In der letzten Zeit sind innerhalb der israelischen Öffentlichkeit verschiedene Ideen bezüglich einer Lösung des arabisch-palästinensisch-israelischen Konflikts an die Oberfläche gelangt, welche sich mit anderen Vorschlägen als dermittlerweile „im Sterben liegenden“ Oslo-Version und der Zweistaatenlösung befassen. Es scheint, als beginne nun endlich eine erweiterte Diskussion über die Möglichkeit einer israelischen Souveränität über Judäa und Samaria (Westjordanland; Gazastreifen möglicherweise inklusive), welche, so kann man hoffen, in einem größeren Rahmen und mit der Unterstützung und Teilname wichtiger Persönlichkeiten aus dem israelischen öffentlichen Leben geführt werden wird. So hat vor einigen Tagen der berühmte israelische Schriftsteller A.B.Yehoshua, der sich als links identifiziert, in einem Interview des Radiosenders Galatz sich gegen die Zweistaatenlösung geäußert und sich stattdessen für die Vergabe vollständiger Staatsangehörigkeit oder Einwohnerstatusses für die im C-Gebiet lebenden arabischen Bewohner ausgesprochen, um damit „die Auswirkungen der Besatzung zu mildern“ und für diese „ihren Status zu verbessern“, was soziale Rechte und Einkommen betrifft (Forward, Galatz 19.01.17).
Momentan kommen zwei Kongresse auf, welche das Gespräch um die Annexierung und Souveränitätsvergabe fördern wollen. Der erste findet heute (24.01.17, Hebräisch)) in den Räumen der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan statt; ihr Name lautet „Das Ende der ‚Besatzung“ – einnationaler Plan“. Initiiert wurde diese Konferenz von der Organisation „Professoren für ein starkes und ökonomisch gesichertes Israel“ (Professors for a strong Israel), einer 1988 gegründeten Vereinigung von zumeist politisch rechts/kapitalistisch orientierten Akademikern in Israel. Heute heißt die Vereinigung „Das akademische Kollegium für nationale Strategie“ (The Academic Council for National Policy) Zu ihren Mitgliedern zählen
Flugblatt der Konferenz „Das Ende der ‚Besatzung'“
der Islamwissenschaftler Dr.Motti Kedar, Dr.Arye Eldad, der Nobelpreisträger Eliav Shochetman und Dr.Hillel Weiß. Auf dem Programm der Konferenz sind u.a. Themen wie „Souveränität – politische und rechtliche Herausforderungen“, „Der Energiemarkt in Judäa und Samaria und sein Potenzial in der Region“ und „Nahöstliche Herangehensweise an ein nahöstliches Problem“.
Der zweite Kongress, betitelt als der „4.Souveränitätskongress“, steht unter der Schirmherrschaft der Organisaton „Frauen in Grün“ (Women in Green) aus der Siedlerbewegung sowie einigen Regionalverwaltungen und
den NGOs „Zionist Foundation for Israel“ und „Im Tirtzu“. Sie findet am 12.02.17 im Hotel Crown Plaza in Jerusalem statt (Hebräisch mit englischer Simultanübersetzung) und wird Sprecher aus der nationalreligiösen Szene, aus der Siedlerbewegung sowie einige andere auf der
Logo der NGO „Im Tirtzu – Aufbau einer zionistischen Gesellschaft“
Bühne haben. Themen, die besprochen werden sollen, sind unter anderem: „Antirassismus und der Segen Abrahams“, „Analyse des Falls Golanhöhen – Souveränität in einem Schritt“, „Was wird der Status der Araber nach der Annexierung sein“. Sprecher, die auftreten sollen, sind Knessetabgeordnete und Minister, Journalisten wie Emanuel Shiloh (BeSheva) und Caroline Glick (Jerusalem Post) und der Präsident der Bar-Ilan Universität Prof.Dr.Daniel Hershkowitz.
Flyer des „4.Souveränitatskongresses“ in Englisch
12.02.16
Die 4.Souveräniätskonferenz von Women in Green in Jerusalem, 12.02.164.Souveränitätskonferenz (Flyer in Hebräisch)
Zeit für einige aktuelle Nachrichten aus der Welt der Siedler.
