Die fatale Kreuzung. Etwas besser klargestellt

Die Situation an der Gush-Etzion-Kreuzung, meiner taeglichen Arbeitsroute, ist eine der schwierigsten der letzten Jahre.  Im Folgenden ein Gespraech mit einem Offizier vor Ort, von heute morgen.


Seit der erschuetternden Entfuehrung der drei Jugendlichen von der Bushaltestelle bei Alon Shevut im Sommer 2014, welche einige wenige Kilometer von der Kreuzung selbst liegt; nach den toedlichen Rammattacken, u.a. auf Dalia Lemkos aus Teko’a und Hadar Buchris aus Zfat, nach dem Schussattentat auf Ezra Schwarz aus den USA und Yaakov Don aus Alon Shevut, dem Tod im Kreuzfeuer vom IDF-Offizier Eliav Gelman aus Karmey Tzur, mehrere versuchten und durchgefuehrten, aber nicht zum Tod gefuehrten Messerattacken auf Wartende und Soldaten an der Kreuzung – seit all diesen Ereignissen, speziell ab Oktober 2015 – wird diese Kreuzung, die als eine der Orte mit groesstmoeglichem Gefahrenpotenzial fuer Terrorismus gilt, durch Offiziere, Spezialeinheiten und regulaere Soldaten bewacht.

Im Laufe der Ereignisse wurden dieser Kreuzung, dem Bushaltestellen und dem Einkaufslaeden-Areal um sie herum, immer mehr sicherheitstechnische Schutzbarrieren hinzugefuegt, bis die Kreuzung angefangen hat, wie eine Militaerbasis auszusehen. Zwei Soldaten bewachen von morgens bis abends jede der 4 Haltestellen nach Norden, Osten, Westen und Sueden. Mittlerweile stehen bei uns zwei Aussichtstuerme, die jeweils nach Norden und Sueden blicken und nach verdaechtigen Personen Ausschau halten. Die Freiflaechenareale um die Haltestellen wurden mit einem provisorischen Zaun umgeben, damit dieser im Falle eines sich herannaehernden Terroristen diesen zu einem Umweg zwingen und den Soldaten genuegend Reaktionszeit verschaffen koenne. Betonkloetze wurden fuer die in praller Sonne stundenlang mit schussbereiten Waffen stehende Soldaten mit Ueberdachungen versehen. Auf der Einfahrt zum Rami Levy stehen Soldaten, die die Autofahrer ueberpruefen – nach einem Messerattentateines Hevroner Terroristen auf eine Frau am 28.10.15.


Es ist eine Atmosphaere der Militarisierung. Leider scheint sie nicht

Soldat an der Gush Etzion-Kreuzung.
Soldat an der Gush Etzion-Kreuzung.

im Begriff zu sein, sich zu lockern. Auf meinem Arbeitsweg durch die arabischen Felder von meiner Containersiedlung aus werde ich fast taeglich von Soldaten angesprochen, die mich aus der Ferne ueber den Aussichtsturm und die Kameras erkennen. Heute morgen wurde ich zwar nicht abgefangen, aber an der Bushaltestelle angekommen, befragte mich ein streng und sehr „motiviert“ wirkender Offizier, woher ich eben heruntergekommen sei und teilte mir mit, dass jede aus den Feldern kommende und auf der Strasse zur Kreuzung gehende  Person als verdaechtig eingestuft wird. Ich wollte daraufhin wissen, wie es um die Situation der arabischen Bewohner der umgebenden Doerfer oder ueberhaupt der palaestinensischen Araber hier bestellt sei. Wie sieht die Reaktion aus, wenn ein arabischer Fahrgast an der Kreuzung aussteigen muss oder sonstwie an die Kreuzung gelangen will?

„Sie muessen an der Kreuzung selbst herausgelassen werden. Das gilt dann automatisch als verdaechtig. Fuer sie gilt die Prozedur fuer die Ueberpruefung verdaechtiger Personen. Jeder gilt automatisch als verdaechtig. Wenn jemand zu Fuss kommt, ueberpruefen wir diesen auf Dokumente, Waffen, sagen ihm, er soll umdrehen (bez.weitergehen, ich habe die Antwort nicht genau verstanden, bitte nicht beim Wort nehmen!), nicht hier anhalten. Wenn jemand herueber muss, begleiten wir ihn persoenlich ueber die Kreuzung.“

Ich selbst war schon mehrmals Zeuge einer solcher Sicherheitsueberpruefungen gewesen. Arabische Fussgaenger, die zur Kreuzung kamen, wurden angehalten, befragt. Ein junger Mann wurde an einen Lampenpfahl gestellt und nach Waffen durchsucht. Ein anderer, den ich vor Kurzem beobachten konnte, diskutierte mit Papieren in der Hand mehrere Minuten lang aufgeregt mit den Soldaten, die ihn abgefangen hatten. Ich konnte leider nicht verstehen, worum es dabei ging, aber die Gesten verrieten es natuerlich – die Passiereinschraenkungen. Am Schluss wurde der Mann von zwei Soldaten auf die andere Strassenseite eskortiert.

