Seit vorgestern, 25.02.16, kocht und brodelt das Netz um mich herum. Kein Wunder: Das angekündigte Portrait „der Siedlerin“ aus Judäa ist endlich im bento, dem jugendlichen Tochtermagazin von Spiegel Online erschienen:

Zunächst einmal – alle, die darauf gewartet oder nicht gewartet und bisher noch nicht gelesen haben – ich lade euch herzlich ein, das Portrait zu lesen und sich eigene Eindrücke zu machen. Leider bin ich aus verschiedenen Gründen nicht dazu gekommen, früher darüber zu berichten. Selbstverständlich würde ich mich sehr darüber freuen, wenn ihr mich an euren Gedanken teilhaben lässt, unten in der Kommentarspalte. ⇓
Und jetzt, mit Verlaub, gebe ich etwas von meinem Senf dazu, als eine, die auch ein wenig den Hintergrund zu der gesamten Geschichte kennt.
Das Ergebnis des Besuches von Spiegel-Reporterin Jennifer Bligh und Fotograf Jonas Opperskalski, unserer mehrstündigen persönlichen Gespräche, Hintergrundinformationen und Erklärungen, der Führung rund um meine Karavanensiedlung und der Fotosession ist meiner Meinung zweifach zu bewerten.
Das Positive?
Meine Besucherzahlen sind um ein Vierfaches gestiegen. Mein Blog wird seit dem 25.02 nicht mehr nur von Deutschen, Israelis und Schweizern, sondern sonderbarerweise auch von Schweden und Amerikanern besucht. Und meine Aufrufzahlen insgesamt belaufen sich seit Freitag auf 100.000 Besucher!!!! Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Dutzende von positiven, aufmunternden Kommentaren und privaten Nachrichten haben mich erreicht, Facebookfreunde und zahlreiche Unbekannte unterhalten sich über das Schriftstück und Neuentdecker meines Blogs berichten mir aufgeregt, sie würden ab jetzt mit größtem Interesse meine Berichterstattung verfolgen. Besseres könnte man sich gar nicht wünschen. Außerdem ist es durchaus kein schlechtes Ding, zu wissen, dass das eigene Projekt auf die Hauptseite der SPIEGEL-Berichte gekommen ist. Denn welchen Ruf der SPIEGEL auch bei uns Israelfans genießen mag, ist es dennoch das zentrale deutsche Magazin. Come on, gebt’s zu. Es ist wirklich nicht alles so furchtbar im SPIEGEL. Wie ein guter Freund zu mir meinte, „es gibt keine schlechte Werbung“. In meinem Métier ist das tatsächlich ein wahrer Satz. Auch die Fotos von Jonas Opperskalski sind eine Bewunderung wert. Das war, genau genommen, auch mein erstes Fotoshooting gewesen und ich bin vollends zufrieden damit. To be continued…
Und was ist mit dem Negativen?
Das Negative ist der Rest.
Sprich, der Text selbst, der journalistische Standard, die Professionalität oder eher ihre gähnende Abwesenheit, die Präsentation seitens der Autorin, die einschlägigen Motive des Textes, seine Überarbeitung durch die Redaktion im Vergleich zum Entwurf, der mir vor der Veröffentlichung vorgelegt worden ist.
Vor der Veröffentlichung der Reportage wurde ich mit einigen gutgemeinten Ratschlägen versorgt, nach dem Motto „nehme dich in Acht, der SPIEGEL wird kein gutes Haar an dir lassen“. Im Nachhinein bekam ich die gerechten Zornesausbrüche und enttäuschten Feedbacks meiner Freunde und Leser zu Gesicht. Manche davon ähnelten denen einer „jiddischen Mamme“ – „wir haben es dir doch gesagt!“ Und bei allem Amusement, den ich von diesen Rückmeldungen hatte, liebe Freunde, eins muss ich euch sagen – das Risiko war mir bewusst. Aus meiner Erfahrung mit deutschen Medien, und insbesondere dem SPIEGEL, wusste ich, worauf ich mich einlasse. Denn außer der Journalistin vor Ort, Jennifer, einer netten jungen Frau mit geringer Ortskenntnis und manchmal recht seltsamen, aber dennoch interessierten Fragen zu dem Leben in Judäa und Samaria, gibt es ja noch die SPIEGEL-Redaktion. Und diese verfolgt ohne Zweifel die politisch korrekte Leitlinie des unzensierten Siedler-(nein, nicht Juden, Siedler!)hasses und, um dieser treu zu bleiben (alles hat sein Recht und seine Ordnung!), darf in einem Magazin, mag es noch so oberflächlich und ideologielos sein wie das „Jugendmagazin bento“ (man schaue sich nur deren Themenauswahl an), das Portrait einer Siedlerin im Westjordanland keinesfalls so ausfallen, dass man noch auf die Idee kommen könnte, diese zu befürworten.
Und das wurde auch mit allen Mitteln versucht, zu verhindern. Ob nun seitens Frau Bligh oder seitens der Redaktion. Die Details versuche ich noch, herauszufinden. Ich möchte niemandem einen schlechten Ruf verpassen, wozu auch? Der Text spricht für sich selbst.
Und genau hier begingen bento/SPIEGEL einen Fehler.
Denn die „unschöne“ Schreibweise, in der dieses nur wenige Absätze lange Portrait verfasst worden ist, ließ so manche Leser und Kommentatoren zurückschrecken; so war vielen der 130 Kommentare auf der Seite zu entnehmen, bevor sie gelöscht wurden. Beispiele gefällig?
Erst zu meiner Charakterisierung. Ich bin ein Protestweib, das die Realität daran hindert, zu einer friedvollen Normalität umgewandelt zu werden. Das geht aus dem Untertitel des Artikels hervor („behindert mit ihrem Wohnort den Friedensprozess. Für sie ist das

