausgabe 2/2016

der heutigen Grünen Linie. Als das Wort „Westbank/Westjordanland“ zum ersten Mal von den Briten verwendet worden war, betraf es das gesamte Gebiet links vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer. Und als die NSDAP unter der Führung von Adolf Hitler in den 30er Jahren den Slogan „Juden raus! Auf nach Palästina!“ unter die Leute brachten, hätte niemand im Traum daran gedacht, dass ihre Nachkommen 70 Jahre später die Juden zu einem „raus aus Palästina“ auffordern würden.

“WWOOF steht für ‘Worldwide Opportunities on Organic Farms’. Nur Biobauernhöfe dürfen hier inserieren. Auf der Webseite ist die Rede von „kulturellen Lernerfahrungen“ und dem „Aufbau einer nachhaltigen, globalen Gemeinschaft“. Die politischen Umstände, unter denen die Biofrüchte gedeihen, scheinen Betreiber und Urlauber weniger zu interessieren.“

Hunderte von Deutschen, Franzosen, Schweden, Amerikanern, Briten und anderen engagieren sich Jahr für Jahr auf „palästinensischen“ Farmen, Feldern, in „palästinensischen“ Schulen mit dem Hass-Curriculum der PA über Projekte wie Karama, UNRWA, Oxford Center, Volunteers for Peace, um dort „kulturelle Lernerfahrungen“ zu sammeln, nehmen an gewalttätigen Auseinandersetzungen und illegalen Aktivitäten teil als Teilnehmer von Programmen wie „Palestine Solidarity Project“ oder TIPH, offenbar um den „Aufbau einer nachhaltigen, globalen Gemeinschaft“ zu fördern und das im vollen Bewusstsein der „politischen Umstände“ und ihrer Auswirkungen. Dann kommt aber ein US-Amerikaner, Eric, und bei der Wahl seines Urlaubsziels

ist ihm Politik weitestgehend egal.

Hier könnte man aufatmen und sagen „Endlich, da will einer nur friedlich pflanzen!“, doch gerade den politisch desinteressierten Eric nimmt der SPIEGEL ins Visier. Und da er den naiven Kerl nicht als Radikalen oder Fundamentalisten darstellen kann, so verwandelt das Magazin ihn in einen Kolloborateur:

„Die Freiwilligen auf der Siedlerfarm sind aber nicht nur stille Beobachter. Sie gehen den Siedlern zur Hand und legitimieren damit eine Besatzung, die die EU verurteilt.“

Leider hat niemand das Spieglein gefragt, daher übernehme ich die Drecksarbeit und frage: Die EU, die die Besatzung verurteilt, investiert auf einem in internationalen Abkommen Israel zugesprochenem Land in illegale Gebäude, Strukturen und Aktivitäten. Darf die EU das eigentlich? Verurteilen, für illegal erklären und illegal investieren? Aber gehen wir zurück zu Eyal, denn dieser bekommt ordentlich sein Fett weg, nicht nur der naive Eric:

„…seit Israel das Westjordanland 1967 im Sechstagekrieg besetzt hat, ist das Gebiet um den Jordan militärische Sperrzone. Die gut gesicherte Grenze sollte vor dem Einmarsch feindlicher Truppen schützen. Und die, die von jeher im Grenzgebiet wohnten, mussten nach und nach weichen. Ende der Sechzigerjahre wurden Hunderte palästinensische Familien von der israelischen Armee vertrieben. Danach hatten nur noch israelische Soldaten Zutritt. Erst 20 Jahre später erlaubte die Armee israelischen Siedlern schließlich, sich in den fruchtbaren Gebieten am Fluss niederzulassen. Dort, wo einst Palästinenser Obst und Gemüse angebaut hatten, wachsen nun Datteln ‚made in Israel‘.“

Im Jordantal rund um die Autobahn 90, zwischen der Bet ha Arava-Kreuzung und bis zu den Wassereservoirs des Kibbutz Tirat Zwi hinter der Grünen Grenze befinden sich mindestens 10 große und kleine „palästinensische“ Ortschaften, die über 20.000 Einwohner starke Stadt Jericho nicht mit eingerechnet. Zwischen 1948 und

Mit Sprechblasen zum besseren Verstaendnis versehen. "Ferien im Krisengebiet"
Mit Sprechblasen zum besseren Verstaendnis versehen. „Ferien im Krisengebiet“

1967 herrschte Jordanien über dieses Gebiet sowie über ganz Judäa und Samaria (= Westjordanland), und siedelte dort viele der „Palästinenser“ an, die infolge des Unabhängigkeitskrieges nach Jordanien geflohen waren. 1967, als das Gebiet durch die israelische Armee von der jordanischen Herrschaft befreit worden war, floh ein Großteil dieser, „palästinensischen“ Siedler, zurück nach Jordanien. Dennoch bestehen in diesem Gebiet arabische Ortschaften. Daneben befinden sich 22 dünnbesiedelte jüdische Gemeinden und die Plantagen an der Grenze zu Jordanien. Nach den Oslo-Abkommen 1994 gehört der Großteil des bewohnbaren Jordantals zum C-Gebiet, also verwaltet durch israelisches Militär und die Zivilbehörde. Die Stadt Jericho unterliegt der vollständigen Autonomie der PA und ihr Betreten ist für Israelis verboten.

Finden all diese Nuancen ihren Platz im Text von David Donschen? Unnötig zu fragen – für „UNISPIEGEL“ muss man sich keine Mühe mit historischen Fakten geben. Ominöse Andeutungen und Behauptungen reichen:

„Eine Gruppe Palästinenser rief kürzlich das höchste israelische Gericht an. Sie beklagen, dass ihnen der Zutritt zu ihrem Privatbesitz verwehrt wird – und stattdessen israelische Siedler auf ihrem Land Farmen betreiben. Die Entscheidung des Gerichts steht noch aus.“

Um welche Gruppe, um welchen Privatbesitz, welches Land und welche Farmen handelt es sich dabei? Richtig, Rückfragen gelten nicht beim Spieglein an der Wand. Eyal ist ein verbohrter jüdischer Siedler:

„Freiwillig hergeben wird Eyal seine Dattelbäume nicht. Die Farm soll sogar weiter wachsen.“

Deshalb ist jede Unterredung mit Eyal fehl am Platz, selbst wenn man ihn noch so nett bitten würde, seine Farm doch gefälligst abzubauen, auch wenn das höchste israelische Gericht noch gar nicht entschieden hat – Eyal wird nicht nachgeben, denn

für Eyal stellt sich die Frage nach dem rechtmäßigen Besitzer erst gar nicht.

Des SPIEGELs Aufgabe ist es, als mutiges Magazin die korrekten Antworten herauszufinden und zu liefern. „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der rechtmäßige Besitzer im ganzen Land?“ Ach, hätten doch Lord Balfour, die UN-Vollversammlung, Mosche Dayan, Bill Clinton, Jitzak Rabin und Benjamin Netanjahu so ein Spieglein bei sich zuhause hängen, es hätte ihnen schon längst alle wichtigen Antwort geliefert. Man hätte sich Arafat, Nasrallah, Ahmadinedschad und Haniyeh sparen können. Der SPIEGEL weiß das schon seit Langem, man muss ihn nur fragen.

Aber Eyal stellt keine Fragen, insbesondere nicht an den SPIEGEL, und bei so viel Verbohrtheit kann das Spieglein gar nicht anders und erklärt ihn für illegal (im ganzen Land?).

Obwohl Eyal von Gott und dem Erbe des jüdischen Volkes spricht, ist er kein religiöser Fundamentalist. Anstelle einer Kippa, dem Erkennungszeichen religiöser Juden, trägt er ein Basecap mit dem Logo eines Traktorherstellers.

Darf man das eigentlich, von Gott und dem Erbe des jüdischen Volkes sprechen? Denn dann ist man doch ein religiöser Fundamentalist!

Der SPIEGEL kann aber auch verständnisvoll sein. Er versteht beispielsweise, dass die Siedler auf ihrer Farm nervös sind; denn im Jahr 2002, so schreibt David Donschen,

stürmte ein bewaffneter „Palästinenser“ in die Siedlung und tötete einen Soldaten, eine Frau und ihre elfjährige Tochter.