Was sei mit den hier in den Geschaeften Arbeitenden, wie kaemen sie zur Arbeit? fragte ich.

„Sie haben besondere Erlaubnispapiere. Wir haben eine Liste der hier angestellten Arbeiter. „

Einige Meter weiter von der Stelle, wo der oben beschriebene Mann angehalten worden war, hinter dem provisorischen Zaun, befindet sich ein Kiosk mit einigen Gluecksspiel- und Wettautomaten und ist besonders zu Abendzeiten gut besucht – von lokalen arabischen Einwohnern. Der Kioskbetreiber ist ebenso Araber. Ich tauche dort immer auf, wenn ich schnell mein Telefon aufladen muss, sie kennen mich dort schon. Ich habe sie nicht gefragt, woher sie dorthin kaemen. Offenbar mit Autos, die auch davor geparkt werden.  Fahrzeuge duerfen auf dieser Strasse fahren, werden nicht angehalten. Es koennten auch alles lokale Arbeiter sein, aber ich bezweifle, dass sie das alleinige Publikum ausmachen. Ich muesste tatsaechlich einmal nachfragen.

Die Situation ist seltsam – auf der Kreuzung werden Araber angehalten und ueberprueft, einige Meter weiter sitzen sie gemuetlich im Kiosk an Gluecksautomaten, rauchen, wetten und spielen Lotto…
Noch eine Frage habe ich an den Offizier: Wie kommen palaestinensische Bewohner zum Rami Levy-Supermarkt?

„Auch beim Supermarkt stehen Soldaten, die die Ankommenden ueberpruefen.“

Ich persoenlich weiss, dass zum Supermarkt generell nicht zu Fuss gegangen wird; die palaestinensisch-arabischen Kaeufer gelangen dorthin mit Fahrzeugen. Auch fuer die Restaurants im Einkaufsareal gibt es keine Einschraenkungen fuer arabische Interessierte – nicht fuer das Fleischrestaurant „ROZA“, nicht fuer das Cafe „English Cake“, nicht fuer den Pizzaladen hinter  „Rami Levy“. Habe nachgefragt.

Nicht zu vergessen, auch die Landstrasse, die zu den westlichen Ortschaften  – Alon Shevut, Kfar Etzion, Bat Ayin, Rosh Tzurim, Gevaot fuehrt – ist mit einem Soldatenposten versehen. Nach den letzten Angaben, die ich erfragt habe, duerfen nur palaestinensische Wagen hinein, von denen die Besitzer dort in der Gegend wohnen bzw. arbeiten. Eine Lektion aus dem Schussattentat auf den Stau neben Alon Shevut, bei dem zwei Israelis getoeten worden waren und ein offenbar nicht absichtlich getoeteter  palaestinensischer Araber, „Kollateralschaden“ des Attentats sozusagen (ein schwerer Begriff, ich weiss. Ich frage mich, ob die Familie des Attentaeters sich bei den Verwandten des Ermordeten entschudigt hat oder ob dieser auch in die Statistik der „Maertyrer von Palaestina“ eingegangen ist). 

Seit wann seien diese erschwerten Sicherheitsmassnahmen eingefuehrt worden, seit der letzten Terrorwelle?

„Ja“, bestaetigt der Offizier.

Mir wird es bitter zumute. So vieles ist im letzten Dreivierteljahr kaputtgegangen, so vieles erschwert worden. Die Araber leiden unter der Einschraenkung ihrer Bewegungsfreiheit. Die Juden fuerchten um ihr Leben. Der Lebensalltag ist absurd und durch und durch kontrolliert. Nicht viele koennen sich den Mut leisten, auf die Einschraenkungen zu pfeifen. Viele versuchen, ueber diese hinwegzusehen, so gut es geht, um dennoch die Vernunft und die Ruhe zu behalten. Manchen gelingt es, manchen nicht.

