Archiv der Kategorie: Terror

Aufruf zum Gebet in Gush Etzion

Sonntag früh (02.08.15)  erreichte die Posteingänge der meisten Bewohner des Gush Etzion-Blocks eine Mail mit dem Aufruf zu einer Solidaritätskundgebung. Die Kundgebung sollte schon am Abend des selben Tages stattfinden. Der Text an die Bewohner besagte Folgendes:

„Aufruf zum Gebet und Aufschrei

Alle Einwohner von Gush Etzion und der Hevron-Gegend sind eingeladen zur Kundgebung des Gebetes und des Aufschreis.

Wir sind erschüttert und voller Schmerz über den gemeinen Mord, der im Namen unseres Volkes am letzten Freitagmorgen begangen worden ist. Aus dem Gefühl der Verpflichtung heraus, unseren Protest gegen diesen verbrecherischen Mord  im Dorf Duma herauszuschreien, und im Angesicht der gewaltigen Schändung des Gottesnamens, drängen wir dazu, gemeinsam aufzustehen und mit lauter Stimme zu rufen, „Entferne das reine Blut aus Deiner Mitte“ (5.Buch Moses, 21, 9). Wir werden gemeinsam für die Genesung der Verletzten der Familie Dawabshe beten.“

Als Versammlungsort war die zentrale Gush-Kreuzung angegeben, Uhrzeit 18:00 Ortszeit, und es wurde gebeten, Psalmenbücher mitzunehmen.

Wer waren die Organisatoren dieser Kundgebung? 

roots2Es handelt sich um die Mitglieder und Aktivisten des Vereines „Shorashim-Roots-Judur“ (zu Deutsch: Wurzeln), eines Verbandes aus israelischen und palästinensischen Freiwilligen, aber nicht etwa eine der vielen Organisationen im Namen des Friedensstiftens im Nahen Osten, deren Namen man im In- und Ausland nur zu gut kennt. Dies ist ein Verband/eine Bewegung, welche sich speziell an jüdische Siedler und ihre arabischen Nachbarn in Judäa und Samaria richtet. Die Initiative ist vor etwas mehr als einem Jahr auf der Basis der Ideen des Rabbiners Menachem Froman (hier zum Nachruf auf Rabbi Froman von Ulrich Sahm) aus der Siedlung Teko’a entstanden. „Shorashim/Judur“ gründet auf dem Verständnis, dass die Juden und die Araber/Palästinenser gerade in Judäa und Samaria viele Gemeinsamkeiten teilen, und durch gegenseitige Annäherung und Vertrauensaufbau eine Basis für einen authentischen Frieden bilden können – im Gegenteil zu den misslungenen Friedensbemühungen auf politischer Ebene. Jüdische Siedler und ihre arabischen Nachbarn haben, so das Leitmotiv der Organisation, eine tatsächliche und praktische Chance, durch Zusammenarbeit positive und dauerhafte nachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen, Verurteile dagegen abzubauen und ein friedvolles Nebeneinander zu entwickeln.

Von links nach rechts: Ali Abu Awwad, Rav Hanan Schlesinger, Shaul Judelman. Quelle: friendsofroots.net
Von links nach rechts:
Ali Abu Awwad, Rav Hanan Schlesinger, Shaul Judelman.
Quelle: friendsofroots.net

Der Verein wird zur Zeit von Rabbi Hanan Schlesinger, einem amerikanisch-israelischen Rabbiner aus Alon Shevut, dem Friedensaktivisten (und ehemaligen Fatah-Mitglied) Ali Abu Awwad  und dem Aktivisten Shaul Judelman aus dem benachbarten Efrat geleitet. Zu den weiteren zählen sich Geistliche wie Rabbiner aus den lokalen Lernschulen der Siedlungen, der Sheich Ibrahim Abu al-Hawa und Bewohner einiger arabischer Städte und jüdischer Siedlungen.

Die Organisation, die sich als Bewegung verstanden haben will, hat ihren Sitz in Gush Etzion und organisiert Gespräche und Treffen auf lokaler Ebene, ebenso kleinere Aktivitäten für jüdische und arabische Kinder. Die letzte Aktivität war ein gemeinsames Fastenbrechen von Juden und Arabern, welches schon das zweite Mal  in diesem Rahmen durchgeführt wird – während des jüdischen Fastentages 17.Tammuz und des Ramadan-Monats der Muslime.

Die Idee einer zentralen Kundgebung – das erste größere öffentliche Event dieser Art seitens „Shorashim/Judur“ – kam schon am Freitagnachmittag nach dem Attentat auf die Familie Dawabshe auf und wurde in der Mailingliste und auf Facebook exzessiv diskutiert. Die Schwierigkeit lag bei der Verfassung eines Aufrufs, welcher das Kollektiv von Gush Etzion ansprechen und zu einer Teilnahme bewegen könnte, ohne die üblichen Klischees, Ausdrucksweisen und politische Einstellungen zu bedienen, welche in den Massenkundgebungen in Tel Aviv und Jerusalem  in den letzten Tagen vorherrschten. Bei der Kundgebung sollten sowohl Araber als auch Juden anwesend sein, Rabbiner und Journalisten, Personen öffentlichen Lebens. Die Kurzfristigkeit der Aktion ließ keine große Bekanntmachung zu. Die Information wurde über Mailinglisten und private Nachrichten verbreitet, die Kundgebung bei Polizei und Armee angemeldet.

wpid-20150802_180624.jpgAn Ort und Stelle erschienen im Verlauf des Abends mehr als 200 Personen (Times of Israel sprach sogar von 300), davon eine beträchtliche Anzahl an Journalisten: Reuters, CNN, AFP, Walla News, Jerusalem Post, i24 waren präsent, um nur einige zu nennen. Unter den Anwesenden befanden sich zahlreiche junge Leute, die meisten von ihnen religiös. Einen Teil davon machen Aktivisten der „Shorashim/Judur“-Initiative aus, ebenso interessierte Passanten und solche, die sich zeitig über die Veranstaltung informiert hatten.

Begonnen wurde die Kundgebung mit emotionalen Ansprachen. „Wir sind für einen Aufschrei hierhergekommen. Wir sind aber auch gläubige Menschen. Wir beten. Und wir sind auch Optimisten, wir lassen uns durch Verzweiflung und Zorn unseren Glauben nicht zerstören“, begann der Veranstaltungsleiter Rabbiner Sarel Rosenblatt. „Im Angesicht der Zerstörung und der Bosheit wollen wir der Welt Gerechtigkeit und Liebe hinzufügen.“

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Links nach rechts: Rav Yaakov Katz, Rav Dov Singer, Rav Yaakov Nagen, Rav Yaakov Madan, Yair Lapid

„Der Frieden wird nicht von den Politikern herrühren, sondern er kommt von unten, von den Menschen vor Ort, die tagtäglich Schulter an Schulter zusammenarbeiten. Hier vor Ort gibt es Coexistenz“, Rabbiner Ya’akov Madan, Leiter des Yeshiva-Gymnasiums in Alon Shvut und nationalreligiöser Lehrer und wpid-20150802_182136.jpgGeistlicher, ergriff das Wort. „Unser Festhalten an diesem Land hat drei Ursprünge, auf welche es sich beruht. Der erste – ist Gott und seine Vorsehung. Ich kann nicht glauben, dass Gott eine Legitimierung für den Mord am Kleinkind geben könnte. Der zweite – der gute Wille des jüdischen Volkes und der israelischen Regierung, welche hier verbleiben möchten.  – Diese Tat entwurzelt das Volk von hier. Und der dritte Ursprung – unsere Standhaftigkeit hier. Eine Standhaftigkeit, die auf den Werten der Reinheit, der Stärke, des Gewissens, der Wahrheit beruht.“

Während seiner Rede erschien in der Menge der Scheich Ibrahim Abu al-Hawa, bekannt für seine Aktivitäten im interreligiösen Dialog in der Gegend. Die Presse stürzte sich auf den alten Mann, der einige der Initiatoren der Kundgebung herzlich umarmte.wpid-20150802_182636.jpgwpid-20150802_182651.jpg„Jeder von uns kennt jemanden, der jemanden kennt, dem jemand bekannt ist, der vielleicht mit dieser Tat etwas zu tun haben könnte. Auf uns liegt die Pflicht, solche Sachen an die Sicherheitskräfte weiterzuleiten! Und wenn wir davon wissen, dass eine ähnliche Tat bevorsteht, und wenn es keinen anderen Weg gibt, diese zu verhindern, so müssen wir auch das melden!“, rief Rabbiner Madan mit lauter Stimme und fügte anschließend hinzu: „Man muss den Unterschied kennen. Bei uns sind es die Randgruppen der Randgruppen, die so etwas tun können, und welche wir verurteilen. Bei der anderen Seite werden die Terrorakte im Namen des ganzen Volkes verübt, und bei ihnen werden die Terroristen zu Helden. Wir werden niemals auf dieser Ebene stehen.“