Ma’ale Adumim:
Quelle: INN
Etwa sieben Kilometer nordöstlich von Jerusalem liegt die Stadt Ma’ale Adumim, an der Autobahn 1 Richtung Totes Meer und Jordantal. Die Stadt existierte seit 1975 formell als Siedlung von 1975 bis 1991, im Jahr 1991 wurde ihr der Status einer Stadt verliehen. Die Anzahl der Einwohner (Stand: 2014) beträgt um die 38,000. Bekannt ist Ma’ale Adumim für seine
Hier liegt Ma’ale Adumim
Nähe zu Jerusalem und den regen Betrieb des Industriegebietes, in welchem bis vor Kurzem noch (2015) die berühmte Fabrik von „SodaStream“ gestanden hat, und u.a. durch internationalen Druck und Verleumdungskampagnen seitens der Boykottorganisation BDS ihren Sitz aus Ma’ale Adumim in den Negev verlegt hat.
Quelle: Maveze.co.il
Ma’ale Adumim ist im Bewusstsein der meisten Israelis, erst recht der Einwohner des Umkreises von Jerusalem, als eine Art entfernter Vorort der Hauptstadt verankert, ebenso wie die im Norden gelegene Siedlung Givat Ze’ev und der in Richtung Tel Aviv gelegene Ort Mevasseret Zion. Es ist ein beliebter Ort für Sparer, welche ihren Arbeitsplatz in Jerusalem haben, sich aber ein dauerhaftes Wohnen in der Hauptstadt nicht leisten können. Die Infrastruktur von Ma’ale Adumim ist vollständig entwickelt, neue Buslinien führen direkt in die Stadt und eine Fahrt dauert im Schnitt 15-20 Minuten. Das Klima von Ma’ale Adumim ist wärmer als in Jerusalem, liegt es doch am Rande der Judäischen Wüste und nur 450 Meter über dem Meeresspiegel. Die Bevölkerung der Stadt ist vielfältig, es handelt sich oftmals um Jerusalemer verschiedener Schichten, welche in die Stadt umgezogen sind, ein großer Prozentteil der Bevölkerung ist säkular.
Seit Längerem werden in der Knesset und der Gesellschaft Diskussionen darüber geführt, ob es nicht gerechtfertigt wäre, das Gebiet von Ma’ale Adumim als offiziellen Vorort von Jerusalem anzuerkennen und demnach zum Staatsgebiet von Israel zurechnen zu lassen – sprich, offiziell unter israelische Souveränität zu stellen. Als ersten Schritt sollte dafür das israelische Gesetz für die Einwohner der Stadt gültig gemacht werden – etwas, das auch in größeren Orten wie Ma’ale Adumim auf der anderen Seite der „Grünen Linie“ bisher nicht möglich ist, da sie wie andere Siedlungen in Judäa und Samaria unter dem Zivilgesetz im Rahmen der Militärverwaltung der Gebiete stehen. Dies bringt Benachteiligungen für die Bewohner von Ma’ale Adumim und anderen Orten mit sich, wie im Landerwerbs-, Bau- und Arbeitsrecht. Diese Initiative unterstützen offen die Minister Ayelet Shaked und Naftali Bennett (Ha’aretz), welche allerdings rechtlich noch keine Annektierung bedeuten würde.
Während der Verhandlungen um die Erweiterung der Koalition mit der Einsetzung von früherem Außenminister Avigdor Liebermann als neuen Verteidigungsminister wurde ein neuer Gesetzesentwurf innerhalb der „Land Israel“-Lobby der Knesset unter der Leitung von Knessetabgeordnetem Yoav Kisch (Likud) und Betzalel Smotritch (Habait Hyehudi) ausgearbeitet und pünktlich zur Vereidigung Liebermanns vorgestellt: die vollständige Eingliederung von Ma’ale Adumim in die offiziellen Grenzen des Staates Israel. Beide Knessetabgeordnete erklärten vor laufenden Kameras, diesen Gesetzesentwurf im Laufe der Sommerzeitperiode der Knesset voranbringen zu wollen, auch im Angesicht der neuesten Erklärungen von Premierminister Netanyahu und Liebermann nach seiner Vereidigung, einem Teilungsplan und der Errichtung eines palästinensischen Staates zustimmen zu wollen. Laut einer Umfrage, welche im Auftrag der Lobby durchgeführt worden war, zeigten die Ergebnisse, dass 78% der israelischen Bevölkerung einer Eingliederung von Ma’ale Adumim zustimmen würden, ganze 88% würden sich die Gültigkeit des israelischen Gesetzes für die Einwohner der Stadt wünschen.