Mir kommt der Satz in den Sinn, der zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland sehr populaer gewesen ist: „Die Juden sind selbst schuld an ihrem Unglueck.“

Ja, die israelischen Regierungen haben sehr viele Fehler gemacht. Zu viele gravierende Missstaende geschaffen. Die bedeutendsten  Fehler waren die Nicht-Annektierung von Judaea und Samaria nach dem Sechstagekrieg 1967 und die Schaffung der Palaestinensischen Autonomiebehoerde und ihre Inkraftsetzung durch die Osloer Vertraege in 1994.

Aber wenn der beruechtigte Satz im Bezug auf die Juden auch nur irgendwo ein Fuenkchen Wahrheit in sich traegt, dann stimmt er, im Hinblick auf die letzten 100 Jahre, fuer die palaestinensischen Araber im vollen Umfang.

 

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17 Kommentare zu „Die fatale Kreuzung. Etwas besser klargestellt“

  1. Es ist schon ok, wenn du nicht jeden provokanten Kommentar von mir durchlässt. Aber ein Like zur Buurmannschen rassistischen Judenansicht ist schon sehr fragwürdig:

    https://tapferimnirgendwo.com/2016/08/03/knallhart-politischer-shakespeare/

    „In hysterischer Manier skandieren sie Witze über Juden, Schwarz und Frauen.“

    Es soll auch schwarze Juden geben „Beta Israel“, oder gar sog. braune Juden „Cochin Juden“ aus Südindien. Und in dieser wahnwitzigen Unterscheidung zwischen Juden, Schwarzen und Frauen… Es soll durchaus auch vorkommen, dass es schwarze jüdische Frauen gibt!!

    Wenn das Judentum permanent auf die Ascheknasim SIC! Chasaren reduziert wird, tust du deiner Religionsgemeinschaft keinen Gefallen.

    S. B.-H.

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  2. Liebe Chaya,
    wie trefflich hast Du Eure Situation am Beispiel des Geschehens an der Gush-Etzion-Kreuzung geschildert! Wieder einmal Danke, danke für’s teilnehmen Lassen! Dein Fazit am Ende – „Der größte Fehler war, 1967 Judäa und Samarien nicht annektiert zu haben.“ – hat mich dazu ermuntert, dem nachzukommen, was uns Christen heute, besonders nach der Schoah, von Eurem und unserem Gott, dem Einzigeinen, aufgetragen ist, – nämlich Euch zu trösten. Siehe Jesaja 40 !!!
    Uns Palm’s sind in unserem fortgeschrittenen Alter von Gott zwei Söhne geschenkt worden. Dem ersten scheint im Leben alles zu gelingen und durch ihn sind uns inzwischen auch schon zwei Enkel geschenkt worden.
    Dem zweiten fällt es immer wieder schwer, sein Schicksal anzunehmen. Immer wieder hadert er mit Gott, beschuldigt sich und auch seine Eltern, alles falsch gemacht zu haben.
    Ich entdecke, dass mein Vaterherz in alledem gerade eben zu unserem Zweiten in Liebe entbrennt, mehr als zum ersten, dem der liebe Gott scheinbar alles gelingen lässt.
    Eines Trostes bedarf zuerst ein geschlagenes Kind. Worin besteht wahrer Trost? Nicht darin, dass man im Vordergründigen gefangen bleibt. Da ist nur billiger Trost zu finden: – „Alles ist doch nicht so schlimm! Wenn du dich zusammenreißt, wird es dir schon noch gelingen.“ – Nein! In Jesaja 40, 9-11 lesen wir: „Zion, du Predigerin, steig auf einen hohen Berg, Jerusalem, du Predigerin, hebe deine Stimme auf mit Macht und fürchte dich nicht; sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott. Denn siehe, der Herr Herr kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm und seine Vergeltung ist vor ihm. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen.“
    Israel hat für die Völker noch einen gewaltigen Auftrag. Es ist Gottes Muster-Volk, dessen Historie und viel mehr noch dessen Existenz zum großen Schulbeispiel dienen soll für alle Völker, die falschen Gottheiten nach geeilt waren. Darum: „Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Dienstbarkeit ein Ende hat; denn ihre Verfehlungen sind ihr vergeben; denn sie hat Zweifältiges empfangen von der Hand des Herr für alle ihre Sünden.“ (Jesaja 40,2)
    Aus heutiger Sicht ist es leicht zu sagen, dass die Israelis ihren größten Fehler 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg begangen hätten. Bald aber wird offenbar werden, wozu dieser „Fehler“ mit den Folgen Eurer jetzigen notvollen Situation noch einmal Euch und den Vielen zum Guten dienen muss.