„Als Siedler, der an unser Recht auf dieses Land glaubt, als Israeli, der die strategische Wichtigkeit dieser Gegend für die Sicherheit des Staates sieht, sage ich – der Mord an einem Baby wird unserem Volk keine Erlösung bringen. ‚Zion wird mit Gesetz erlöst und Jerusalem mit Gerechtigkeit‘ (Jesaja 1, 27). Ein jeder, der uns nichts zuleide tun wollte, verdient unseren Schutz.“ So wandte sich der Rabbiner und Vorsteher der Religionsschule in Otni’el, südlich von Hevron, Rabbiner Benny Kalmanson, an das Publikum. „Wir haben wunderbare nachbarschaftliche Verhältnisse. Wir könnten zusammen den Gush Etzion  zu einem Beispielort für alle machen.“

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Rebbetzin Hadassah Froman am Mikrofon

Zugegen war auch der ehemalige Finanzminister Yair Lapid, der ausnahmsweise mit einer Kippa auf dem Kopf aus der Tora zu zitieren beschloss, um sein religiöses Publikum besser anzusprechen. Hadassah Froman, die Witwe des „Friedensrabbis“ aus Teko’a, wurde mehrfach von der Presse interviewt. Vor den Versammelten erinnerte sie mit schmerzerfüllter Stimme daran, dass das letzte Mal ein solches Zusammenfinden im Sommer 2014 stattgefunden hatte, zur Zeit der Entführung der 3 Jugendlichen durch Terroristen. Dieser folgte die Verbrennung des arabischen Teenagers aus Jerusalem. „Wie kommt es dazu, dass erneut ein Kind verbrannt wird?!“

Wie es bei interreligiösen Treffen üblich ist, wurden als Teil des gemeinsames Gebetes Psalmen aufgesagt – so der Psalm 130, 127 und 133, und es wurde ein gemeinsames Gebet für die Gesundheit der Verwundeten gebetet – die Familie Dawabshe, aber auch die letzten Opfer eines Autoanschlags an der Kreuzung von Alon Shevut vor einigen Monaten. Die Anwesenden wiederholten die Psalmen gemeinsam mit den Vorbetern.

Hier kann man sich einen kurzen Eindruck von der Kundgebung machen: Gemeinsames Psalmenlesen und Beten für Genesung;

http://www.youtube.com/watch?v=I2xrqXDSYl0

Die Anwesenden warteten gespannt, wann würde ein arabischer Teilnehmer sich äußern? Tatsächlich waren unter den Versammelten kaum Palästinenser zu erkennen – außer selbstverständlich des 73-jährigen Scheichs, welcher vor dem

Scheich Ibrahim abu al Hawa
Scheich Ibrahim abu al Hawa

Publikum eine flammende Rede in Arabisch hielt (mein Arabisch war leider nicht gut genug, um alles zu verstehen). „In diesem Land sollte man 4 Sprachen sprechen – Hebräisch, Arabisch, Russisch und Englisch“, witzelte der Scheich und fasste seine Rede dann in gebrochenem Englisch zusammen: „Ich bin kein Bürger von keinem Staat. Ich bin Palästinenser, ich gehöre hierher. Aber dieses Land gehört nicht den Juden und niemand anderem. Dieses Land gehört Gott“ und „Wir sind alle Gäste in diesem Land. Wir müssen zusammenleben. Mein Haus ist immer offen für alle“, und sagte auch, „ich möchte meine Gefühle mit den Müttern teilen, die als Einzige wirklich verstehen, was Babies bedeuten.“ Der Scheich erhielt den lautesten Applaus von allen Rednern.

Zum Abschluss gab Rabbiner Schlesinger bekannt, dass ein Fonds zur Unterstützung der geschädigten Familie Dawabshe eröffnet wurde. „Diese Versammlung von ‚Shorashim‘ ist das Mindeste, das wir tun können“, stellte er fest. Er las aus einem Brief seines arabischen Partners vor, Ali Abu Awwad, der nicht zur Veranstaltung kommen konnte: „Diese Kundgebung gibt uns Palästinensern Hoffnung und wird ein Beispiel für jeden darstellen, der ein Friedenspartner sein will. (…) Vor allem ist die moralische und die religiöse Aussage hinter der Kundgebung wichtig.“ Ein weiterer Redner wurde konkreter: „Wenn keine Taten folgen, ist es schade um das ganze Gerede. Wir wissen, dass es Rabbiner und wpid-20150802_184139.jpgAnführer gibt, die diese radikalen Ideologien unterstützen. Solange sie nicht dagegen sprechen, müssen wir sie aus unserer Mitte verbannen!“

Der letzte schließlich war ein arabischer Aktivist, Ziad Sabateen, der sich lange Zeit nicht traute, vorzutreten. Offenbar war er kein Fan großer Reden.  „Diese Kundgebung hätte in Duma stattfinden sollen“, sagte er, „ich selbst wurde zu einer anderen Kundgebung eingeladen, aber meine Nachbarn waren mir wichtig, also bin ich hier. Die Mütter sind diejenigen, die den Kindern als erste Essen geben, und sie auch erziehen. Wir müssen unsere Mütter schützen.“ Er wünschte sich auch eine ebenso strenge Behandlung der israelischen Täter wie die gegenüber den palästinensischen.

Nach der Kundgebung löste sich die Versammlung schnell auf, Menschen unterhielten sich noch, andere gingen im Supermarkt „Rami Levy“ nebenan einkaufen – ein bekanntes „Symbol der Koexistenz“ für sich.

Was meine allgemeine Skepsis für öffentliche Kundgebungen dieser Art angeht, so muss ich zugeben, dass diese Veranstaltung eindeutig einen weitaus mehr authentischen und respektvolleren Charakter besaß als alle ihr vorangegangenen seit dem letzten Freitag. Bleibt nur zu hoffen, dass alle Redner auch ehrlich und aufrichtig in dem gewesen sind, was sie den Anwesenden mitzuteilen hatten.



 

Mehr zu Shorashim-Judur-Roots: hier geht’s zur Homepage

In Zukunft werde ich mehr über diese Organisation berichten. Bleibt dran!

NEWS: Brand in Bet Haggai

Der Teufelskreis der Rache scheint wohl wieder aufs Vollste geöffnet zu sein.

Habe Bericht und Fotos von meinem Freund Me’ir Dana-Picard und seiner Familie aus der Siedlung Bet Haggai bei Hevron bekommen. Arabische Terroristen haben heute nachmittag dort die Felder und den Berghang, auf welchem das jüdische Dorf Bet Haggai steht, angezündet, und das Feuer konnte mit knapper Not gelöscht werden, bevor es die Häuser ergreifen konnte.

So schnell kann auch ein Mord geschehen, wie der Mord heute Nacht in Duma. So schnell kann man Menschen Schaden zufügen. Ich habe die große Befürchtung, dass es dabei nicht bleiben wird, und die Telefone in den Sicherheitszentren in Judäa und Samaria nicht still bleiben werden, und dennoch bete ich für Ruhe.

Ich fühle unbändige Trauer über die Welle der Untaten, die ein weiteres Mal über uns hereinbricht. Und wer daran zweifelt, oder das Eine über das Andere zu stellen meint  – ich werde die Untaten auf beiden Seiten erwähnen, weil das unser Leben hier ausmacht. Das ist auch ein Teil des Lebens in Judäa und Samaria. Und daher erzähle ich darüber.

Shabat Shalom.

 

NEWS: Terroranschlag im Dorf Duma

Hier liegt Duma
Hier liegt Duma

Schreckliche Nachrichten erreichen uns an diesem Morgen. Ein Terroranschlag wurde im arabischen Dorf Duma in Samaria verübt. Nach ersten Erkenntnissen der Armee bzw. der israelischen Medien drangen gegen 4 Uhr morgens mindestens zwei maskierte Personen in das arabische Dorf ein und warfen offenbar einen Brandsatz/Molotow-Koktail in zwei Gebäude am Dorfrand, und sprühten auf diese Hassbotschaften in Hebräisch. Das erste Gebäude, welches durch den Brandsatz ausbrannte, stand leer. Im zweiten Gebäude

Ali Dawabshe sel.A.
Ali Dawabshe sel.A.

schlief eine Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder, darunter ein anderthalb Jahre altes Baby, Ali Dawabshe. Sie wurden vom Brandsatz überrascht, das Haus fing schnell Feuer. Das ältere Kind wurde von den Eltern aus dem Haus herausgezogen. Als nach Angaben die Mutter versuchte, auch das Baby aus dem Haus zu zerren, gelang ihr es nicht mehr und das Kind wurde bei lebendigem Leibe verbrannt.