Dennoch ist der Zaun um die Siedlung herum, bei welcher drei Menschen durch ein „palästinensisches“ Attentat aus heiterem Himmel ermordet worden sind, „abschreckend“:

„Von Eyals Veranda aus blickt man auf den abschreckenden Zaun, der die Siedlung umschließt.“

Und auch:

„…erheben auch die Palästinenser Anspruch auf die Fläche, auf der Eyals Dattelpalmen stehen. Doch ein vier Meter hoher Zaun versperrt ihnen den Weg.“

Ich zu meinem Teil als praktisch denkender Leser würde es sehr positiv finden, dass ein Ort, deren Bewohner und Bewohnerinnen von Attentätern bedroht sind, einen Zaun um sich hat, der potenzielle Attentäter abschrecken kann und diesen bei ihren Plänen den Weg versperrt. Aber für den SPIEGEL ist der Gedanke an die eigene Sicherheit eine egozentrische und verpönte Weltsicht:

„Die Touristen auf Eyals Farm scheint der ewig schwelende Konflikt höchstens dann zu interessieren, wenn sie sich Sorgen um ihre eigene Sicherheit machen.“

Dass die Einwohner selbst unter den Konsequenzen dieser Sorgen zu leiden haben, findet beim SPIEGEL nicht etwa eine Legitimierung, es findet nicht einmal Erwähnung. Denn wenn laut David Donschen Palästinenser „Anspruch auf die Fläche erheben“ und sie ein „vier Meter hoher“ Zaun von ihren gefühlten Ansprüchen trennt, dann kann man auch schon mal ausrasten, bewaffnet in die Siedlung stürzen und jemanden umlegen. Ein Zaun schreckt dabei nur ab, versperrt den Weg und stört bei der Ausführung der gerechtfertigten Tat. Darf man das eigentlich, unschuldige bewaffnete „Palästinenser“ bei ihrem Vorhaben behindern?

„Während die Weltgemeinschaft darüber berät, ob die Siedlungen nun legal oder illegal sind, schafft Eyal Fakten.“

Hier hat Eyal entgültig sein Existenzrecht verspielt. Denn Eyal schafft Fakten, ohne vorher nachzufragen, ob er das eigentlich darf. Er fragt nicht die Weltgemeinschaft, die EU, und was noch wesentlich schlimmer ist – er fragt nicht mal den SPIEGEL!

Um diese Farm geht es: Farm 298 in Hamra. Als Region wird "West Bank - Jordan Rifr Valley" verzeichnet.
Um diese Farm geht es: Farm 298 in Hamra. Als Region wird „West Bank – Jordan Rift Valley“ verzeichnet, sie wird aber unter WWOOF Israel gezaehlt.

„Inzwischen steht Eyals Farm auf WWOOF und anderen Freiwilligen-Plattformen wieder zur Auswahl, und er empfängt wieder zahlreiche Freiwillige, die anschließend Bewertungen auf dem Onlineportal hinterlassen. So wie Katleen aus Deutschland. Sie schreibt: ‚Es wird dir gefallen, wenn du kein Problem damit hast, dir die Hände schmutzig zu machen‘.“

Gut gebrüllt, Katleen. Genauso wie ein jeder, der kein Problem damit hat, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn er sich diesen Text zu Gemüte führen will.

Jetzt würde ich mich am Liebsten fragen wollen, „darf der SPIEGEL das alles eigentlich?“ Aber ich fürchte, das Spieglein an der Wand wird meine Frage nicht besonders mögen. Daher nehme ich das Risiko nicht auf mich und beantworte mir die Frage selbst.

Zum Weiterlesen: Palästinenser – von der Macht eines Wortes

Der Publizist Tomas Spahn auf der Meinungsplattform Roland Tichy in einer knappen, prägnanten und historisch dennoch sehr umfassenden Übersicht über die Entstehung des Begriffs „Palästinenser“ und die Rolle der – deutsche Medien, natürlich, wie könnte die moderne Geschichte ohne sie… Auch mir hat Tomas Spahn einige neue Fakten offenbart, und wer sich auf diese Übersicht nicht verlassen will, kann sich gerne die Erstquellen vornehmen und wird sich bestätigt wissen. Wie es heißt, „wer suchet, der findet“.  ( Für den Linktipp danke ich IK. )


 

Von der Macht eines Wortes Oder Als der SPIEGEL die Palästinenser erfand

Tomas Spahn, 22.03.2016

Palästinenser – ein Volk? Ja, vielleicht. Vor 3.000 Jahren … Über die Legende der Palästinenser und wie deutsche Medien ein Volk erfanden.

Palästina ist ein Begriff, der bis weit in die Vergangenheit reicht. Er findet sich erstmals im Tanach als Bezeichnung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, mit denen die frühen Hebräer des Öfteren zu tun hatten: Den Philistern – oder besser: Phéléshétjm (F-L- Sh-T-J-M).

Von den Philistern zu Palästina

Féléshétjm, das waren jene überwiegend in Städten wohnenden Menschen, mit denen die damals noch in Sippen lebenden inländischen Semiten regelmäßig Probleme hatten. Die Geschichte von Simson und Delilah ebenso wie die Legende von David und Goliath sind herausragende Beispiele, wie dieser Konflikt in das Alte Testament Einzug gehalten hat.

Doch zwischen Féléshétijm und Hebräern gab es durchaus auch friedliche Phasen der Koexistenz. Die häufig noch als Nomaden durch das Land ziehenden Sippen gingen zum Handel in die Städte der „Palästiner“, einige sogar siedelten sich dort an, wurden zu wohlhabenden Menschen – und wurden dennoch von den Küstenstädtern argwöhnisch beäugt. Bekannt sind auch Vertragsabschlüsse zwischen den Stadtführern und den Nomaden über die Nutzung von Wasserstellen – für die Nomaden von existentieller Bedeutung.

All das findet sich berichtet im Tanach. Israels Archäologen, allen voran Israel Finkelstein, haben mit ihren Forschungen weiteres Licht in die Geschichte gebracht und kamen zu der Überzeugung, dass jene Féléstétjm auch die „Kanaanäer“ (Kénýnjm) des Alten Testaments waren. Und dass aus Kanaanern und Hebräern im Laufe der Zeit jene Völker wurden, die im antiken Israel und Jahudah lebten.

Als die Griechen in Folge der militärischen Invasion des Alexander die Herrschaft über den Landstrich übernahmen, bedienten sie sich des altsemitischen Begriffs der „Féléshétjm“ und es entstand Παλαιστίνη – Palaistinéh. Als die Römer 63 vc die jüdischen Priesterkönige der Hasmönäer, deren Vorfahren 167 vc den unabhängigen Staat Judäa gegründet hatten, entmachteten und zurück in die Tempel schickten, übernahmen sie erst einmal die jüdische Bezeichnung. Roms neue Provinz im fernen Orient bekam im Jahre 6 nc von Kaiser Augustus den Namen Judaea. Doch da die ortsansässigen Juden ein aufmüpfiges Volk waren und Rom mit wenig humanen Mitteln einen dritten Aufstand um Bar Kochba erst 135 nc abschließend niederschlagen konnte, wollten die römischen Besatzer nun alles tilgen, was an die Juden erinnerte. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in der menschlichen Geschichte sollte jegliche Erinnerung an eine im Kampf unterlegene Gruppe final ausradiert werden.

Roms Kaiser Hadrian ließ daher das antike Jerusalem schleifen und es als Aelia Capitolina neu aufbauen. Die Provinz Judaea wurde im Rückgriff auf jene jüdischen Gegner der Kupferzeit in Palaestina umbenannt.

Kein jordanisches Palästina, kein palästinensisches Israel

Diese Maßnahme der siegreichen Kolonialherren der Antike wirkt bis heute. Denn als nach dem großen Waffengang der europäischen Imperien das 636 nc von den arabischen Gotteskriegern zwangsislamisierte Gebiet 1920 nc völkerrechtlich aus dem osmanischen Herrschaftsbereich herausgelöst wurde, griffen die poströmischen Sieger Großbritannien und Frankreich erneut auf die altsemitisch-griechisch-römische Bezeichnung zurück. Es entstand das Mandatsgebiet „Palestine“ oder Palästina, welches nun auch kurzfristig das Gebiet jenseits des Jordan umfasste und in dem – gemäß alliierter Zusage – eine Heimstatt auch für Juden geschaffen werden sollte.