Protest“), aus den ersten Absätzen („provoziert…Frieden verhindert“). Nach der saftigen Behauptung, die Siedlungen verstößten laut der UNO gegen das Völkerrecht, wird noch eins drauf gesetzt:
„Chaya sieht das anders – und ist damit Teil des Problems“
Ein Problemmensch also. Ein Mensch, in deren Welt es Dinge, die trotz ihrer Realitätsferne und ihrer de facto Nichtexistenz – solche, wie die Zwei-Staaten-Lösung – zum internationalen Konzensus gehören, den man gefälligst zu respektieren habe, nicht gibt. Klar, dass eine solche Dreistigkeit entsprechend bestraft werden muss.
Mein problematisches Dasein muss also auch durch persönliche Eigenschaften belegt werden, die mir verpasst werden. So spreche ich nicht, sondern „rattere herunter“ , „rufe“ oder „lache unschön auf“. Überhaupt scheine ich für die Reporterin entschieden zu oft

aufzulachen. Vielleicht hat ihr mein Humor nicht gefallen?, denke ich mir heute. Ganze zwei Mal erwähnt sie es im Text. Ansonsten ist meine Gesprächsweise „herausfordernd“, meine Stimme hat „einen Hauch von Trotz“ und auch habe ich die Frechheit, Dinge zu ignorieren, die für alle eigentlich so „simpel“ sein sollten wie das ABC: Siedlungen sind illegal.

So simpel möchten es SPIEGEL und bento haben. Leider ist das Völkerrecht selbst dort anderer Meinung. Somit wird es die UNO, die man für alles heranzieht, was nur ein wenig Hauch von Verleumdung gegen Israel mit sich trägt, auf völkerrechtlicher Ebene auch etwas differenzierter handhaben. Soweit also zu „Chaya sieht es anders“.
Übrigens müsste ich bento und Jennifer Bligh etwas mitteilen, was sie vielleicht so noch nicht gehört haben: Der SPIEGEL hat den Siedlungsbau auch anders gesehen. Vor 1979 nämlich. Da waren die Siedler noch mutige Pioniere, oder aber gänzlich uninteressant. Und das ist wahrlich nicht Chaya, die es herausgefunden hat, sondern Ulrich W.Sahm. Ob er damit auch Teil eines Problems ist? Das kann gut sein. Immerhin wurde er als Journalist aus allen deutschen Mainstreammedien verbannt.
Bei einem weiteren Thema scheint es bento darauf anzulegen, einen Anruf von der Presseeinheit der israelischen Armee zu erhalten. Jennifer Bligh/bento behaupten nämlich, die drei Jugendlichen Eyal, Gil-ad und Naftali, die im Sommer 2014 in Gush Etzion entführt und

ermordet worden sind, seien nur „angeblich“ von der Hamas entführt worden. Dass die Hamas selbst es anders sieht, die beiden Attentäter auf die Ausführung hin vorbereitet hat, die Entführung gefeiert und daraufhin sich auch in einen Krieg mit Israel gestürzt hat („Operation Fels in der Brandung“), schien an Jennifer Bligh vorbeigezogen zu sein. Wie auch, denn als ich ihr diese Information mitgeteilt habe, hat sie nur auf das Tempo geachtet, in welchem ich es gesagt habe („EswirdeinSatzzueinemWort“), der Inhalt war zu herausfordernd, um ihn zu verstehen. Da bin ich natürlich selbst daran schuld. Wie auch sonst an diesem Unglücksartikel.
Den absoluten Wissensmangel und die ins geübte Auge stechende Abwesenheit von jeglicher Professionalität bei diesem Text versucht der Artikel mit Meinungsmache zu vertuschen. Es gibt