Die Eltern Dawabshe sowie das ältere Kind erlitten schwere Verletzungen von 70%-90% Brandwunden am Körper, sie befinden sich in Lebensgefahr. Momentan soll ihre Überführung in ein israelisches Krankenhaus zur weiteren Behandlung geprüft werden. Die Armee sowie Sicherheitskräfte der PA und weitere israelische Ermittlungsorgane befinden sich vor Ort. Die Leitung über die Ermittlung soll laut israelischen Medien der Untersuchungsabteilung für Hassverbrechen seitens jüdischen Israelis übergeben worden sein.


 

Das abgebrannte Haus. Quelle: Flash 90/Channel 7
Das abgebrannte Haus. Quelle: Flash 90/Channel 7

Die Nachrichten, zu denen wir heute aufwachen mussten, sind schrecklich und versetzen in Schock und Grauen – wegen ihrer bloßen Tatsache, und auch wegen der Schwere ihrer Folgen.  Ich sage nicht – möglicher Folgen, denn Folgen werden kommen. Ich weiß nicht, wie gravierend sie sein werden. Rache wurde bereits von der Hamas und anderen Terrororganen angekündigt, die ersten Unruhen in Jerusalem und der Umgebung sind ausgebrochen und werden folgen – Schüsse auf einen israelischen Wagen auf der Landstraße Richtung der Siedlung Kochav HaShachar und Steine auf Polizisten in Jerusalem. Auch von der PA gab es darauf die erwartete Rückmeldung – „Kriegsverbrechen“ wurde die Tat betitelt. Der Präsident Rami Hamdallah forderte von der internationalen Gemeinschaft Schutz, erklärte die Siedler zu den Verantwortlichen für die Tat und forderte Premierminister Netanyahu auf, nicht nur die Tat zu verurteilen, sondern auch den Bau in Siedlungen einzufrieren.

Ich möchte zwei Dinge beim Namen nennen.

Das Erste – es handelt sich um einen Terroranschlag, klipp und klar. Die Familie Dawabshe sind Opfer eines Terroranschlags geworden, und ihre Religion oder Nationalität sowie die Religion oder Nationalität der Täter ändert nichts an dieser Kategorisierung. Daher muss auch das Prozedere um die Aufklärung dieses Anschlags die Natur haben wie bei einem Terroranschlag, nicht weniger und nicht mehr, und ich hoffe und vertraue darauf, dass die israelische Regierung dies ebenso sieht und alles Nötige tun wird.

Soweit ich informiert bin, haben sämtliche Organe, Regierungsvertreter, Verbände und Organisationen, mit welchen man generell Juden bzw. explizit von Juden begangene ideologische Verbrechen in der Öffentlichkeit verbinden könnte, die Tat verurteilt. Es herrscht das generelle Verständnis, dass wir es mit einer Tat zu tun haben, die in keinem Konsens akzeptiert wird , der sich als Teil der israelischen Gesellschaft sieht. Daher sehe ich auch mich in den Reihen der Verurteiler, aus zwei Gründen: Erstens, weil ein Terroranschlag und ein Mord als solche zu verurteilen sind – entsprechend meiner Moral- und Wertvorstellungen. Zweitens, weil eine öffentliche Verurteilung dieser Tat der Öffentlichkeit, unseren Widersachern sowie möglichen Unterstützern der Tat aus den Reihen unserer Gesellschaft zeigt, wie sehr diese Tat außerhalb jeglichen Konsens liegt und inakzeptabel ist.  Das sind wir, genau wie jede andere Gesellschaft in einem solchen Fall, uns selbst und der Welt schuldig.

Graffiti auf den abgebrannten Häusern in Hebräisch: "Rache" . Quelle: YNET
Graffiti auf den abgebrannten Häusern in Hebräisch: „Rache“ . Quelle: YNET

Das Zweite: Die Täter sind auf der Flucht, und ihre Identität ist nicht festgestellt. Es gibt Indizien – die Hassbotschaften, es gibt Vermutungen, es gibt noch keine Beweise und keine Ergebnisse. Die ersten Vermutungen deuten auf eine Tat durch jüdische Extremisten hin. Die besagten Indizien können allerdings bei verschiedener Interpretation – Schriftart, Schirftinhalt  –  und ebenso im Angesicht anderer Hinweise vor Ort, welche nur die Untersuchungskommission kennt – auf das Gegenteil deuten.

Graffiti auf den abgebrannten Häusern: "Es lebe Messias der König" Quelle: YNET
Graffiti auf den abgebrannten Häusern: „Es lebe Messias der König“ Quelle: YNET

Was ich meine? Dass in der fortwährenden Geschichte von Untaten, insbesondere in Judäa und Samaria und was „Price Tag“-Attacken und ihnen ähnliche betrifft, es schon nachgewiesene Fälle gegeben hat, in welchen solche Attentate von den eigenen Leuten, sprich den Arabern in den eigenen Dörfern, verübt worden sind. Andere, so beispielsweise ein Brand in einer Moschee vor ca. einem Jahr, wurden durch Umstände wie Stromausfall und lokalen Brand verursacht, aber erneut sofort auf Juden, insbesondere „Siedler“, geschoben.

Der Unterschied zu arabischen Terrorattacken? Diese Terrorattacken geschehen nachweislich häufig, offen, werden in ihrer Gesellschaft unterstützt, es gibt sehr viele Hinweise und in den meisten Fällen auch Täter vor Ort. Hinzu kommt, dass in der modernen Geschichte des Staates Israel es keine Präzedenzfälle gibt, in welchen Juden absichtlich Juden umbrachten oder in eine Situation brachten, in welcher sie getötet wurden, um damit die Palästinenser anzuklagen (wer mich eines Besseren belehren kann, dem bin ich dankbar, bitte nur mit Nachweisen).

Auch ohne auf die Schlagzeilen der europäischen oder anderen Medien zu schauen, und nach einiger kurzer Lektüre innerhalb der israelischen Presse, kann ich mir gut die Natur der Artikel vorstellen, die darüber verfasst werden. Noch ohne Beweise, ohne Täter und erste Untersuchungsergebnisse, ist die Rede von „jüdischem Terror“. In einem Land, in welchem Gesetz nach westlichem Prinzip herrscht, gilt selbst bei Anschlägen mit Toten das Prinzip, dass vor einer Anklage und einer Täterfassung es in alle Richtungen ermittelt werden soll, und keine Gruppe, oder Ideologie, oder Richtung mit irgendetwas beschuldigt werden kann. Obwohl man es vielleicht auch gerne will.

Fazit des Gesagten:

Als Teil der Siedlerbewegung in Judäa und Samaria und als Mensch verurteile ich die Tat aufs Schärfste. Ich distanziere mich von den konkreten Aussagen über die Identität der Täter, bevor diese offiziell festgestellt worden ist. Für unsere Gesellschaft – die jüdische Gesellschaft in Judäa und Samaria und die israelisch-jüdische Gesellschaft in Israel als solche – sehe ich die Pflicht darin, die Verantwortung für unsere ideologischen Ansichten, Wortführer und Bewegungen zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass es niemanden mit irgendwelchem Einfluss auf andere gibt, der eine solche Tat unterstützt oder rechtfertigt.

Von der Presse, der israelischen und internationalen, wünsche ich mir, dass diese im gebührenden Rahmen und entsprechend der journalistischen Ethik über diesen Fall berichtet. Nicht weniger, als dieser Terroranschlag es verdient, und auch nicht mehr. Wer auf gleiche Rechte und gleichen Respekt für Menschen plädiert, sollte in keine Richtung zwischen Mord und Mord unterscheiden.

Mit der Hoffnung, dass die Täter ihr gerechtes Urteil bald erreicht,

Chaya

 

 

NEWS: Gesicht des Terrors

Sie nennen es Widerstand und Freiheitskampf. Für uns ist es Terror.

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Messerstecherin. Ruan abu Matar, 22.

Niemand weiß genau, aus welchen Motiven heraus diese junge Frau ihre Tat heute begangen hat, am Militärposten nahe der Siedlung Nachliel in Südsamaria. Die Geschichte der 22-jährigen Ruan abu Matar aus dem Dorf Bitilu bei Ramallah ist uns nicht bekannt. Sie mag es, wie der nationale Sicherheitsdienst Shin Bet behauptet, aus persönlicher Überzeugung heraus getan haben; es bräuchten aber auch keine Organisationen dahinter zu stecken, um eine junge 22-Jährige zu einer Messerattacke auf einen 20-jährigen Soldaten zu bringen, direkt vor den Augen der anderen Soldaten, an der Militärbasis (Quellen sagen, sie sei sogar in die Militärbasis eingedrungen). Es könnte auch ein einziger Mann reichen, der ältere Bruder/Onkel/Vater, aus Rachsucht, Familienehre, Missbrauchswunsch und sonstigen Beweggründen heraus.
Es gab und gibt sie, und in der letzten Zeit tauchen mehr von ihnen auf – junge arabisch-muslimische Terroristinnen, die Soldaten und Soldatinnen ihrer Altersgruppe angreifen, rücklings oder frontal, und zumeist mit Messern – so wie vor wenigen Wochen die Araberin am Übergang bei Betlehem, die die Grenzsoldatin Liron in den Hals stach und überwältigt wurde. Auch ihre Geschichte kennen wir nicht.