Doch bereits 1923 wurde das Mandatsgebiet wieder geteilt und es entstanden Cisjordanien – im Wesentlichen das heutige Israel und Gaza – sowie Transjordanien. Für dieses Protektorat hatten die Briten bereits 1921 Abd Alah ibn Husain, Sohn des von den Sa’ud vertriebenen Sherif von Mekka, als Emir eingesetzt. Der wurde am 25. Mai 1946 König des in die Unabhängigkeit entlassenen Jordaniens und wegen seiner kooperativen Haltung gegenüber dem jungen Staat Israel am 20. Juli 1951 in Jerusalem von einem arabischen Extremisten ermordet. Heute ist Abd Alahs Urenkel Abd Alah bin al-Husein König des Steppenstaates – nach wie vor ein enger Verbündeter des Westens und liberaler Muslim.

So wurde schon mit der Teilung des Mandatsgebietes der antike Begriff Palästina wieder reduziert auf jene klassische Region zwischen Mittelmeer und Jordan. Ein „palästinensisches“ Jordanien, in dem die „Organisation zur Befreiung Palästinas“ – kurz PLO – 1970 mit syrischer Unterstützung einen Bürgerkrieg entfachte und von den Truppen des damaligen jordanischen Königs unter der Führung des aus Cisjordanien/Judäa stammenden Muhamad Daud bis Juli 1971 aus dem Land gejagt worden war, hat es niemals gegeben.

Die Eindringlinge

Aber – gab es nun ein cisjordanisches Palästina? Am 29. November 1947 hatten die Vereinten Nationen mit Resolution 181 (II) die Teilung Cisjordaniens in zwei demokratisch zu organisierende Staaten beschlossen. Der eine dieser zwei Staaten wurde nach dem Abzug der britischen Mandatstruppen am 14. Mai 1948 als Israel proklamiert und ist – trotz zahlreicher Versuche seiner Nachbarn, ihn auszulöschen – bis heute die einzig funktionierende Demokratie in der Region. Die nach den arabischen Angriffskriegen verbliebenen, nicht–israelischen Gebiete der römischen Provinz Palaestina werden heute autoritär entweder von der Hamas oder der PLO verwaltet – und diese haben mangels eigener historischer Identität sich den altsemitischen Begriff der Féléshétjm zu eigen gemacht, um damit ihren Anspruch auf das ehemalige Mandatsgebiet Cisjordanien zu begründen.

Das lässt es zweckmäßig erscheinen, noch einmal einen Blick auf die historischen Wurzeln des Begriffs „Palästina“ zu werfen – und zu einem für seine heutigen Anspruchserheber möglicherweise irritierenden Ergebnis zu kommen. Denn der altsemitisch-hebräische Begriff des „Féléshétjm“ lässt sich unschwer auf das Peh-Lamed-Shin des hebräischen Alphabets zurückführen. Félésh – das steht im Ivrit bis heute für „eindringen“. Féléshétjm – das waren für die Autoren des Tanach nichts anderes als „Eindringlinge“.

Historisch lässt sich das gut nachvollziehen, denn zwischen 1200 und 1000 vc kam es im östlichen Mittelmeerraum zu einer Völkerwanderung von Nordwest nach Südost, in deren Zuge nicht nur das vermutlich hethitische Troja vernichtet wurde, sondern die mit den in ägyptischen Archiven als „Seevölker“ beschriebenen Migranten mit militärischer Gewalt Siedlungsraum an den Küsten Ostägyptens und dem heutigen Israel erobern wollten. Die antiken Städte der Philister von Gaza bis Ekron waren ebenso Ergebnis dieser Völkerwanderung wie die Küstenstädte des heutigen Libanon.

Selbstverständlich waren diese Migranten für die ortsansässige Bevölkerung „Eindringlinge“ – und so ist es naheliegend, dass der Tanach dann, wenn er von „Féléshétjm“ spricht, tatsächlich „Eindringlinge“ und nicht etwa „Palästinenser“ meint. Die Küsten des kupferzeitlichen „Palästina“, das damals mangels Féléshétjm noch nicht so genannt werden konnte, wurden von einer Welle möglicherweise durch dorische Kriegsflüchtlinge oder klimatisch bedingte Hungerflüchtlinge erfolgreich übernommen. Eines allerdings waren diese aus hebräischer Sicht seinerzeit „echten“ Palästinenser zu keinem Zeitpunkt: Araber. Sie waren nicht einmal Semiten, sondern werden sich erst im Laufe der Jahrhunderte mit den ortsansässigen Semiten vermischt haben.

Viele unterschiedliche Menschen – keine Palästinenser

Als der britische Agent Thomas E. Lawrence zwischen 1917 und 1918 den Kampf des Sherif von Mekka gegen die Osmanen organisierte, kam er auch in die Region des heutigen Israel. Dort traf er auf zahlreiche Menschen unterschiedlichster Identität. Auf muslimische Araber und von Russland vertriebene Tscherkessen. Auf christliche Armenier und Aramäer. Auf Juden und sogar auf Berber, die in Folge der Niederschlagung des Aufstandes des Panarabisten Abd al’Qadir aus dem französischen Algerien in das Osmanische Reich geflüchtet waren. Auch gab es in den Gebieten zwischen Mittelmeer und Jordan nach wie vor Drusen und Maroniten. Eines allerdings gab es nicht: Palästinenser.

Und das blieb auch so – bis 1968 ein 1929 in Kairo geborener Araber dem deutschen Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ ein Interview gab. Dieser ägyptische Araber hatte 1957 als Fremdarbeiter in Kuwait eine Untergrundbewegung gegründet, die sich den Namen „Organisation zur Befreiung Palästinas“ gab. Sein Name lautete Yasir Arafat, Sohn der Verbindung eines aus Gaza stammenden Vaters und einer aus Jerusalem stammenden Mutter, die in den 1920er Jahren nach Kairo gezogen waren.

Abu Ammar und die arabische Nation

Als sich dieser Arafat 1968 erstmals mit dem SPIEGEL-Redakteur Helmut Sorge traf, nannte sich der frühere Muslimbruder Abu Amar und war Kopf einer Terrormiliz, die sich – so der Hinweis der Magazins – die Befreiung „Palästinas“ zum Ziel gesetzt hatte. Abu Amar Arafat spricht in dem Interview, das irgendwo in Jordanien nahe der Grenze zu Israel geführt wurde, laut deutscher Übersetzung von „arabischen Soldaten“, die „das Volk“ befreien werden. Er betrachtete sich laut dieser Übersetzung als Sprecher „unseres palästinensischen Volkes“ und „Vertreter des arabischen Volkes zwischen Atlantik und Persischem Golf“.

Nicht nur bei dieser letzten Formulierung wird es heikel – denn ein „arabisches Volk“ zwischen Atlantik und Persischem Golf hat es nie gegeben. Die Bewohner des Maghreb – Überbleibsel unterschiedlichster Besiedlungsphasen und lange Zeit christlich-römische Provinzen – wurden erst im Zuge des arabisch-islamischen Imperialismus zwangsarabisiert. Wenn Arafat diese Berber- und Maghreb-Stämme als „arabisches Volk“ bezeichnet, so folgt er damit letztlich der islamischen Idee seiner Muslimbrüder von der allumfassenden „Umah“, die jedoch nur Gläubige und Ungläubige kennt und regional- wie zeittypisch von Stämmen statt von Völkern ausgeht.

Gleichzeitig nutzt Arafat in dem in englischer Sprache geführten Interview angelsächsische Begriffe, um seinem westeuropäischen Besucher sein Anliegen zu erklären. Und der ist nun  ausgerechnet ein Deutscher und muss für seine Leser den englischen Text derart übersetzen, dass der Germane es auch versteht.