Die Siedlung Amona wurde im Jahr 1995 neben einer archäologischen Stätte und nach dem Aufbau eines archäologischen Campus vor Ort gegründet. Es liegt auf den Bergen überhalb der Siedlung Ofra (etwa 20 Minuten-halbe Stunde nördlich von Jerusalem) auf etwa 940 Metern Höhe. Heute leben in der Siedlung 40 Familien, teils in Wohncontainern, teils in festern Häusern. Die Siedlung ist über die Verbindungsstraße von Ofra aus zu erreichen.
Die Familie Nazri aus Amona, NRG
Im Laufe der Jahre ab 2000 begannen die Schwierigkeiten für die Bewohner von Amona, als verschiedene links ausgerichtete anti-Siedlungs-Organisationen und Aktivisten, allen voran „Peace Now“, gegen einzelne Häuser und die Erweiterung der Siedlung Anträge bei dem Obersten Gerichtshof einlegten. Staatliche Institutionen begannen mit der Prüfung der Bautätigkeiten und befanden diese für illegal, stoppten daher mehrfach Bauerweiterungen, was allerdings die Bewohner nicht davon abhielt, weitere Häuser zu bauen und zu besiedeln. Weitere Anträge seitens der Organisationen beinhalteten Forderungen einzelner palästinensischer Araber, welche behaupteten, Teile der Siedlung würden auf Privatland erbaut worden sein. Der Oberste Gerichtshof befasste sich mit Amona über die Jahre hinweg bis 2005, wobei die Verwaltung Amonas sich mehrfach gegen die Anträge wandte und ihrerseits behauptete, das Gebiet sei rechtlich erworben, nur würde die offizielle Einschreibung der Ländereien als Prozedur nicht korrekt erfolgt sein. Im Zuge der Ausarbeitung des Abzugsplans aus dem Gazastreifen in 2004 und 2005 legte der Oberste Gerichtshof fest, die betroffenen Häuser nicht vor dem Abzug zu zerstören. Bis Januar 2006 wurde über einen Abriss bzw. andere Lösungen und die Anträge der Organisationen verhandelt, schließlich wurde die Räumung und Zerstörung von 9 Häusern im nachfolgenden Monat durchgeführt.
Quelle: Natan Dvir
Der Widerstand gegen die Räumung der Häuser im Februar 2006 ließ sich im Bewusstsein der jüdischen Gemeinschaft von Judäa und Samaria als ein Trauma nieder und auch im Rest Israels erntete die Vorgehensweise der Räumungskräfte, allen voran der Spezialkräfte der israelischen Polizei, vielfache Kritik. Am Räumungstag waren tausende Demonstranten, Männer und Frauen, darunter zahlreiche Jugendliche, vor Ort, verbarrikadierten sich in den Häusern und auf den Dächern und füllten die Fläche. Zur Räumung wurden ebenso mehrere Tausend Polizisten ausgesandt, welche, auf Pferden und
Quelle: NRG
mit Schlagstöcken bewaffnet, gegen die aufgebrachte Menge vorgingen. Der Widerstand war gewalttätig; brennende Reifen wurden als Barrikaden genutzt, Steinblöcke gegen die Einheiten geworfen. Ebenso waren es die Reaktionen der Polizisten. Demonstranten wurden mit Schlagstöcken verprügelt, Pferde ritten über zu Boden geworfene Jugendliche hinweg, Frauen und junge Mädchen wurden mit Gewalt
Quelle: AP
angegriffen. Mehrere Demonstranten erlitten Schädelbrüche und blutige Verletzungen. Bilder blutender Verletzter füllten die Presse. Die Räumung von Amona fand nur ein halbes Jahr nach der Zerstörung von Gush Katif im Sommer
Quelle: oferikodotcom
2005 statt und riss die tiefen Wunden, die diese Räumungen innerhalb der nationalreligiösen Gesellschaft hinterließen, erneut auf.
Seit 2006 wurden weitere Anträge seitens der Organisationen wie „Yesh Din“ gestellt mit der Forderung, ganz Amona abzureissen, erneut mit der Behauptung, diese wäre auf Privatland gebaut worden. Dasselbe sollte, so Vertreter dieser Organisationen, für über 2000 weitere Häuser im Großraum Judäa und Samaria gelten und man würde alle Bemühungen anstellen, um auch deren Abriss zu erwirken. Die Verwaltung von Amona legte Dokumente vor, welche den Landkauf beschrieben und zu erklären versuchten, weshalb die Kaufprozedur nicht abgeschlossen worden war. 2014 schließlich erließ der Oberste Gerichtshof einen Beschluss, in welchem ein Abriss der gesamten Siedlung bis Ende 2016 durchzuführen sei. Der Abriss würde nur durch einen gesetzlichen Beschluss der Regierung aufgehalten werden können.