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  3. David Hume schrieb vor 275 Jahren: „Reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them.“
    Ärgere Dich nicht, liebe Chaya, wenn ein Paraphist Sklave seiner Leidenschaften ist.

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  4. Du hast mich schon verstanden.

    Ich drücke es etwas deutlicher aus:

    Kein Antisemitismus ohne Semitismus. Das war eine Erfindung der frühen Nationalisten des späten 19. Jhts.

    Und das intellektuelle Judentum ist auf diesen Zug aufgesprungen.

    Meine Vorfahren und auch meine Familie in USA waren und sind Juden in religösem Sinne.

    Willst du noch weitere Details?

    S. B.-H.

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  5. Danke, Chaya, für den Bericht. Ich habe die Situation dort kennen lernen dürfen (?). Es ist nicht einfach für alle Beteiligten. Und es war auch früher nicht einfach. Ich lese wieder einmal „Diebe in der Nacht“ von Arthur Koestler. Der Roman spielt im Jahre 1938 und handelt von der Besiedelung eines Berges. Im Klappentext heißt es:
    „Zweimal haben sie es schon versucht, Verschanzung, Wachtturm und die ersten Wohnbaracken auf dem unfruchtbaren Hügel zu errichten und zweimal sind sie zurückgeschlagen worden. Aber heute nacht muß der Turm stehen. ‚Wenn man sich vor einem Zaun befindet und unten nicht durchkriechen kann, hat man nur die Wahl, ihn zu überspringen. Zwanzig Jahrhunderte haben wir versucht, unter dem Zaun durchzukriechen. Man ließ uns nicht. Jetzt werden wir springen.‘“
    In den dreißiger Jahren entstand das Lied: „Die Juden sind an allem schuld“. Katja Epstein singt es: https://www.youtube.com/watch?v=aePqeOapRok
    Ich hab es meinen Schülern vorgespielt: ein Augenöffner!

    Gefällt 1 Person

    1. Ach eines noch, Hein, dass Sie hier Arthur Koestler zitieren, ist echt verstörend. Da sollte sich mal Chaya über den Herren (Selbstmörder) informieren. Ich sage nur: „Der dreizehnte Stamm“

      S. B.-H.

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  6. Was wäre denn anders, wenn man die Besatzung nicht Besatzung sondern Annektion nennen würde?

    Ich fürchte dir Erfahrung hat gezeigt, dass nichtmal die IDF eine gute (menschliche, akzeptable…….) Besatzung hinbekommt.
    Eine Annektierung eroberter Gebiete und gar eine „ethnische Säuberung“ ist nach 1945 einfach unakzeptabel für zivilisierte Staaten geworden, und das ist gut so.
    Die Vertreibung von Deutschen 1945 hat noch funktioniert,weil die Schuld Hilterdeutschlands so unendlich groß war, weil die Atombomben für Frieden sorgten, und weil die Vertriebenen, die nicht in der DDR landeten, merkten, dass sie (wenn sie die Vertreibung überlebten) riesiges Glück hatten, nicht wie ihre tschechischen oder polnischen ehemaligen Nachbarn 40 Jahre unter den Kommunisten leben zu müssen.

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    1. Judäa und Samaria sind keine besetzten Gebiete, sondern umstrittene. Nach einer Annektion wären diese Bestandteil Israels. Die meisten arabischen Bewohner Israels wollen ihre israelische Staatsangehörigkeit nicht gegen eine palästinensische tauschen. Sie schätzen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wohlstand. In welchem arabischen Land haben sie dies? Das großen Glück der Heimatvertriebenen, nicht unter einem kommunistischen Regime leben zu müssen, wünsche ich – abgewandelt – allen Arabern: Das Glück, frei von Angst und Hass leben zu können.

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      1. Es ist vergebene Liebesmühe über den Judenstaat, der durch eine Ausgeburt der europäischen Nationalismen entstanden ist (leider erst nach dem Holocaust! sic!), überhaupt nach zu denken.

        Ja, es ist richtig, was Chaya sagt: „Die Juden“ sind an allem selber schuld. Es ist leider so.

        S. B.-H.

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      2. Nichts zu danken Chaya,

        warum wohl hat mein Urgroßvater eine Christin geheiratet. Er wollte keinen Schritt zurück gehen, das waren seine Worte. Im Judentum steckt dieser antisemitische „Dreck“ seit 2000 Jahren.

        S. B.-H.

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