Die Deutschen und der Volksbegriff

Nun hat die deutsche Sprache – kultur-historisch bedingt – ein Volksproblem. Denn anders als das Angelsächsische unterscheidet sie faktisch nicht zwischen Nation und Volk. Die Idee des ethnisch reinen Staatsvolkes, mit der zuletzt Adolf Hitler einen bedeutenden und wichtigen Teil der Deutschen erst vertrieb und dann vernichtete, um anschließend die Welt mit einem Vernichtungskrieg im Namen „seines“ Volkes zu überziehen, ist in ihrem Kern tatsächlich ziemlich deutsch.

Für dieses deutsche „Volk“ nun gibt es kein wirkliches, angelsächsisches Äquivalent. Denn „folk“, welches man gewillt sein könnte als Übersetzung zu nutzen, hat mit dem deutschen „Volk“ wenig gemein. Weshalb der Deutsche „folk“ als „ländliche Bevölkerung“ versteht. Will er jedoch vom „Volk“ sprechen, so bedient er sich im Angelsächsischen der Begriffe „people“ oder „nation“. Beide aber entsprechen dem deutschen „Volk“ nicht. Denn das deutsche „Volk“ ist emotional. Es charakterisiert – im altgermanischen Stammesdenken verankert – eine durch das Blut geeinte Gemeinschaft eines Willens und eines Zieles – und ist deshalb für Führung stets anfällig. So fiel es denn auch den nationalsozialistischen Machtübernehmern in den dreissiger Jahren nicht schwer, die Losung des 1871 geeinten deutschen Nationalstaats, die da lautete „Ein Reich – Ein Volk – Ein Gott“, in „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“ zu pervertieren und damit nicht nur das Reich über das Volk zu setzen, sondern auch Gott durch Hitler zu ersetzen.

Die englischen „people“ nun sind erst einmal nur Menschen. Und „nation“ steht gemäß seinem lateinischen Ursprung für eine Gruppenzugehörigkeit qua Geburt – im deutschen Verständnis als „Nation“ von Staatsbürgern unterschiedlichsten Ursprungs zu verstehen.

Von der „arab nation“ und den „people of palestine“

Arafat spricht in dem Interview von „arab nation“ und „people of palestine“. Beides hat mit dem deutschen Volksbegriff nichts zu tun. Denn „the arab nation“, die arabische Nation, das war seinerzeit das Schlagwort des ägyptischen Fellachen Gamal abd a’Nasir, mit dem jener die sunnitisch-islamischen Länder, welche in diesem Falle tatsächlich vom Atlantik bis an den Indischen Ozean reichten, einen wollte. „The arab nation“ – das war das säkulare Pendant zum islamischen Kalifat.

Arafat hing damit einer zu jener Zeit schon ausrangierten, politischen Großmachtidee an, die 1958 den Ägypter Nasir zum Staatsoberhaupt der aus Ägypten und Syrien bestehenden „Vereinigten Arabischen Republik“ gemacht hatte. Lange hielt diese V. A. R. nicht. Schon 1961 verabschiedete sich Syrien aus dem Kunstprojekt – und der Panarabismus wurde zu einem Merkmal des sogenannten Nasserismus.

Dennoch ist nachvollziehbar, dass Arafat dieser panarabischen Idee des Nasir, die ihn offenbar geprägt hatte, auch 1968 anhing. Denn er brauchte, um mit seiner Terrororganisation erfolgreich zu sein, nicht nur eine Idee, sondern vor allem Geld. Dieses konnte er um so erfolgreicher bei den reichen Arabern einfordern, je erfolgreicher er ihnen ein schlechtes Gewissen einreden konnte. Die Idee des einen arabischen Volkes war dabei durchaus wirkungsvoller als der Versuch, für irgendwelche entfernten Vettern, die man laut Lawrence noch vor 50 Jahren im Zweifel für verweichtlichte Osmanenknechte gehalten hatte, in die Taschen zu greifen.

Gleichzeitig aber verstand sich Amar-Arafat als Kämpfer jener Menschen, die nach 1946 dem Aufruf seines Bekannten, dem Mufti von Jerusalem, gefolgt waren und ihre Heimat in der Erwartung, im Gefolge siegreicher arabischer Truppen heimzukehren, verlassen hatten. Dieses wiederum waren „the people of palestine“ – die Menschen von Palästina. Die waren 1968 noch weit davon entfernt, als eigenständiges Volk wahrgenommen zu werden, geschweige denn sich als solches zu verstehen. Denn – siehe oben – es waren Araber und Aramäer, Christen und Muslime – und selbst die Nachkommen von berberischen Rifbewohnern und zahllosen anderen Zuwanderern, die das Schicksal im Laufe der Jahrhunderte dorthin verschlagen hatte.

Wie der SPIEGEL das palästinensische Volk erfand

Der SPIEGEL übersetzte in treu-deutscher Manier all diese sich bei Arafat mangels Volksidee vermengenden Begriffe mit „Volk“ – und das, obgleich Arafat doch immer noch davon träumte, ein arabisches – oder besser: ein nicht-jüdisches – „Palästina“ in der großen, panarabischen Idee zu verwirklichen.

Da Arafat ein durchaus nicht dummer Mensch war, erkannte er recht schnell, welch positive, propagandistische Unterstützung ihm diese SPIEGEL-Hilfe bieten konnte. Als er 1974 vor der UN auftrat, adelte die Vollversammlung den Freischärler Arafat in wenig nachvollziehbarer Weise. Aus der Al Fatah als „Bewegung zur Befreiung Palästinas“ des Jahres 1968 war zwischenzeitlich die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ PLO geworden. Die wurde, obgleich sie sich bis zu diesem Zeitpunkt niemals irgendwelchen Wahlen gestellt hatte geschweige denn über ein Staatsgebiet und staatliche Verwaltungsstrukturen verfügte, als „offizielle Vertretung des palästinensischen Volkes“ anerkannt. Eines Volkes, das es selbst sechs Jahre zuvor noch nicht einmal in Arafats kühnsten Fatah-Träumen gegeben hatte.

Noch 2015 adelte „DER SPIEGEL Geschichte“ den als Terroristen gestarteten Ägypter als „Mr. Palestine“, für „seine Landsleute“ dazu durch seinen „bewaffneten Kampf“ gemacht.

„Seine Landsleute“ – ägyptische Araber? Oder alle heutigen und früheren Bewohner Cisjordaniens, aus dem Israel, Gaza und die  Westbank wurde, die nicht jüdischen Ursprungs sind? Und von denen kaum einer jemals gefragt wurde, ob er sich tatsächlich von einem Kairoer Berufsrevolutionär  (um an dieser Stelle diese nettere  Bezeichnung für terroristischer Freischärler zu verwenden) vertreten fühlt?

Möglich, dass sich viele der Bewohner im Westjordanland und im Gaza-Streifen heute als Anhänger Arafats verstehen. Ob sie damit bereits ein „Volk“ sind, darf allein schon mit Blick auf die Hamas angezweifelt werden. Denn die steht in gewisser Weise bis heute noch in der Tradition des frühen Abu Amar und träumt vom panarabischen Kalifat – aber selbstverständlich nicht wie dereinst Nasir in einem säkularen Staat, sondern unter dem Banner des Islam. Und dessen Staatsidee ist immer noch die Umah, in der Völker und Demokratie keine Rolle spielen.

Das Volk für den Westen und den Anti-Israelismus

Aber für den dummen Westen und die in Anti-Israelismus geeinten, mehr oder weniger „Vereinten Nationen“ macht es sich natürlich besser, von einem „palästinensischen Volk“ zu erzählen. Denn damit kann man das erfolgreiche, demokratische Israel vortrefflich als Unrechtsstaat diffamieren. Deshalb sind heute Teile jener Bewohner der früheren römischen Provinz Palaestina immer noch scheinbar zu Unrecht Vertriebene (die ihre Heimat dereinst freiwillig verlassen hatten) oder Bürger eines demokratischen Staates, dessen Existenzrecht von vielen Nachbarn bis heute nicht anerkannt wird – und das dennoch nach wie vor eine Bastion von Freiheit und auch Säkularismus im Nahen Osten ist.