Für uns ist sie eine Terroristin. Eine kleine, erbärmliche, hirngewaschene, vielleicht missbrauchte, vielleicht verrückte, vielleicht unfreiwillige, aber Terroristin. Manche meiner Freunde und Bekannten wünschen ihr den Tod, andere lebenslange Haft, einige wenige eine psychische Behandlung.
Auf dem Foto sieht sie nicht älter als 16 aus.
Dem Soldaten geht es besser, er wurde nicht schwer verletzt.
Die Terroristin ist verhaftet.

Was denkt ihr?

(Quellen: Jerusalem Post, 0404, Foto: Privat)

NEWS Update: Terroropfer verstorben / Aktuelles

UPDATE von gestern, 30.06., bezueglich Malachi Moshe Rosenfeld, des jungen israelischen Basketballspielerswelcher in der Nacht auf den 30.06 auf dem Heimweg in die Siedlung Shevut Rachel zusammen mit drei weiteren Freunden Opfer einer Terrorattacke geworden ist und dabei von Schuessen aus dem vorbeifahrenden Auto der Terroristen schwerverletzt wurde.

Quelle: INN.co.il
Quelle: INN.co.il

Leider ist Malachi Rosenfeld, der 25-jaehrige  Sohn des Ehepaares Sarah und Eli’ezer Rosenfeld und der zweitaelteste Sohn der Familie,  gestern infolge der Schussattacke gestorben. Heute fand seine Beerdigung statt. Malachi hinterliess ausser seinen Eltern noch sieben weitere Geschwister. Sein aelterer Bruder Yitzhak Menahem war bei einem Armeeausflug im Jahr 2002 n einer Felsschlucht umgekommen.

Malachi Moshe Rosenfeld. Quelle: nrg.co.il
Malachi Moshe Rosenfeld. Quelle: nrg.co.il

Die Eltern von Malachi aeusserten sich nach der tragischen Nachricht in den Medien. Vor der Kamera erzaehlten sie immer und immer wieder von der Tuechtigkeit ihres Sohnes, seiner Empfindsamkeit und dem Verantwortungsgefuehl gegenueber der Familie; und auch von seinen Erfolgen in der Universitaet, seinen Basketballspielen, seinen Auszeichnungen  – so, als muessten sie das Lebensrecht ihres ermordeten Sohnes vor jemandem verteidigen, der an diesem ohne ihre Beteuerungen

Eliezer und Sarah Rosenfeld. Quelle: srugim.co.il
Eliezer und Sarah Rosenfeld. Quelle: srugim.co.il

Zweifel haette. Seine Mutter bat darum, zu betonen: „Hinter all diesen Vorfaellen stehen einfache, gute Leute. Ein wunderbarer Junge, der mit Auszeichnung sein Studium absolvierte, der Basketball spielte. Es gibt Menschen, die denken, da leben welche hinter den dunklen Bergen und sie haben das selbst verdient.“

Ihre Aussage duerfe in den Herzen vieler ihrer Mitbuerger und Einwohner der juedischen Ortschaften in Judaea und Samaria wiederhallen und an einem wunden Punkt kratzen – ach was, nicht kratzen, wie Messerstiche wird sich diese Aussage in ihr Bewusstsein rammen, und das durchaus nicht zum ersten Mal. Seit zwei Wochen nun haeuft sich ein Attentat auf das andere, und auch vor dem Beginn des Ramadans hatten Einwohner der Siedlungen kein besonders ruhiges Leben. Ueber die Ramadan-Zeit hinweg erleichterte die Zivilverwaltung, die in Samaria und Judaea zustaendig ist, die Bewegungsfreiheit von vielen Palaestinensern und ihren angereisten Verwandten innerhalb israelisch verwalteter Gebiete und in Jerusalem – in unmittelbarer Naehe der juedischen Bevoelkerung (Die Siedlerin berichtete). Mittlerweile lassen sich 8 Attentate in dieser kurzen Zeit aufzaehlen – Steinewuerfe und Brandbomben nicht mitgezaehlt, alle jeweils durchgefuehrt von „Einzeltaetern“, welche in den meisten der Faelle nach Ermessen der Armee keinen organisierten Terrorhintergrund gehabt hatten. Zwar gibt es kein Statement der offiziellen Stellen zu dem Thema, aber in der israelischen Presse kursieren anonyme Aussagen von Armeefunktionaeren, welche die Schuld fuer den Terroranstieg sowohl der vermehrten Propaganda in den arabischen Medien als auch dem erleichterten Zugang fuer die muslimische Bevoelkerung zu juedisch besiedelten Gebieten zuweisen.

In YNET erschien heute endlich auch ein Artikel , in welchem Einwohner der Siedlungen ihre Frust und Unsicherheit ueber die Sicherheitssituation und die mangelnde Reaktion der Regierung ausliessen. „Vor meiner Fahrt muss ich mir ueberlegen, welche Autobahnen ich nehme, um potenzielle Gefahren zu vermeiden“, sagte eine Einwohnerin. Ein anderer bemerkte zum Thema, dass man auch bei einer Welle von Autodiebstaehlen in einer Stadt wie Kfar Saba das Problem nicht mit Polizeischutz fuer jedes Auto angehen wuerde, sondern gegen die Diebe vorgehen muesste. Laut einer anderen Bewohnerin von Shilo, unmittelbar an der Strecke, auf welcher Malachi Rosenfeld angeschossen worden war, hoerte man nach dem Attentat Freudenschreie in einem der arabischen Doerfer – das habe ihre Nachbain traumatisiert. Es wurde jedoch betont, dass sie nicht vorhaetten, aus ihren Wohorten auszuziehen.

Ebenso heute wurde bekannt, dass der interne israelische Nachrichtendienst (Shabak) an die 40 Terroraktivisten der Hamas im noerdlichen Samaria nahe Shchem (Nablus) verhaftete. (Galgalatz, YNET)

Und zwischen all diesen Spannungen und der Gewalt  gibt es auch Alltagsleben, arabisches und juedisches; Arbeit, Wanderungen, grosse Ferien, Export und Import, Freizeit, Alltagssorgen….

NEWS: Toter und Verletzter beim Attentat an Wasserquelle

UPDATE 21.06.15:
Nach intensiver Suche, Straßensperren und Befragungen haben die Armeeeinsatzkräfte bisher den Täter nicht gefunden und konzentrieren sich von nun an mehr auf nachrichtendienstliche Ergebnisse und weniger auf Einsätze vor Ort.
Offizielle Quellen der Armee geben an, dass die Bewegungsfreiheit und Einreiseerleichterungen für die arabische Bevölkerung in Samaria im Zuge des Ramadans nicht vom Attentat beeinflusst werden. Man geht momentan von einem Einzeltäter aus.

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Dani Gonen sel.A.. Quelle: Natan Epstein

Dani Gonen aus der Stadt Lod, das Opfer des Attentats an der Wasserquelle, wurde heute abend in Lod beigesetzt. Seine Organe wurden zuvor von seiner Mutter gespendet, da Dani zu Lebzeiten einen solchen Spenderausweis besessen hatte. (Quelle: YNET)


Umsonst dachte ich, mit einem lebensfrohen Text über Feiern und Sommeranfang ins Wochenende gehen zu können. Schon hat uns wieder der Tod erreicht. Diesmal auf eine besonders hinterhältige Art und Weise:

Als zwei 25-Jährige, Dan Gonen und sein Freund, nach einem Freitagsausflug zu einer bekannten Wasserquelle nahe der Siedlung Dolev in Südsamaria (Binyamin) nach Hause fahren wollten, sahen sie einen arabischen Palästinenser, der ihnem Zeichen machte, anzuhalten. Als diese bei ihm anhielten, fragte er sie, ob es Wasser in der Quelle gäbe. Gerne gaben die jungen Maenner Auskunft – doch ihre Hilfsbereitschaft hatte einen Preis: Der Unbekannte schoß plötzlich aus einer Handwaffe aus nächster Nähe auf die beiden und flüchtete vom Tatort. Einer der Wanderer wurde leicht bis mittelmässig verletzt, Dan Gonen schwer. Beide wurden von den alarmierten Einsatzkräften evakuiert.
Der schwerverletzte Dan Gonen wurde bewusstlos eingeliefert und starb schließlich nach Wiederbelebungsversuchen im Tel Hashomer-Krankenhaus.

Nach den Angaben des zuständigen Offiziers weiß die Armee noch nicht, ob es eine Verbindung zwischen irgendeiner Terrororganisation und dem Täter gibt oder ob es ein Einzeltäter gewesen ist. Einsatzkräfte fahnden nach dem Terroristen in den umliegenden arabischen Dörfern.

(Quelle: YNET, IDF)

Was für eine furchtbare Nachricht für die Familie, Freunde und uns alle – ein grausames Ende nach einem unschuldigen Freizeitausflug und einer hilfsbereiten Geste!