zwar den „roten Kasten“, der über die Situation in Judäa und Samaria aufklären will. Aber in einer der fetten Absatzüberschriften steht „Und was ist mit den Menschen in Gaza?“ Ich würde die Frage gerne zurück stellen, was ist denn mit den Menschen in Gaza? Was haben sie mit meiner Anwesenheit in Judäa zu tun? Vielleicht sollte man dafür die Menschen in Gaza fragen und nicht mich, die ich dieses Fleck Land im Leben nicht betreten habe, und die Fragestellerin ebenso (sie hat ja erst vor Kurzem ihre eigene jüdische Verwandschaft entdeckt und ist so nach Israel gekommen)? Ich antworte also, Gaza sei geräumt worden. So wird es auch zitiert. Der Interpretationsfreiraum für diese bombenfeste (wortwörtlich) Faktenlage wird den noch weniger gebildeten Lesern

gelassen. Auch die Tatsache, dass es noch nie einen palästinensischen Staat gegeben hat, wird zur Auslegung freigestellt. Hatten wir schon „simpel“ gesagt? Ja, Geschichtsumschreibung war noch nie so simpel wie im 21.Jahrhundert.
Noch ein bisschen zum Insiderwissen:
Als ich den Artikelentwurf per Email bekommen habe, sah er noch ganz anders aus. Da wurde über die Attentate gesprochen, die sich bei uns in der Gegend ereignet haben. Da findet die Tatsache, dass ich gegen Enteignungen von palästinensischem Privatbesitz bin, Erwähnung.. Da habe ich noch berichtet, dass ich Palästinenser in einer Farm besucht habe. Da sei der Zugang zur Siedlung über die Felder der arabischen Nachbarn noch offen, meine Redeart nicht „herausfordernd“, sondern „Meisterleistung“ und was meine Sichtweise auf die jüdische Religion angeht, so sei sie „differenziert und reflektiert“. Sogar mein Vorwissen zum Thema israelisches Gesetz und internationales Recht wird erwähnt.
All das verschwindet nach der Veröffentlichung. Meine Bitte, die Arbeit bei der „Jüdischen Rundschau“ zu erwähnen und das „Rufen“ als Prädikat aus dem Text zu entfernen, wird nicht berücksichtigt. Heraus kommt ein an Information mangelndes, Gift und Galle spuckendes und von Vorurteilen geradezu getränktes Essay, das, anstatt mich als Person vorzustellen und Einblick in meine selbst für Fortgeschrittene komplizierte Welt zu gewähren, sich an der eigenen Richtigkeit und Rechtschaffenheit ergötzt und alles daran setzt, mich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu diffamieren. Nicht umsonst wurde der Beitrag wohl nicht mehr und nicht weniger, als unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit“ publiziert.

Bevor die Kommentare auf der Artikelseite zensiert worden sind, habe ich einige davon lesen können. Nicht alle waren vernichtend. Es gab offenbar genug klardenkender Leser, die die Schreibweise dieses Textes angeprangert haben. Ein Kommentator namens Heinz hatte danach gerufen, mich beim „deutschen Staatsanwalt“ zu verklagen, weil ich mit meinem Wohnsitz die Genfer Konvention bräche. Schade, dass ich davon keinen Screenshot gemacht habe.
Mancher möge sich jetzt fragen, „war es das Ganze wert? Hattest du diese Verleumdung nötig?“
Ich sage eindeutig – ja. Ich sehe jetzt schon, dass die Veröffentlichung mir mehr Leser und Follower eingebracht hat und mich mehr ins deutsche Bewusstsein gerückt hat. Das ist sehr gut, es ist eins meiner Ziele bei meiner Arbeit und es freut mich, wenn mehr und mehr Menschen auf die Realität aufmerksam werden, die ich versuche zu vermitteln.
Demnach – Respekt und Hochachtung gebühren SPIEGEL und bento eindeutig nicht für diese „Meisterleistung“. Aber ein verschmitztes „Danke“ – definitiv. Und, wie es so schön im Hebräischen heißt, „seid mir gesund!“ Wer Hebräisch kann, wird die Andeutung verstehen. 🙂