Zum Weiterlesen: Der SPIEGEL im Kontext, U.Sahm

Im Lichte der aufgekommenen Diskussion ueber die Einstellung des SPIEGELs zu juedischem Wohnen in Judaea und Samaria (Westjordanland) und die journalistische Integritaet seiner Mitarbeiter und Redaktion, welche auf die Veroeffentlichung ueber mich im bento folgte, moechte ich eindruecklich auf den folgenden Artikel verweisen, den ich vor einigen Monaten hier wiedergegeben habe, naemlich ueber die sich ueber Jahre hinweg wandelnde Einstellung des SPIEGELs gegenueber juedischen Siedlungen. Der Text ist von Ulrich W.Sahm und wurde zuerst bei Audiatur Online veroeffentlicht. Sehr relevanter und lesenswerter Beitrag, gerade im aktuellen Kontext.


 

Von Neuzeit-Pionieren zu illegalen Menschen

Ulrich W.Sahm, 08.09.15

Die israelischen Siedlungen gelten zurzeit in der westlichen Presse und Politik als Kern aller Konflikte in der arabischen Welt. Gäbe es sie nicht, würde himmlischer Frieden von Marokko bis Afghanistan herrschen.

Hunderttausende Syrer, Iraker, Ägypter und Jemeniten wären noch am Leben und Europa müsste sich nicht mit Flüchtlingsmassen plagen. Da der SPIEGEL nicht müde wird, den siedelnden jüdischen Sündenbock an die Wand zu malen, bot sich an, das Archiv dieser Zeitung nach der Wurzel des Übels zu durchforsten.

Die Wahrnehmung der Siedlungen seit 1967
Es geht bei diesem Artikel keineswegs darum, den rechtlichen oder politischen Status der Siedlungen zu klären. Es soll hier der Wandel in der Wahrnehmung der Siedlungen dargestellt werden, im Wesentlichen anhand des öffentlich zugänglichen Archivs des Spiegels.

Erste Siedlungen interessierten niemanden
Im September 1967, wenige Monate nach dem Sechs-Tage-Krieg, gründeten Israelis in Kfar Etzion die erste Siedlung in den frisch besetzten Gebieten. Im Etzionblock hatten vor der Staatsgründung 1948 Juden in mehreren Dörfern auf legal gekauftem Land gelebt. Doch die Jordanier hatten sie bei blutigen Schlachten vertrieben. Nun wollten die ehemaligen Siedler und ihre Nachkommen heimkehren. Keine deutschsprachige Zeitung bemerkte diesen ersten Schritt zur späteren Siedlungspolitik.

 

Ähnlich ging Rabbi Mosche Levinger beim Pessach-Fest 1968 vor. Er mietete sich im Park-Hotel ein, um in Hebron, der Stadt der Erzväter, zu bleiben. Bei Pogromen waren 1929 alle Juden aus der Stadt Hebron vertrieben worden, in der sie fast 3.000 Jahre lang ununterbrochen nahe den Gräbern des Abraham und biblischer Erzväter gewohnt hatten.

Diese Neubesiedlung im ehemaligen jüdischen Viertel der arabischen Grossstadt Hebron löste in Israel Kontroversen und Demonstrationen aus. Interessant sind die Begriffe, die „Der Spiegel“ am 27.5.1968 veröffentlichte. Was das Wochenmagazin heute „illegale Siedler“ bezeichnet, hiess damals: jüdische Pilger, Israelis, Pilger-Stosstrupp, Parkhotel-Bewohner, strenggläubige Juden, Ansiedler, Eindringlinge, israelischen Pioniere, wilde Hebron-Siedler, Hebron-Pioniere.

Bewunderung für die Leistungen der Pioniere
In den Jahren danach werden Siedlungen immer wieder erwähnt, etwa bei Politikertreffen. Verständnisvoll spricht man vom Sicherheitsgürtel israelischer Wehr-Siedlungen. 1970 heisst es im Spiegel: „Den acht Pionieren vom „Kibbuz Golan“ folgten inzwischen Tausende weitere Kibbuzniks in die 1967 von Israel eroberten Gebiete. Heute siedeln Israelis bereits in 14 Dörfern auf den Golan-Höhen, neun Wehrdörfer baute Israel in Westjordanien, fünf Siedlungen gründeten die Israelis in den letzten drei Jahren auf der ehemals ägyptischen Sinai-Halbinsel.“

Strategische, geopolitische und wirtschaftliche Motive veranlassten Israels Regierung nach dem Sechs-Tage-Krieg, in den eroberten Gebieten Wehrsiedlungen anzulegen. „Je mehr Siedlungen in strategisch wichtigen Gebieten begründet werden“, proklamierte Vizepremier Jigal Allon, „umso eher sind wir künftig in der Lage, sichere Grenzen zu errichten.“ Mosche Dajan spricht gern von „neuen Tatsachen“, die mit den Wehrdörfern geschaffen würden, von „Israelisierung“ besetzter Gebiete. Und so berichtet der Spiegel ohne Erwähnung eines „Völkerrechts“ und ohne auch nur ansatzweise von „Illegalität“ zu sprechen:
„In kurzer Zeit entwickeln sich dann die Siedlungen der Neuzeit-Pioniere zu florierenden Unternehmen: Landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 4,5 Millionen Mark verkauften die Dörfler auf den Golan-Höhen im vergangenen Jahr. Nach einem Fünf-Jahres-Plan sollen dort bis 1975 etwa 3500 weitere Israelis in 17 Dörfern angesiedelt werden. Drei städtische und zwei weitere Touristik-Zentren im Gesamtwert von 300 Millionen Mark sind geplant. Das Nachal Dikla und das Nachal Sinai am Golf von Suez produzieren Wintergemüse, das bis nach Frankfurt und Zürich geflogen wird. Der Nachal Jam an der Bardawill-Lagune auf der Sinai-Halbinsel fing letztes Jahr 600 Tonnen Fische. Im salzhaltigen Jordantal züchten israelische Forscher Fische, die in bestimmten Salzwasser-Konzentrationen leben können. Letzte Woche weihten die Israelis am Toten Meer sogar ein Thermalbad ein — genau an der Stelle, wo vor fast 2000 Jahren römische Legionäre kurten. Die Wehrsiedlungen im Jordantal, oft nur einige hundert Meter von der Front entfernt, sind längst keine Provisorien mehr; sie sehen eher aus wie Musterfarmen: mit Blumenbeeten um die luftgekühlten Wohnhäuser, mit Swimming-Pool und modernsten Traktoren.“

Positive Darstellung
Bemerkenswert ist hier nicht nur die durchweg positive Darstellung der Siedlungen. Die Spiegel-Autoren scheinen die „Neuzeitpioniere“ für ihren Fleiss zu bewundern. Und ganz nebenher wird da erwähnt, dass es offensichtlich auch keinerlei Widerspruch in Europa gab. Wie selbstverständlich wird der Export der Siedlungswaren nach Zürich und Frankfurt erwähnt. Wohl zum Ausgleich werden da kurz Proteste in Israel erwähnt: „Der Kabinettsbeschluss erregte nicht nur die Araber, sondern auch linke Israelis. Der sozialistische Abgeordnete Uri Avnery sah darin „ein Manöver gegen den Frieden“. Vor dem Haus von (Ministerpräsidentin) Golda Meir demonstrierten Studenten mit Slogans wie „Entweder Frieden oder Ansiedlung“ und „Sicherheit — ja; Annexion — nein“.“

1979 kam die Wende
Israel verhandelte 1979 mit Ägypten über Frieden und so auch über das Schicksal der Siedlungen im Sinai. Deutschland versteifte sich auf das „Selbstbestimmungsrecht“, die ideologische Basis für die deutsche Wiedervereinigung. Israel wurde gedrängt, die PLO anzuerkennen, damals noch eine Terrororganisation. Menachem Begin und Anwar Sadat redeten über eine palästinensische Autonomie, die Palästinensern mehr gegeben hätte als die 1993 von Jitzhak Rabin und Jassir Arafat ausgehandelten Osloer Verträge. Doch die PLO lehnte ab. Für die Medien, und so auch für den Spiegel, war das eine Gelegenheit, die Siedlungen als „Hindernis für den Frieden“ darzustellen. Aussenminister Mosche Dajan sagte damals schon seinem deutschen Amtskollegen Genscher, dass Israel ein komplettes Abräumen aller Siedlungen nicht akzeptieren könne, weil damit das Westjordanland „judenfrei“ gemacht würde. Dieses Motiv in Nazisprache taucht immer wieder auf, zuletzt gegenüber Frank-Walter Steinmeier.
Inzwischen waren die Siedler zu einem zunehmend kontroversen Thema geworden, etwa mit der Gründung der Gusch Emunim Bewegung. Da änderte sich auch der Ton in der Berichterstattung. Hier Begriffe aus einem Artikel im Spiegel vom 26.11.1979: Gusch Emunim, Israels radikale Siedler-Sekte, Gruppe orthodoxer jüdischer Glaubenseiferer, Fanatiker mit einflussreichen Freunde, chauvinistische Zeloten, amokblinde „Vorläufer des Faschismus“, vaterländische Eiferer, pseudo-messianische Minderheit.