#diesiedlerin #israel #arabterror

#EyalGiladNaftali. Ein Jahr danach

Gilad-Eyal-Naftali-e1404157170661Ihre Bilder gingen um die Welt, ihre Namen wurden in viele Sprachen übersetzt und die Kampagne für ihre Rückkehr umspannte Kontinente. Die Entführung der drei israelischen Teenager Eyal Yifrach, Gil-Ad Sha’er und Naftali Frenkel im Juni 2014 war das einscheidende Erlebnis in das kollektive Gedächnis der israelischen und jüdischen Gesellschaft im vergangenen Jahr, und es hat Kräfte geweckt, die sich nicht mehr zurückhalten ließen.

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Kerzen zum Gedenken an die drei Jugendlichen an der Bushaltestelle, bei der sie entführt wurden. 02.06.15. Fotos: Elishay Jayson

IMG-20150521-WA0013Ein Jahr ist es nun her (nach dem jüdischen Kalender), dass die dreiJugendlichen an der Alon-Shevut-Kreuzung in Gusch Etzion bei ihrer Weiterfahrt zu sich nach Hause nach einem Lerntag in der Jeshiwa von 2 arabischen Terroristen in einem gestohlenen Auto entführt und kurz darauf getötet und verscharrt wurden. Eyal stammte aus der israelischen Stadt Elad und lernte in Kiryat Arba/Hevron (Judäa), Gil-ad stammte aus Talmon in der Binyamin-Gegend und und Naftali aus Nof Ayalon, nahe der Stadt Modi’in, beide lernten im Kibbutz Kfar Etzion in einer Jeshiwa. Alle drei waren sie nicht aus Judäa, alle drei besiegelten ihr Schicksal auf ihrem Nachhauseweg in den Händen von Terroristen, welche ihre Tat geplant und vorbereitet hatten.

Wer während der 18 Tage zwischen dem 12. Juni, dem Tag der Entführung, und dem Fund der drei Leichen der Jungen am 30.06.14 in Israel gewesen war, konnte einen in jeder Ecke des Landes spürbaren Zusammenschluss der Bevölkerung erleben. Die Kampagne #BringBackOurBoys auf Facebook; Plakate mit den Fotos der drei Jungen in jeder Stadt; die zahlreichen Ansprachen der drei Mütter der Teenager gingen in ihrer tragischen Einzigartigkeit in die Geschichte ein. Aufkleber, T-Shirts, Gebetsaufrufe per Whatsapp – und was nicht noch alles. Was die Mehrheit der Bevölkerung an Anteilnahme aufbrachte, war einmalig für die letzten Jahrzehnte, selbst für das leidgeprüfte Israel.

Am 30.Juni wurden die Leichen der toten Jugendlichen auf offenem Feld unweit der arabischen Stadt Halhul bei Hevron gefunden. Einige Tage später wurde die Operation „Schutzlinie“ eingeleitet und, obwohl offiziell durch den Raketenbeschuss der Hamas auf Israels Süden begründet, hatte sie selbstverständlich eine direkte Verbindung zu der Entführungstat, zumal laut der israelischen Position die Täter aus den Reihen der Hamas stammten.

Nun konnten Gedenkfeiern, öffentliche Andachten und selbst „Gesprächskreise“ beim besten Willen nicht lange anhalten. Handfestes Gedenken, Zeichen von Stärke oder aber kontrastreiche Gesten von Menschlichkeit, so hat sich seit Jahren die gesellschaftliche Einstellung gegenüber tragischen Ereignissen nationaler Reichweite manifestiert. Im Namen der Terror- und Kriegsopfer wurden seit jeher Spenden-Fonds eingerichtet, Städte, Plätze und Straßen benannt, Synagogen eingeweiht, Bäume gepflanzt. Eines der lautesten Verlangen war das nach der Annektierung des von Israel besetzten, aber nicht als Staatsfläche anerkannten Gebietes von Gush Etzion, im Herzen dessen die drei unglückseligen Jugendlichen den Terroristen zum Opfer fielen.

Was macht man aber, wenn der eigene Staat mit der „gebührenden Antwort“ zögert? Wenn nicht das gewünschte Ergebnis kommt? Wenn keine flächendeckende Lösung für Terror herbeigeführt wird?

„In deinem Blute sollst du leben“

(Yechezkel, Kap.16, 6)

2014-07-04 09.18.12
Das erste Plakat auf dem Hügel. Juli 2014

In der verhängnisvollen Nacht auf den 01.Juli, nach dem Fund der Leichen von Eyal, Gil-Ad und Naftali, versammelten sich auf einem bewaldeten Hügel unweit der Entführungsstelle, einige Menschen mit Taschenlampen, Flaggen, simplen Handwerkzeugen, einigen Benzinkanistern und einem Stromgenerator. Vom Dunkel der Nacht

Die ersten Tage.
Die ersten Tage.

gedeckt, säuberten sie einige Flächen im kleinen Wald und das dazugehörige, seit Jahrzehnten verlassene Försterhaus, sie hängten Banner an die Eingangstür, stellten Projektoren und Zelte auf. Sie fotografierten ihre Gruppe und ließen das Foto auf Facebook herumgehen. Ein neuer Tag brach an, ein neuer Vorposten war geboren. „Givat Oz veGAON“, zu Deutsch – Hügel der Stärke, welcher im Namen auch die hebräische Abbreviatur der drei Jungen trägt.

Entwicklungsarbeiten.
Entwicklungsarbeiten.
Vortrag für Besuchergruppen.
Vortrag für Besuchergruppen.

Nun war die zugegeben an britische Mandatszeit erinnernde Geheimaktion nicht so spontan, wie es scheint; das Gebiet wurde schon von vorne herein auf Tauglichkeit geprüft, auf seinen offiziellen Status, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, von dort wieder geräumt zu werden, welche Bau- und Ausweitungsmöglichkeiten es für diesen Vorposten gäbe, und die Hauptsache – wer das Projekt unterstützen würde.

Racheli Frenkel, die Mutter von Naftali, zündet Shabbat-Kerzen im Reservat.
Racheli Frenkel, die Mutter von Naftali, zündet Shabbat-Kerzen im Reservat.

Die Unterstützung kam mit überwältigender Großzügigkeit, sie kam aus zahlreichen Quellen, finanziell und gesellschaftlich. Sowohl seitens der Ortsverwaltung und der Armee, als auch der lokalen Umgebung und derjenigen, die auch landesweit oder im Ausland vom Projekt gehört hatten.

Freiwillige Helfer.
Freiwillige Helfer.

Die Idee, einen neuen jüdischen Stützpunkt zum Gedenken an die drei Ermordeten zu errichten, beflügelte. Die Strategie ging auf. Es war nicht „noch ein“ Vorposten von Halbwüchsigen, die sich in Holzbaracken auf einem Hügel zu verschanzen suchten und Soldaten mit Steinen bewarfen. „Givat Oz veGaon“ wurde binnen kurzer Zeit in eine Camping-Seite und Freiwilligen-Anlaufstelle umfunktioniert und anstatt Wohncaravans zu bauen, beschloss man, sich lieber in nächster Zeit auf Öko-Tourismus, archäologische Ausgrabungen (es wurden Artefakte aus der Zeit des Zweiten Tempels gefunden, die auf eine frühere Besiedlung hindeuten) und Besucherzentrum zu konzentrieren. Selbst dieser kleine, als

Feiern im Reservat.
Feiern im Reservat.

Naturreservat anerkannte Punkt, hatte geschichtlichen Kontext; Zeugnisse aus der Tora sprechen von der anbei liegenden Raststätte des Urvaters Jakov (Givat Oz); und 1927 stand an derselben Stelle zwei Jahre lang ein kleines Dorf namens „Migdal Eder“, welches aber 1929 im Zuge der arabischen Pogrome in der Umgebung zerstört worden war (siehe auch: „Die brennende Fackel von Gusch Etzion 1“).

Wegweiser zum Naturreservat.
Wegweiser zum Naturreservat.

Von allen 4 Vorposten, die als Reaktion auf die Ermordung errichtet worden sind, hat bisher nur das ‚Oz veGaon‘-Reservat überlebt. Es genießt sowohl die Schirmherrschaft der Ortsverwaltung, als auch der Armee und die breite Unterstützung der Familien der drei Jungen.

Die Großeltern von Eyal Yifrach pflanzen einen Baum im Reservat.
Die Großeltern von Eyal Yifrach pflanzen einen Baum im Reservat.

Die für das Projekt verantwortliche Organisation, ‚Women in Green‚, sieht in der Aktion einstimmig eine gebührende zionistische Antwort auf das Ereignis, welches wohl noch lange in der kollektiven Erinnerung der Israelis verbleiben wird. „Not killing, just building“, lautete einer der Slogans des neuen Stützpunkts, ein anderer verkündete „Das ewige Volk hat keine Angst vor dem langen Weg“.