Zwei Jahre lang versuchen die Bewohner von Amona, diesen Abriss zu verhindern und fordern eine Legalisierung der Siedlung durch die Regierung mithilfe gerichtlicher Entscheidungen im Bezug auf das betreffende Gebiet. Diese Bemühungen wurden ab 2016 verstärkt. Bisher haben diese nicht zu einem positiven Ergebnis geführt und der Abrisstermin steht auf Dezember 2016 fest. Einige Knessetabgeordnete, so auch die Vorsitzende der „Habait Hayehudi“-Fraktion Shuli Mu’allem-Refaeli, unterstützen den Widerstand gegen den Abriss von Amona. Mu’allem-Refaeli fordert eine gerichtliche Legalisierung der Siedlung und weiterer Häuser, welche, so sie in einem Interview, auf der Zielscheibe linksextremistischer Organisationen stünden. Dokumente, welche der Nachrichtenagentur Walla! zugekommen waren, würden auch die finanzielle Mitwirkung der Regierung bei der Entwicklung von Amona im Laufe des neuen Milleniums nachweisen. Darauf beruft sich auch der Widerstand der Bewohner von Amona – die Regierung würde nach jahrelanger Unterstützung und Ausbau der Siedlungen einen Abriss verlangen, hätte allerdings bei dem Aufbau und der Entwicklung sich nicht die Mühe gemacht, den rechtlichen Status der Gebiete zu überprüfen und die Besiedlung dieser erlaubt. Dass der Staat nun den Abriss ganzer Ortschaften verlange, wäre nicht zu akzeptieren.
Auch zahlreiche Rabbiner, darunter Vorstände der modern-orthodoxen Organisationen wie „Beit Hillel“ und „Tzohar“, unterschrieben eine Forderung an die Regierung, die Siedlung Amona nicht zu zerstören, sondern eine gerichtliche Lösung für die Weiterbestehung der Ortschaft zu finden. Rabbiner Ya’ir Frank ließ in einem Interview von Israel National News verlauten, seine Hoffnungen würden dem neuen Verteidigungsminister Avigdor Liebermann gelten, welcher schon „in der Vergangenheit“ bewiesen habe, dass seine Partei „Israel Beitenu“ komplizierte Vorgänge innerhalb der Gesetzesgebung der Knesset vorantreiben könne. „Es gibt keine Begründung, 40 Familien mit Kindern aus ihren Häusern herauszuzerren, es widerspricht jeder Logik“, sagte er.
Familie Shaag aus Amona, NRG
Innerhalb der Gemeinde selbst, so laut einem Interview von Bewohnern Amonas, seien die Meinungen zwar geteilt, allerdings sei eine große Anzahl der Bewohner für einen kompromisslosen Protest gegen die Zerstörung und mögliche Übersiedlung von Amona auf eine andere Gebietsfläche – eine Möglichkeit, welche dem Verwaltungsrat von Judäa und Samaria und Amona seitens Regierungsstellen vorgeschlagen worden war.
„Es stimmt, eine Übersiedlungslösung könnte uns einen Wohnraum in einer bequemeren Gegend verschaffen, aber wir weigern uns, diese Lösung anzunehmen; nicht nur, weil wir uns mit diesem Ort verbunden fühlen, sondern auch, weil wir uns aus der Räumung heraus entstehenden Konsequenzen bewusst sind“,
erklärte auch Rabbiner Frank (INN).
Tali Lahav, eine Einwohnerin von Amona und Erzieherin von Beruf, kommentierte die Ereignisse so (INN):
„Es handelt sich hierbei nicht um irgendeinen verlassenen Hügel. Wir sind ein ganz normaler Ort, in dem gesetzestreue Bürger wohnen, die ihr Leben in Ruhe leben wollen. Es ist uns klar, dass dieses Gebiet nicht in arabische Hände übergehen wird. Es ist ein strategisch wichtiger Punkt, es schaut über Ofra hinaus bis zum Ba’al Hatzor-Gebirge. (…) Es liegen hier 9 Gebäude in Ruinen (nach ihrem Abriss in 2006, pers.Anm.) und die Siedlung wurde um sie herum weitergebaut worden. Kein Araber hat das Gebiet übergeben bekommen und kein Araber will diesen Platz in Wirklichkeit. Es ist Zerstörung um der Zerstörung willen.“