Wie heisst das besetzte Westjordanland?
Bemerkenswert ist hier, wie sich die Bezeichnung von Cisjordanien wandelt. Es wurde zunächst „Westjordanien“ genannt, dann „Westufer des Jordans“, „Judäa und Samaria“ oder auf Englisch „Westbank“. Erst in neuerer Zeit bürgerte sich der Begriff „Palästinensergebiete“ für das gesamte Westjordanland bis zur „Grenze von 1967“ ein. Diese „Grenze“ war freilich nur eine zwischen Israel und Jordanien ausgehandelte „Waffenstillstandslinie“, ohne Auswirkungen auf künftige diplomatische Verhandlungen, laut dem Rhodos Abkommen von 1949.

Illegale Siedlungen
Der Begriff „illegal“ wurde in den ersten Jahren nach 1967 allein für Siedlungen verwandt, die ohne Segen der israelischen Regierung errichtet worden sind. Sie waren also gemäss israelischer Vorstellung illegal. Das galt nicht für die Siedlungen in Gusch Etzion oder von der Regierung errichteten Städte wie Kirjat Arba oder Maaleh Adumin.
In einem Interview mit Mosche Dayan erwähnten Spiegel-Reporter am 13.08.1979, dass die Amerikaner in den besetzten Gebieten errichtete israelischen Siedlungen für „illegal“ halten. Aus dem Kontext geht jedoch hervor, dass hier nicht pauschal alle Siedlungen gemeint sind, sondern nur die sogenannten „Vorposten“, die „wild“ errichtet worden sind. Israel hatte sich tatsächlich im Rahmen der sogenannten „Roadmap“ von 2003 dazu verpflichtet, sie zu räumen.

Mit der Rede von Präsident Barack Obama in Kairo am 4. Juni 2009 begann eine neue Sichtweise. Obama wollte den Islam und die arabische Welt „umarmen“. Er bezeichnete erstmals die israelischen Siedlungen als „illegitim“ und seitdem werden die Siedlungen grundsätzlich allesamt für „illegal“ erklärt. Er kreierte damit nicht nur eine neue Sprachregelung, sondern schuf gleichzeitig ein exklusives Völkerrecht speziell für Israelis. Zuvor hatten amerikanische Präsidenten darauf geachtet, die Siedlungen als „Hindernis für den Frieden“ zu bezeichnen. Sie galten damit als Objekt für künftige Verhandlungen, wie viele andere Steine des Anstosses. Indem jedoch Obama die Siedlungen für illegitim, also de facto „illegal“ bezeichnet und ihr Verschwinden gefordert hat, setzte er dem Friedensprozess und den israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen einen Todesstoss. Der palästinensische Chefverhandler Saeb Erekat wurde sinngemäss zitiert: „Wenn die Amerikaner die Siedlungen für illegal halten, können sie von uns Palästinensern nicht mehr erwarten, darüber zu verhandeln. Denn dann ist es die Aufgabe der Amerikaner, diesen illegalen Zustand abzuschaffen.“

Berufung auf das Völkerrecht
Mit der Darstellung der Siedlungen als „illegal“ verschärfte sich auch die Diskussion um das „Völkerrecht“. Dabei ist das Völkerrecht keineswegs eindeutig. Manche Juristen fragen, ob die Genfer Konvention zwingend auf die von Israel besetzten Gebiete anwendbar sind. Denn israelische Siedler werden von niemandem „gezwungen“, in die besetzten Gebiete zu ziehen, was in der Genfer Konvention „Deportation“ oder „Transfer“ entspräche. Das Westjordanland hat zudem seit dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches 1917 keinem souveränen Staat gehört. Jordanien oder Ägypten waren nur Besatzer. Was also in der Welt seit der Rede Obamas 2009 als Konsens gilt, ist unter Völkerrechtlern durchaus umstritten.

Kennzeichnung von Waren aus besetzten Gebieten
Der Reigen um eine Kennzeichnung von Waren aus den besetzten Gebieten begann durch Zufall. Pflichtbewusste Zöllner im Hamburger Hafen bemerkten 2010, dass Sodastream, Hersteller von Wassersprudlern, keine Adresse im Kernland Israels nachweisen konnten. Doch das Freihandelsabkommen mit der EU sah vor, dass Waren „Made in Israel“ aus Israel stammen müssten. Die besetzten Gebiete gehörten nicht dazu. Sodastream weigerte sich, Zoll in Höhe von 19.155,46 Euro zu entrichten. Der Fall kam vor das EU-Gericht und da wurde entschieden, dass Waren aus den besetzten Gebieten voll verzollt werden müssten. Israel sollte fortan die Herkunft seiner Waren genau kennzeichnen. Derartige Vorschriften gelten nur für Israel und nicht für andere Länder wie Türkei oder Marokko. So wurde eine Kampagne losgetreten, die sich nicht nur die BDS (Boykott)-Bewegung zunutze machte.

Die Darstellungen heute
Heute beschränkt sich die Darstellung der Siedlungen beim Spiegel, bei der ARD und vielen anderen Medien fast ausschliesslich auf Negativ-Themen. Die modernen Schlagworte sind Häuserzerstörungen, Wasserklau, Landenteignungen oder Überfälle extremistischer Siedler auf Palästinenser. Dass in den Siedlungen, darunter in Vierteln Jerusalems jenseits der „Grünen Linie“, eine halbe Million normale Israelis leben, wird vollkommen negiert: Linke, Fromme, Einwanderer, Rechte und Araber.

Die Berichterstattung geht sogar einen gefährlichen Schritt weiter, indem über „illegale Siedler“ gesprochen wird, wobei nur Juden im Sinne der Lex–Obama gemeint sind. Niemals würde SPON so über Palästinenser schreiben, die in „illegal“, also ohne Baugenehmigung errichteten Häusern, wohnen oder siedeln.

Wer Menschen für „illegal“ erklärt, spricht ihnen das Recht auf Leben, das Existenzrecht ab.


 

SPIEGEL ONLINE/bento: Chaya ist das Problem

Seit vorgestern, 25.02.16, kocht und brodelt das Netz um mich herum. Kein Wunder: Das angekündigte Portrait „der Siedlerin“ aus Judäa ist endlich im bento, dem jugendlichen Tochtermagazin von Spiegel Online erschienen:

"Warum eine deutsche Jüdin im Westjordanland lebt", bento, 25.02.16
„Warum eine deutsche Jüdin im Westjordanland lebt“, bento, 25.02.16

Zunächst einmal – alle, die darauf gewartet oder nicht gewartet und bisher noch nicht gelesen haben – ich lade euch herzlich ein, das Portrait zu lesen und sich eigene Eindrücke zu machen. Leider bin ich aus verschiedenen Gründen nicht dazu gekommen, früher darüber zu berichten. Selbstverständlich würde ich mich sehr darüber freuen, wenn ihr mich an euren Gedanken teilhaben lässt, unten in der Kommentarspalte. ⇓

Und jetzt, mit Verlaub, gebe ich etwas von meinem Senf dazu, als eine, die auch ein wenig den Hintergrund zu der gesamten Geschichte kennt.