 

Das ‚Oz veGaon‘-Naturreservat im Herzen Judäas ist nur eine der Reaktionen, die auf die Ermordung der drei Jungen folgte. Auch auf der breiten gesellschaftlichen Ebene war und ist dieses Ereignis nicht so einfach wegzuwischen. Dossiers in Zeitungen veröffentlichen immer wieder Gespräche mit den drei Müttern, welche in der Zeit der Entführtensuche und noch lange danach die israelische Gesellschaft mit ihren Reden und Ermutigungen und Gefühlen stärkten. Und nebst Veranstaltungen, Konzerten, und Zeitungsartikeln, wurde auch ein Preis ins Leben gerufen, welcher den Zusammenhalt und die Einigkeit im Land belohnen und fördern soll: Der „Unity Prize“ in Gedenken an Eyal, Gil-ad und Naftali.

Quelle: unityprize.org
Quelle: unityprize.org

Gestartet vom „Gedenkverein für Eyal, Gil-ad und Naftali“ und unterstützt vom Oberbürgermeister Jerusalems, Nir Barkat, sowie dem Erziehungsministerium, soll er an besondere Vorhaben und Menschen am 03.06 eines jeden Jahres verliehen werden, welche die Einheit innerhalb der israelischen Gesellschaft stärken. „Der besondere Geist der drei Familien, wir wollen ihn an die israelische Öffentlichkeit bringen“, so Oberbürgermeister Nir Barkat zum neuen Preis.

So wurde in Israel die Tragödie der Entführung der Jugendlichen von einem traumatischen Event in einen Anreiz für Schöpfung, Kreativität, Veränderung und Hoffnung übersetzt.

Heute nachts und morgen zünden viele Gedenkkerzen für die Jugendlichen an, auch hier in Alon Shevut, und es werden Lernseminare zu ihrem Andenken in Jugendzentren veranstaltet. Eyal, Gil-ad und Naftali nicht mehr unter uns, doch ihr Nachlass trägt Früchte.

 

Nach dem Anschlag. Eine Mail.

Der Tatort auf der Karte.
Der Tatort auf der Karte.

Gestern, am 14.05.15, kurz nach 1 Uhr nachmittags (israelische Zeit) wurde an der Bushaltestelle in der Nähe des Einfahrtstores von Alon Shevut ein Attentat verübt . Ein palästinensischer Autofahrer raste in eine Gruppe wartender Jugendlicher am Straßenrand und fuhr dann im selben Tempo weiter. Kurze Zeit später wurde er von der Armee angehalten, die sofort nach der Nachricht Straßensperren errichtet hatte, und verhaftet. Der Terrorist gestand die Tat. Vier (entgegen den ersten Berichten über drei) der jungen Leute wurden verletzt, einer davon schwer (Arye) und der andere mittelschwer (Ido).

(⇒ Ich hatte in einer kurzen Meldung auf das Attentat auf meiner Facebook-Seite aufmerksam gemacht.)

Auf der Nachrichtenseite YNET wurde das Video des Attentats veröffentlicht, welches von der privaten Sicherheitskamera der Einwohner von Alon Shevut gefilmt wurde und das Attentat aufgezeichnet hatte. Einer der Leichtverletzten, Benjamin Frenkel (25),  berichtete den Journalisten von YNET: „Ich stand mit einem weiteren Menschen an der Haltestelle nach Bet Shemesh, da wir beide nach Hause fahren mussten. Er sah das Auto im Augenwinkel auf uns zukommen, griff mich und schrie ‚Weg!‘. Wir wichen zurück, aber das Auto traf uns doch. Ich flog etwa einen Meter weg, er noch weiter. Ich stand auf und meldete den Anschlag per Notruf. Ich lief dann dem Auto hinterher, aber der Täter flüchtete. Später kamen dann die Armee und die Ärzte und brachten uns von hier weg. Per Funk wiesen sie an, Straßensperren zu errichten.“

Auf derselben Kreuzung waren schon mehrere Attentate verzeichnet worden, die letzten waren die Entführung und Ermordung von Eyal, Gil-ad und Naftali im Juni 2014, zu deren Erinnerung an der besagten Bushaltestelle ein Mahnmal errichtet worden war. Genau gegenüber der Haltestelle ereignete sich im November 2014 ein Auto-Anschlag, bei welchem Dalia Lemkus angefahren und danach vom Terroristen erstochen wurde. Spätestens seit diesem Anschag wurden auf jeder Bushaltestelle entlang der Region von Zentral-Gush Etzion Soldaten zur Verstärkung platziert.


 

Nach dem Attentat meldete sich heute in der Rundmail der Siedlung Alon Shevut eine Frau namens Itta M. zum Thema, neben anderen, die baten, für die Genesung der Verletzten zu beten und mögliche Reaktionen auf das Geschehene besprachen. Hier ist, was sie schrieb:

Als jemand „Erfahrenes“ in der Umgehensweise mit Terroranschlägen seit der Zweiten Intifada, möchte ich mit euch einige „Tipps“ zum Umgang mit dem Geschehenen teilen:

Der gestrige Anschlag an der Kreuzung von Alon Shevut reiht sich in eine lange Liste von Vorkommnissen ein, die wir im letzten Jahr über uns ergehen lassen mussten – die Entführung der drei Jungen, der „Fels in der Brandung“-Krieg, Anschläge und versuchte Anschläge. Ein jedes solches Erlebnis hinterlässt seine Spuren, vor allem, wenn wir von Kindern und Jugendlichen reden. Das einfache existenzielle und natürliche Sicherheitsgefühl, das jedes Kind bei sich zu Hause und in seiner Umgebung verspürt, wird angegriffen. Jedes Vorkommnis schließt sich an die vorherigen an und holt von Neuem die Ängste und Befürchtungen an die Oberfläche. Der immerwährende Stress und der Frust führen zu einem Empfinden von Wut gegenüber der Armee und der Regierung, die nicht genug für unsere Sicherheit sorgen.

Wenn wir Kindern helfen wollen, damit umzugehen:

  • Bitte schaut aufmerksam hin, wenn ihr Kinder seht, die bedrückt, blass, verstört wirken. Jüngere Kinder könnten zum Bettnässen zurückkommen, sie könnten Angst haben, alleine zu bestimmten Orten zu gehen, wohin sie in der Regel immer allein hingegangen sind.
  • Verschafft ihnen die richtige Information. Es kann sein, dass sie sich von Gerüchten, z.B. von ihren älteren Geschwistern, nähren. Unterstreicht, dass es Sicherheitskameras an der Kreuzung gibt, dass die Soldaten und die Krankenwagen sofort gekommen sind, der Terrorist gefasst wurde. Stärkt in ihnen das Gefühl, dass die Situation unter Kontrolle ist.
  • Ein Kind, das Angst hat, alleine rauszugehen – sei es zum Spielplatz, zum Hobby, zur Bibliothek: Geht zusammen. Begleitet es, auch wenn es früher alleinen gegangen ist. Die Enthaltung von etwas ist ein typisches Verhaltens nach einem Trauma. Helft dem Kind, zu einer geregelten Routine zurückzukehren, die das Trauma unterbrochen hat.
  • Lasst Platz für Furcht, für Sorge, findet das, was das Kind beruhigen kann: Malen, Sport, Massage (ja, ja, sogar für Kinder), Schreiben, Essen, Psalmen lesen, Spielen mit den Freunden, Spaziergang zur Schule mit jemand anderem, Handyspiele etc.
  • Wenn euch Symptome für seelischen Notstand auffallen: Schwierigkeiten beim Einschlafen, Bettnässen, Enthaltung von alltäglichen Tätigkeiten, die länger als 3 Tage nach dem Attentat anhalten, holt euch professionelle Hilfe. Man kann sich an die psychologische Beratungsstellen in den Schulen wenden, an den Familienarzt, an die Psychologen in der Bezirksverwaltung.
  • Jugendliche empfinden nicht weniger Stress und Angst als Kinder. Sie übersetzen den Stress in wütende Reaktionen auf die gegenwärtige Situation, manche treten bestimmten Organisationen bei oder machen bei Demonstrationen mit. Bei manchen dieser Demonstrationen sind verbrecherische Elemente dabei, die ein Interesse daran haben, die allgemeine Stimmung zu radikalisieren.

Ich würde allen Eltern empfehlen, (insbesondere) jeden jugendlichen Sohn zu begleiten, aufmerksam das Verhalten zu beobachten und Grenzen zu setzen, die diesem dabei helfen können, auf sich selbst Acht zu geben. Es mangelt bei uns nicht an wunderbaren Menschen, bei denen ein Eintrag ins Führungsregister aus ihrer Jugendzeit in ihrem erwachsenen Leben gestört hat (und ich meine dabei nicht die bloße Organisation von Demonstrationen oder eine politische oder moralische Stellungnahme). Ich mache mir Sorgen um die wütenden und verbitterten Teenager, die sich ohnmächtig fühlen und Gefahr laufen könnten, nicht abgewägte Dinge zu tun, die sowohl der Gemeinschaft, als auch ihnen persönlich Schaden hinzufügen könnten.