Das Ergebnis des Besuches von Spiegel-Reporterin Jennifer Bligh und Fotograf Jonas Opperskalski, unserer mehrstündigen persönlichen Gespräche, Hintergrundinformationen und Erklärungen, der Führung rund um meine Karavanensiedlung  und der Fotosession ist meiner Meinung zweifach zu bewerten.

Das Positive?

Meine Besucherzahlen sind um ein Vierfaches gestiegen. Mein Blog wird seit dem 25.02 nicht mehr nur von Deutschen, Israelis und Schweizern, sondern sonderbarerweise auch von Schweden und Amerikanern besucht. Und meine Aufrufzahlen insgesamt belaufen sich seit Freitag auf 100.000 Besucher!!!! Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Dutzende von positiven, aufmunternden Kommentaren und privaten Nachrichten haben mich erreicht, Facebookfreunde und zahlreiche Unbekannte unterhalten sich über das Schriftstück und Neuentdecker meines Blogs berichten mir aufgeregt, sie würden ab jetzt mit größtem Interesse meine Berichterstattung verfolgen. Besseres könnte man sich gar nicht wünschen. Außerdem ist es durchaus kein schlechtes Ding, zu wissen, dass das eigene Projekt auf die Hauptseite der SPIEGEL-Berichte gekommen ist. Denn welchen Ruf der SPIEGEL auch bei uns Israelfans genießen mag, ist es dennoch das zentrale deutsche Magazin. Come on, gebt’s zu. Es ist wirklich nicht alles so furchtbar im SPIEGEL. Wie ein guter Freund zu mir meinte, „es gibt keine schlechte Werbung“. In meinem Métier ist das tatsächlich ein wahrer Satz. Auch die Fotos von Jonas Opperskalski sind eine Bewunderung wert. Das war, genau genommen, auch mein erstes Fotoshooting gewesen und ich bin vollends zufrieden damit. To be continued…

Und was ist mit dem Negativen?

Das Negative ist der Rest.

Sprich, der Text selbst, der journalistische Standard, die Professionalität oder eher ihre gähnende Abwesenheit, die Präsentation seitens der Autorin, die einschlägigen Motive des Textes, seine Überarbeitung durch die Redaktion im Vergleich zum Entwurf, der mir vor der Veröffentlichung vorgelegt worden ist.

Vor der Veröffentlichung der Reportage wurde ich mit einigen gutgemeinten Ratschlägen versorgt, nach dem Motto „nehme dich in Acht, der SPIEGEL wird kein gutes Haar an dir lassen“. Im Nachhinein bekam ich die gerechten Zornesausbrüche und enttäuschten Feedbacks meiner Freunde und Leser zu Gesicht. Manche davon ähnelten denen einer „jiddischen Mamme“ – „wir haben es dir doch gesagt!“ Und bei allem Amusement, den ich von diesen Rückmeldungen hatte, liebe Freunde, eins muss ich euch sagen – das Risiko war mir bewusst. Aus meiner Erfahrung mit deutschen Medien, und insbesondere dem SPIEGEL, wusste ich, worauf ich mich einlasse. Denn außer der Journalistin vor Ort, Jennifer, einer netten jungen Frau mit geringer Ortskenntnis und manchmal recht seltsamen, aber dennoch interessierten Fragen zu dem Leben in Judäa und Samaria, gibt es ja noch die SPIEGEL-Redaktion. Und diese verfolgt ohne Zweifel die politisch korrekte Leitlinie des unzensierten Siedler-(nein, nicht Juden, Siedler!)hasses und, um dieser treu zu bleiben (alles hat sein Recht und seine Ordnung!), darf in einem Magazin, mag es noch so oberflächlich und ideologielos sein wie das „Jugendmagazin bento“ (man schaue sich nur deren Themenauswahl an), das Portrait einer Siedlerin im Westjordanland keinesfalls so ausfallen, dass man noch auf die Idee kommen könnte, diese zu befürworten.

Und das wurde auch mit allen Mitteln versucht, zu verhindern. Ob nun seitens Frau Bligh oder seitens der Redaktion. Die Details versuche ich noch, herauszufinden. Ich möchte niemandem einen schlechten Ruf verpassen, wozu auch? Der Text spricht für sich selbst.

Und genau hier begingen bento/SPIEGEL einen Fehler.

Denn die „unschöne“ Schreibweise, in der dieses nur wenige Absätze lange Portrait verfasst worden ist,  ließ so manche Leser und Kommentatoren zurückschrecken; so war vielen der 130 Kommentare auf der Seite zu entnehmen, bevor sie gelöscht wurden. Beispiele gefällig?

Erst zu meiner Charakterisierung. Ich bin ein Protestweib, das die Realität daran hindert, zu einer friedvollen Normalität umgewandelt zu werden. Das geht aus dem Untertitel des Artikels hervor („behindert mit ihrem Wohnort den Friedensprozess. Für sie ist das

Böse Chaya.
Böse Chaya. Wusste übrigens nicht, dass ich in Nablus oder Jenin leben kann. Ich werde mich informieren müssen.

Protest“), aus den ersten Absätzen („provoziert…Frieden verhindert“). Nach der saftigen Behauptung, die Siedlungen verstößten laut der UNO gegen das Völkerrecht, wird noch eins drauf gesetzt:

„Chaya sieht das anders – und ist damit Teil des Problems“

Ein Problemmensch also. Ein Mensch, in deren Welt es Dinge, die trotz ihrer Realitätsferne und ihrer de facto Nichtexistenz  – solche, wie die Zwei-Staaten-Lösung – zum internationalen Konzensus gehören, den man gefälligst zu respektieren habe, nicht gibt. Klar, dass eine solche Dreistigkeit entsprechend bestraft werden muss.

Mein problematisches Dasein muss also auch durch persönliche Eigenschaften belegt werden, die mir verpasst werden. So spreche ich nicht, sondern „rattere herunter“ , „rufe“ oder  „lache unschön auf“. Überhaupt scheine ich für die Reporterin entschieden zu oft

Unschön. Das Lachen, aber auch die journalistische Ausdrucksweise.
Unschön. Das Lachen, aber auch die journalistische Ausdrucksweise.

aufzulachen. Vielleicht hat ihr mein Humor nicht gefallen?, denke ich mir heute. Ganze zwei Mal erwähnt sie es im Text. Ansonsten ist meine Gesprächsweise „herausfordernd“, meine Stimme hat „einen Hauch von Trotz“ und auch habe ich die Frechheit, Dinge zu ignorieren, die für alle eigentlich so „simpel“ sein sollten wie das ABC: Siedlungen sind illegal.

Jennifer Bligh berichtigt das Völkerrecht.
Jennifer Bligh berichtigt das Völkerrecht.

So simpel möchten es SPIEGEL und bento haben. Leider ist das Völkerrecht selbst dort anderer Meinung. Somit wird es die UNO, die man für alles heranzieht, was nur ein wenig Hauch von Verleumdung gegen Israel mit sich trägt, auf völkerrechtlicher Ebene auch etwas differenzierter handhaben. Soweit also zu „Chaya sieht es anders“.

Übrigens müsste ich bento und Jennifer Bligh etwas mitteilen, was sie vielleicht so noch nicht gehört haben: Der SPIEGEL hat den Siedlungsbau auch anders gesehen. Vor 1979 nämlich. Da waren die Siedler noch mutige Pioniere, oder aber gänzlich uninteressant. Und das ist wahrlich nicht Chaya, die es herausgefunden hat, sondern Ulrich W.Sahm. Ob er damit auch Teil eines Problems ist? Das kann gut sein. Immerhin wurde er als Journalist aus allen deutschen Mainstreammedien verbannt.

Bei einem weiteren Thema scheint es bento darauf anzulegen, einen Anruf von der Presseeinheit der israelischen Armee zu erhalten. Jennifer Bligh/bento behaupten nämlich, die drei Jugendlichen Eyal, Gil-ad und Naftali, die im Sommer 2014 in Gush Etzion entführt und

bento macht der Hamas die Entführung streitig. Ein Fall für den Pressesprecher der IDF?
bento macht der Hamas die Entführung streitig. Ein Fall für den Pressesprecher der IDF?

ermordet worden sind, seien nur „angeblich“ von der Hamas entführt worden. Dass die Hamas selbst es anders sieht, die beiden Attentäter auf die Ausführung hin vorbereitet hat, die Entführung gefeiert und daraufhin sich auch in einen Krieg mit Israel gestürzt hat („Operation Fels in der Brandung“), schien an Jennifer Bligh vorbeigezogen zu sein. Wie auch, denn als ich ihr diese Information mitgeteilt habe, hat sie nur auf das Tempo geachtet, in welchem ich es gesagt habe („EswirdeinSatzzueinemWort“), der Inhalt war zu herausfordernd, um ihn zu verstehen. Da bin ich natürlich selbst daran schuld. Wie auch sonst an diesem Unglücksartikel.

Den absoluten Wissensmangel und die ins geübte Auge stechende Abwesenheit von jeglicher Professionalität bei diesem Text versucht der Artikel mit Meinungsmache zu vertuschen. Es gibt

Tja, was ist mit ihnen? Ich weiß es nicht, aber wenigestens haben sie mein "Allahu Akbar" gelassen.
Tja, was ist mit ihnen? Ich weiß es nicht, aber wenigestens haben sie mein „Allahu Akbar“ gelassen.

zwar den „roten Kasten“, der über die Situation in Judäa und Samaria aufklären will. Aber in einer der fetten Absatzüberschriften steht „Und was ist mit den Menschen in Gaza?“ Ich würde die Frage gerne zurück stellen, was ist denn mit den Menschen in Gaza? Was haben sie mit meiner Anwesenheit in Judäa zu tun? Vielleicht sollte man dafür die Menschen in Gaza fragen und nicht mich, die ich dieses Fleck Land im Leben nicht betreten habe, und die Fragestellerin ebenso (sie hat ja erst vor Kurzem ihre eigene jüdische Verwandschaft entdeckt und ist so nach Israel gekommen)? Ich antworte also, Gaza sei geräumt worden. So wird es auch zitiert. Der Interpretationsfreiraum für diese bombenfeste (wortwörtlich) Faktenlage wird den noch weniger gebildeten Lesern

Gut, dass bento Bescheid weiss.
„Unrealistisch“: Nur gut, dass bento Bescheid weiss.

gelassen. Auch die Tatsache, dass es noch nie einen palästinensischen Staat gegeben hat, wird zur Auslegung freigestellt. Hatten wir schon „simpel“ gesagt? Ja, Geschichtsumschreibung war noch nie so simpel wie im 21.Jahrhundert. 

Noch ein bisschen zum Insiderwissen: 

Als ich den Artikelentwurf per Email bekommen habe, sah er noch ganz anders aus. Da wurde über die Attentate gesprochen, die sich bei uns in der Gegend ereignet haben. Da findet die Tatsache, dass ich gegen Enteignungen von palästinensischem Privatbesitz bin, Erwähnung.. Da habe ich noch berichtet, dass ich Palästinenser in einer Farm besucht habe. Da sei der Zugang zur Siedlung über die Felder der arabischen Nachbarn noch offen, meine Redeart nicht „herausfordernd“, sondern „Meisterleistung“ und was meine Sichtweise auf die jüdische Religion angeht, so sei sie „differenziert und reflektiert“. Sogar mein Vorwissen zum Thema israelisches Gesetz und internationales Recht wird erwähnt.

All das verschwindet nach der Veröffentlichung. Meine Bitte, die Arbeit bei der „Jüdischen Rundschau“ zu erwähnen und das „Rufen“ als Prädikat aus dem Text zu entfernen, wird nicht berücksichtigt. Heraus kommt ein an Information mangelndes, Gift und Galle spuckendes und von Vorurteilen geradezu getränktes Essay, das, anstatt mich als Person vorzustellen und Einblick in meine selbst für Fortgeschrittene komplizierte Welt zu gewähren, sich an der eigenen Richtigkeit und Rechtschaffenheit ergötzt und alles daran setzt, mich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu diffamieren. Nicht umsonst wurde der Beitrag wohl  nicht mehr und nicht weniger, als unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit“ publiziert.

Gerechtigkeit und ein ungerechter Artikel. Ganz nach SPIEGEL-Tradition.
Gerechtigkeit und ein ungerechter Artikel. Ganz nach SPIEGEL-Tradition.

Bevor die Kommentare auf der Artikelseite zensiert worden sind, habe ich einige davon lesen können. Nicht alle waren vernichtend. Es gab offenbar genug klardenkender Leser, die die Schreibweise dieses Textes angeprangert haben. Ein Kommentator namens Heinz hatte danach gerufen, mich beim „deutschen Staatsanwalt“ zu verklagen, weil ich mit meinem Wohnsitz die Genfer Konvention bräche. Schade, dass ich davon keinen Screenshot gemacht habe.

Mancher möge sich jetzt fragen, „war es das Ganze wert? Hattest du diese Verleumdung nötig?“

Ich sage eindeutig – ja. Ich sehe jetzt schon, dass die Veröffentlichung mir  mehr Leser und Follower eingebracht hat und mich mehr ins deutsche Bewusstsein gerückt hat. Das ist sehr gut, es ist eins meiner Ziele bei meiner Arbeit und es freut mich, wenn mehr und mehr Menschen auf die Realität aufmerksam werden, die ich versuche zu vermitteln.

Demnach – Respekt und Hochachtung gebühren SPIEGEL und bento eindeutig nicht für diese „Meisterleistung“. Aber ein verschmitztes „Danke“ – definitiv. Und, wie es so schön im Hebräischen heißt, „seid mir gesund!“ Wer Hebräisch kann, wird die Andeutung verstehen. 🙂


Weitere Rezensionen und Kommentare zu dem Artikel bei bento:
Gerd Buurmann
Roger Letsch
Elisabeth Lahusen

Von Neuzeit-Pionieren zu Illegalen: U.Sahm

Inspiriert durch die Israel-Podiumsdiskussion auf den ACHAVA-Festspielen in Erfurt am vergangenen Wochenende, veröffentlichte Langzeit-Nahostkorrespondent Ulrich Sahm bei Audiatur Online eine zusammengefasste Recherche über die Weise, wie der deutsche SPIEGEL über Jahre seine Berichterstattung über die jüdische Ansiedlung in Judäa und Samaria nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 wandelte. Sehr spannender Abriss über die Wandlungsfähigkeit der Medien und ihren Einfluss auf unser Denken…

(Meine Rückmeldung zum Podium beim ACHAVA-Festival, Fotos und anderes folgen in absehbarer Zeit.)


 

Von Neuzeit-Pionieren zu illegalen Menschen

Ulrich W.Sahm, 08.09.15

Die israelischen Siedlungen gelten zurzeit in der westlichen Presse und Politik als Kern aller Konflikte in der arabischen Welt. Gäbe es sie nicht, würde himmlischer Frieden von Marokko bis Afghanistan herrschen.

Hunderttausende Syrer, Iraker, Ägypter und Jemeniten wären noch am Leben und Europa müsste sich nicht mit Flüchtlingsmassen plagen. Da der SPIEGEL nicht müde wird, den siedelnden jüdischen Sündenbock an die Wand zu malen, bot sich an, das Archiv dieser Zeitung nach der Wurzel des Übels zu durchforsten.

Die Wahrnehmung der Siedlungen seit 1967
Es geht bei diesem Artikel keineswegs darum, den rechtlichen oder politischen Status der Siedlungen zu klären. Es soll hier der Wandel in der Wahrnehmung der Siedlungen dargestellt werden, im Wesentlichen anhand des öffentlich zugänglichen Archivs des Spiegels.

Erste Siedlungen interessierten niemanden
Im September 1967, wenige Monate nach dem Sechs-Tage-Krieg, gründeten Israelis in Kfar Etzion die erste Siedlung in den frisch besetzten Gebieten. Im Etzionblock hatten vor der Staatsgründung 1948 Juden in mehreren Dörfern auf legal gekauftem Land gelebt. Doch die Jordanier hatten sie bei blutigen Schlachten vertrieben. Nun wollten die ehemaligen Siedler und ihre Nachkommen heimkehren. Keine deutschsprachige Zeitung bemerkte diesen ersten Schritt zur späteren Siedlungspolitik…

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