Alles Gute

Itta M.

Für mich persönlich ist diese Mail an die Bewohner von Alon Shevut, vor deren Haustüren erneut ein widerlicher Angriff auf ihr Leben ausgeführt wurde, ein unglaublich starkes Beispiel an gegenseitiger Verantwortung, Glauben an das Wohl der Gemeinschaft…. und einfach persönlicher Fürsorge. Ich bin dankbar, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein.

Alon Shevut - am Horizont. Illustration.
Alon Shevut – am Horizont. Illustration.

Siedlungen und Sicherheit 2

Im ersten Teil des Beitrags habe ich über die besonderen Aspekte der Sicherheitslage von Siedlungen in Judäa und Samaria  berichtet. Nun geht es um den Ernstfall –  wenn ein Alarm ertönt. 


Zunächst einmal eine persönliche Geschichte dazu:

Wo liegt Tal Menasche?
Wo liegt Tal Menasche?

Vor etwa einem Jahr war ich bei einer Familie in der Siedlung Tal Menasche im Norden Samarias übers Wochenende eingeladen. Es war Freitagabend, wir versammelten uns alle um den Shabbat-Tisch und waren schon mitten im Abendessen, da erklang auf einmal eine Sirene, aus einem alten, scheinbar sinnlos im Flur liegenden Walkie-Talkie tönten Rauschen und Stimmen. Ich verstand nichts, sprang aber mit allen anderen auf. Einige Minuten später klopfte es auch an die Eingangstür, die Eltern fragten kurz nach und der älteste Sohn der Familie in voller Montur – Armee-Schutzweste, Helm und Gewehr – stand im Wohnzimmer. Ich war relativ sprachlos – wann sieht man sonst einen Offizier in Armeekleidung und am Telefon mitten am traditionellen jüdischen Ruhetag in ein Wohnhaus hineinkommen. Was war geschehen?

Der Mann währenddessen breitete auf dem Esstisch eine Karte aus, bückte sich gemeinsam mit seiner festlich gekleideten Mutter über die Karte und begann, auf einige Straßen und Häuser zu zeigen. Sie unterhielten sich angeregt, holten dann eine Liste und ein weiteres Telefon hervor und begannen, Anrufe zu tätigen. Das alles wurde von Stimmen aus dem Walkie-Talkie begleitet.

Ich bekam schnell meine Erklärung für das Geschehen. Die Sirene, und auch die Ansagen über das Funkgerät bedeuteten Alarm – Verdacht auf unmittelbares Eindringen in die Siedlung. Der Sohn in Offizierskleidung war ehemaliger Offizier im Reservedienst und in der Siedlung der Einsatzleiter des zivilen Notrufkommandos, welches bei Verdacht auf terroristische Tätigkeiten für den Schutz der Bewohner verantwortlich ist, bevor Spezialkräfte zum Tatort gelangen und den Einsatz übernehmen können. Die Hausfrau war u.a. verantwortlich für einen Teil der Koordinierung der Kräfte innerhalb der Siedlung und hatte die Adressen und Daten aller relevanter Ansprechpartner.

Da ich zum Zeitpunkt des Geschehens selbst in der Armee war (aber nicht in einer Kampfeinheit), erklärte ich mich bereit, das Notrufkommando, alles Familienväter mit Armeeausrüstung, zu begleiten und bei einer Mutter mit ihren Kindern im Haus Wache zu schieben, da sich diese nicht mit solchen Situationen auskannte und alleine mit den Kindern im Haus war. Auf den Straßen liefen Soldaten und die Einsatzleute umher, die Armee war schon angekommen und fahndete nach dem möglichen Eindringling. Im Haus der Frau schloss ich alle Fenster und Türen und blieb mit dem Kommando per Telefon in Verbindung, um zu wissen, wann der Einsatz vorbei wäre.

Das Ganze entpuppte sich nach etwa einer Dreiviertelstunde als ein Fehlalarm – ein Gastjunge hatte versehentlich an einer falschen Tür geklopft und war wohl danach geflüchtet, um nicht erkannt zu werden, und wurde so für einen Terroristen gehalten. Um 1 Uhr nachts war alles vorbei. Ich bekam an diesem Abend aber eine eindrucksvolle Demonstration der Bereitschaft aller Beteiligten und die Ernsthaftigkeit, mit welcher eine Gefahr für die Bewohner wahrgenommen worden ist.


 

Was bedeutet es, einen „Alarm in der Siedlung“ zu haben?

Schon mehrere Jahre ist es her, dass das Sicherheitskonzept der Vorwarnung für jüdische Einwohner in Judäa und Samaria durch Sirenen und Anrufe/mobile Nachrichten ausgearbeitet worden ist. Dieses System ist durch die Zusammenarbeit mit der Armee sowie mit der zivilen Verwaltung entstanden, um die Sicherheit in den Siedlungen zu erhöhen. Ein Alarm wird demnach ausgelöst, sobald eine Meldung von der Armee oder bei der Sicherheitszentrale in einem Ort beispielsweise über Kameras eingeht, die auf ein Eindringen von Terroristen in die Siedlung bzw. die Annäherung Verdächtiger an den Siedlungszaun hinweist. Ein solcher Alarm richtet sich an die Bewohner und der Code, der dabei durch zentrale Lautsprecher ausgerufen wird bzw. die Klangsequenz, die abgespielt wird, sind allen durchgehend bekannt. Die Anweisungen beim Hören der Sirene oder seit neuester Zeit auch nach dem Eingehen einer SMS mit entsprechendem Inhalt sind klar:

Alle Bewohner haben sich umgehend in ihre Häuser oder andere verschließbare Räume zu begeben, diese zu schließen, bei Abend- oder Nachtzeit das Licht auszuschalten und auf weitere Anweisungen zu warten. Bis auf Weiteres darf niemand das Haus verlassen, bis die Warnung aufgehoben wird.

Für das Notrufkommando, eine Einheit von mehreren (männlichen) Einwohnern der Siedlung, meist Reservesoldaten, welche ihre Notausrüstung (Schutzhelme und -westen, Gewehre, Munition, Funkgeräte), bedeutet der Alarm höchste Einsatzbereitschaft. Die Mitglieder dieser freiwilligen Einheit müssen Tag und Nacht erreichbar sein, um als Erste den Einsatz gegen potenzielle Gefahren zu führen, bevor Spezialkräfte – Armee, Polizei, Notdienst – vor Ort sein und die Aufgabe übernehmen können. Das Bereitschaftskommando, wie es sich auch auf Hebräisch, existiert in jeder Siedlung in verschiedener Größenordnung, und ist direkt mit der Armeeeinsatzzentrale und anderen Hilfskräften verbunden.

Zurück zum Alarm. Es gibt verschiedene Alarm-Abstufungen von 1 – 3, wobei bei den ersten beiden Stufen die zivile Bevölkerung nicht belangt wird – so wie die Fahnung und Festnahme von organisierten Gruppen, die auf dem Weg zu einem Terroranschlag sind und möglicherweise in die Nähe einer Siedlung gelangen können, eine Warnung von einem möglichen Zeitpunkt, wann ein Einzelner oder eine Gruppe einen Anschlag planen und desweiteren mehr. Die dritte und letzte Stufe ist der direkte Verdacht auf das Eindringen über den Zaun oder die nicht umzäunte Ortsgrenze in die Siedlung hinein  – sei es nun mit der Absicht, zu stehlen, oder zu töten. Der Alarm ertönt sowohl tags- als auch nachtsüber.

Von wem wird er ausgelöst? Es kann der ganz normale Wächter sein, der auf den Bildschirmen der Kameras an einigen Zaunpunkten plötzlich unerwartete Gestalten entdeckt, die sich am Zaun zu schaffen machen; es kann ein verdächtiges Auto am Zaunrand sein, oder Menschen, die sich zu einer ungewohnten Zeit auf einem Feld oder über einen Berghang in Richtung einer Siedlung bewegen; es können die Nachrichtendienste der Armee oder der Polizei sein oder einzelne Zivilisten, die eine verdächtige Beobachtung weiterleiten, damit diese geprüft wird.

Nicht immer hat es dieses Warnsystem gegeben; wie immer ist auch dieses auf bitteren Erfahrungen erbaut und ausgearbeitet worden, und nicht immer schützt es vor Tragödien – wie im Falle der Familie Fogel aus Itamar, deren fünf Familienmitglieder  – Eltern und Kinder –  im März 2011 von zwei in die Siedlung eingedrungenen Terroristen brutal in ihrem Haus ermordet wurden.

Auch in Alon Shevut, meiner Siedlung, hat es Fälle gegeben, in welchen der besagte Alarm ausgelöst worden ist. Vor etwa einem Monat wurde eine Gruppe Verdächtiger durch die Überwachungskameras gesichtet, die versuchten, auf den Ortszaun zu klettern. Die Einsatzkräfte, die nach Erhalten der Meldung zum Tatort stürzten, konnten die Gruppe vertreiben.

→ Über das Alarmsystem und seine Bedeutung klärten mich der Sicherheitsbeauftragte der Regionalverwaltung Gush Etzion, Pinhas Hershler, und Oberstleutnant (RD) A.Szanton auf. 


Shimon Zukerman  ist ein guter Bekannter von mir, aber auch als Verwaltungsvorsitzender der Siedlung Kfar Eldad im Osten Gush Etzions tätig. Er ist in Belgien geboren und lebt mit seiner Familie in Judäa. Neben allen logistischen und sozialen Aufgaben, die er für die Einwohner der Siedlung bewältigen muss, muss sich Shimon Zukerman auch in den Sicherheitsfragen auskennen und die richtigen Beauftragten einstellen, die dann für alle Belangen der Einwohner und der Armee zu sorgen haben. 

Hier liegt Kfar Eldad
Hier liegt Kfar Eldad

Kfar Eldad ist ein kleiner Ort von etwas über 100 Familien, sowohl religiöser als auch sekulärer Ausrichtung, im Osten von Gush Etzion und am Rande der Judäischen Wüste. Er existiert seit Sommer 1994. Die nächstgrößte Siedlung ist Teko’a und die nächstgrößte Stadt Jerusalem. In den letzten Jahren mussten sich die Bewohner von Kfar Eldad mit zahlreichen Störungen  seitens organisierter linksextremer Gruppen aus dem In- und Ausland auseinandersetzen, welche gemeinsam mit Gruppen lokaler Araber Demonstrationen, Provokationen  und auch Zusammenstöße mit derArmee und den Bewohnern veranstalteten. Kfar Eldad ist umgeben von arabischen Kleinorten und die Schnellstraßen ins Zentrum von Gush Etzion sowie nach Jerusalem führen alle teilweise mitten durch diese. Sicherheit ist in den Augen von Shimon Zukerman ein zentraler Aspekt, aber er limitiert ihn nicht nur auf das Technische, sondern sieht die Ursprünge viel tiefer: 

„Was hindert die Araber daran, uns anzugreifen? Die Abschreckung. Eine Abschreckungspolitik, die auf verschiedene Arten ausgeübt wird. So ist die Mentalität hier, so sind die Spielregeln im Nahen Osten.

Was dagegen führt dazu, dass jemand es wagt, auf einen Schutzzaun zu klettern? Ein Verlust des Kräftegleichgewichts. Das Schwinden der Abschreckung. Anzeichen von Schwäche. Das können ganz unterschiedliche Anzeichen sein, nicht unbedingt seitens der Armee. Es kann das Vermitteln von Furcht sein, Furcht auf unserer Seite.Wenn sie anfangen zu spüren, dass die Abschreckung schwächer wird, können sie es wagen, auf den Zaun zu klettern und anzugreifen. Das Gleichweicht wird gestört – wir werden nicht mehr als eine Kraft wahrgenommen, werden schwächer, und dadurch werden sie stärker.

Die Schwäche, sie liegt im Geist. Die Europäer, die hierher kommen   –  und meines Erachtens auch viele von uns  – versuchen mit aller Kraft, die Realität hier zu vergewaltigen, ihr die abendländische Sicht- und Denkweise aufzuzwingen. Beispielsweise aller Arten von Anarchisten aus Schweden, die hier angelangen – sie wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Die Mentalität des Nahen Ostens ist anders. Die Bevölkerung, die hier lebt, findet ihre Stärke  im Glauben und in geistigen Werten. Dieser Glaube ist voller Lügen, und die Werte voller Gewalt, aber dennoch ist es ein Glaubens- und Wertesystem und von dort kommt die Stärke. Was kann man machen, der Islam ist eine Kultur der Macht. So wachsen die Menschen hier auf, sie atmen es mit jedem Atemzug. Wenn man beispielsweise auf der Straße bei Teko’a an einem Dorf vorbeifährt, kann man täglich sehen, wie Kinder geschlagen werden, in der Öffentlichkeit. Das ist die Kultur. Der muslimische Mann ist jemand, der Selbstbewusstsein hat, der stark, oder, wenn man will, mächtig ist, der die Richtung kennt.

Wenn man diese Sprache richt, dann kann man Beziehungen aufbauen. Ich weiß es und behaupte  – wer am Besten mit den Arabern reden kann, im ganzen Land, das sind allein die Siedler. Denn sie verstehen, worum es geht, sie sprechen die Sprache. „

NEWS: Ein Unglück ist geschehen

Ein Unglück ist geschehen.
Der Sohn meines Lehrers und Rabbiners ist bei möglicher Terrorattacke ermordet worden.

Gestern abend wurde eine Autoattacke gegen Wartende an der Bushaltestelle des Stadteiles  French Hill (Sderot Bar Lev) in Jerusalem ausgeführt. Eine junge Frau und ein Mann in ihren 20ern wurden lebensgefährlich verletzt. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, doch den Anzeichen nach vom Tatort und auch den früheren Erfahrungen nach, gerade in dieser Gegend, deutet alles auf eine Terrorattacke hin. Der Fahrer – ein etwa 37 Jahre alter Araber aus Ostjerusalem.
(Quellen: YNET, Channel 2, Channel 7/INN)

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Der junge Mann, der verletzt wurde, ist leider heute morgen an seinen Verletzungen verstorben. Es war Shalom Jochai Sherki, der Sohn des bekannten Rabbiners Uri Sherki, der auch ein Jahr lang mein Rabbiner und Lehrer im Institut Machon Ora für Frauen in Jerusalem gewesen ist.

Machon Ora, ein Institut für jüdische Philosophie, Glauben und Gesetz für Frauen, zusammen mit seinem Counterpart Machon Meir für Männer, waren meine Wegweiser in den ersten Jahren nach meiner Ankunft in Israel. Durch ihre Rabbiner und Dozent-/innen, allesamt mit Herz und Seele dem Wohl des Landes Israel und dem jüdischen Volk verschrieben, habe ich meine ersten Einblick in die Welt von Judäa und Samaria abseits der gängigen Verleumdung von Medien und öffentlicher Ignoranz bekommen. Die jungen Mädchen und Frauen, meine Mitstudentinnen, stammten aus vielen Teilen der Gesellschaft, aber vor allem auch aus den Ortschaften in Judäa, Samaria und dem Gazastreifen, und zeigten mir am eigenen Beispiel ihre Verbundenheit mit diesem Land.

In Machon Ora, welches vor allem die Lehren von Rabbiner Avraham Yitzhak Hacohen Kook in den Mittelpunkt stellt, habe ich gelernt und verinnerlicht, dass die Neuentstehung des jüdischen Volkes im eigenen Land und Staat keine neuartige und illusionierte Erfindung einiger weniger Idealisten ist, sondern eine seit jeher tief in unserer Lehre und Tradition sitzende Vorstellung, und mehr als das – ein sich nach und nach verwirklichende Plan, an welchem wir alle teilhaben.

Das Beleben des Landes Israel durch die wiederkehrenden Juden, die Symbiose zwischen Religiösen und Nichtreligiösen, der Aufbau eines souveränen Staates, und die fortschreitende Suche nach sich selbst in diesem Land, waren ein zentraler Punkt der Unterrichte von Machon Ora.

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Rabbiner Uri Sherki, neben seinem Amt als Rabbiner, Gemeindevorsteher und Gründer/Leiter der Noachiden-Bewegung in Israel und im Ausland auch ein ausgezeichneter Wissenschaftler und Geschichtskenner, bereicherte die Unterrichte mit seiner Spitzfindigkeit, Gelehrsamkeit, origineller Herangehensweise und Führungsqualität, die ich selten bei einem Rabbiner erlebt habe. (Sein anderer Sohn und Bruder Shalom Jochais, Yair Sherki, ist übrigens Korrespondent des israelischen Channel 2 für religiöse Angelegenheiten).

Sein verstorbener Sohn Shalom Jochai war ein beliebter Betreuer in einem Internat einer Jeshiwa (relig.Institut für Jungen und Männer).

Nicht zum ersten Mal ereignet sich eine Tragödie für einen der Lehrer bei Machon Ora/Meir. Der Vorsteher und Leiter des Instituts, der Rabbiner Yehuda ben Yishai ist der Vater von Ruth Fogel, welche zusammen mit ihrem Mann Udi Fogel und ihren drei von sechs Kindern von zwei arabischen Terroristen in der Siedlung Itamar im Jahr 2011 bestialisch niedergestochen und niedergeschossen worden sind.

Es tut mir im Herzen weh für diesen wunderbaren jungen Mann, seine Familie und seinen Vater, meinen Lehrer und Vorbild.
Soll Shaloms Seele eingebunden sein in den Bund des Lebens.