Diejenigen, die Israel-basierte Nachrichtenseiten und auch meinen Blog und die Updates bei Facebook verfolgen, müssten sicherlich wissen, dass wir in unserem Land in den letzten Monaten einen rapiden Anstieg an terroristischen Attentaten erleben, welche trotz gelegentlicher zahlenmäßiger Abnahme noch immer unseren Alltag prägen. Das betrifft sowohl die Gebiete von Judäa und Samaria als auch den Rest Israels. Die Terroristen können überall zuschlagen, und sie gelangen auch in jede Stadt – wie das Beispiel des neuesten Terrorattentats in der sonst als „neutral“ betrachteten Zone, in der Stadt Rishon leZion, am 02.11.15 zeigt. Bei der Messerattacke wurden 3 Menschen verletzt, darunter 2 schwer. Dabei ist Rishon leZion weit entfernt davon, als „illegale Siedlung“ betrachtet zu werden.

Der Terrorist, ein 19-jähriger muslimischer Araber, kam aus der Stadt Hevron (mehr zu Hevron – hier), wie schon zahlreiche andere Angreifer. Hevron ist bekannt für seinen stark traditionellen, ideologisch-religiösen Charakter im Vergleich zum eher säkular ausgerichteten Ramallah, die verstärkt feindselige Stimmung innerhalb der Bevölkerung gegenüber Juden und Israelis, ebenso wie eine breite Unterstützung der Terrororganisation Hamas, welche in Hevron einen zentralen Stützpunkt innerhalb Judäa und Samaria sieht. Aus Hevron stammten u.a. auch die beiden Entführer der Jugendlichen Eyal, Gil-ad und Naftali, welche im Juni 2014 entführt und ermordet worden sind, an der Bushaltestelle neben meiner Siedlung Alon Shevut. Im Rahmen der darauffolgenden Militär- und Suchoperation „Hüter meines Bruders“ in Judäa und Samaria, welche daraufhin in die Operation „Fels in der Brandung“ im Gazastreifen überging, wurden über 300 terroristisch aktive Palästinenser, darunter über 250 Hamas-Aktivisten in Hevron und Umgebung sowie in Samaria von Israel festgenommen (Quelle: IDF, Haaretz). – Wie nun der 19-jährige Terrorist nach Rishon leZion gekommen ist – als illegaler Eindringling, als Angestellter eines israelischen Arbeitgebers oder auf andere Art und Weise, habe ich nicht geschafft, herauszufinden. Darüber wurde nicht ausführlich berichtet. Eines ist allerdings einleuchtend – wenn dieser es in die Landesmitte geschafft hat, wie hoch stehen dann die Chancen für Attentate in der eigenen Nachbarschaft der Täter!
Auch Attacken auf Sicherheitskräfte – Polizisten und Soldaten – mehren sich, das vor allem an den sog. „Checkpoints“ (Kontrollpunkten) auf der „Grünen Linie“, auf Kreuzungen und an Bushaltestellen, auf welchen diese stationiert werden, um Zivilisten vor Autoattentaten und anderen Übergriffen zu schützen. Dutzende versuchte und ausgeführte Angriffe auf Soldaten und Grenzsschutzpolizisten am Übergang zwischen Jenin und der israelischen Stadt Afula im Norden Israels, an der Kreuzung zu Bet Enun nahe Hevron, in der Altstadt von Hevron, auf der Gush Etzion-Kreuzung, am A-Zaim-Übergang zwischen Jerusalem und der Autobahn Richtung Totes Meer führten dazu, dass die militärische Präsenz an diesen Knotenpunkten zusätzlich verstärkt werden musste. In vielen Fällen schützen Soldaten mit ihrem Körper die beistehenden Zivilisten während einer Attacke, in anderen kommen sie erst nach der Tat zur Hilfe, so wie im Fall meines Bekannten Me’ir Pavlovsky aus Hevron, welcher Anfang Oktober von einem Messerstecher lebensgefährlich verletzt wurde und nur durch ein Wunder gerettet werden konnte.
Erst gestern wurde ein 20-jähriger Grenzschutzpolizist lebensgefährlich verletzt, als ein arabischer Angreifer diesen auf der Autobahn 60 überfuhr. Der Terrorist wurde erschossen, der junge Mann wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Die eindeutige Gefahr, welche wir momentan mit der Luft einatmen, hat dazu geführt, dass, um das allgemeine Sicherheitsgefühl der Bewohner von Judäa, Samaria und ganz Israel zu verstärken, die Präsenz von Sicherheitskräften erheblich erhöht wurde. Wer jemals als Tourist in ruhigeren Zeiten in Israel zu Besuch gewesen ist und sich neben Soldaten mit Gewehr im Bus mulmig gefühlt hatte – wisst, dass es noch gar nichts gewesen ist im Vergleich zu der drückenden Anwesenheit von bewaffnetem Schutzpersonal in Städten und auf

den Straßen im letzten Monat. Sie stehen auf den Straßen Jerusalems, in den Banken, auf den Bushaltestellen, patroullieren in Gassen. In Judäa und Samaria hat sich die Überwachung um ein Deutliches erhöht – die Autoattentate haben zu weiteren Betonwällen vor Bushaltestellen geführt; hinter den Betonklötzen in jede Fahrtrichtung stehen Soldaten in Bereitschaftsposition und in Helmen – auch diese Aufmachung ist neu. Seit dem 28.10, an welchem ein Hevroner Attentäter eine Frau neben unserem Supermarkt Rami Levy niedergestochen hatte, wurden Betonaden auch an der Einfahrt zum Supermarkt stationiert, auch

dort Soldaten. Die Verkehrsinsel zwischen den Haltestellen an der Gush-Kreuzung wurde für Fußgänger abgesperrt – denn auch von diesen Übergängen gelangten Terroristen schneller zu Wartenden auf Haltestellen und griffen diese an. Anhaltefahrer, auch solche, die sich immer stur geweigert hatten, hinter den Betonaden zu stehen, stellen sich widerstandslos hinter diese, und um sie herum stehen Soldaten mit Finger auf dem Abzug und Helmen.

Es herrscht, so muss ich leider sagen, eine Atmosphäre der Militarisierung, die einerseits das Gefühl gibt, geschützt oder zumindest nicht allein gelassen zu sein inmitten einer feindlichen Bevölkerung – aber es ist eine Tendenz, die kaum jemandem innerhalb der jüdischen Bevölkerung gefällt. Entgegen der verbreiteten Annahme, die auch ich öfter als Vorwurf mitbekommen habe, freuen sich die „Siedler“ in Judäa und Samaria nicht über zusätzliche Grenzen, über Militärpräsenz oder Überwachung. Die hier aus ideologischer Überzeugung lebenden Juden sehen dieses Land als Teil ihres Erbes und ihres Landes, und sehen nicht ein, weshalb sie sich als Namensgeber dieser Gegend (immerhin, Judäa!) und als Rückkehrer hinter Zäunen, Soldaten und Kameras verstecken müssen, während die benachbarte arabische Bevölkerung keine Selbstschutzmaßnahmen aufwenden muss (wohl aber Kontrollmaßnahmen seitens der Armee). Schon allzu oft habe ich innerhalb der Siedlergesellschaft die Meinung gehört, die

Sicherheitsmauer, welche 2002 initiiert wurde, gehöre abgeschafft, und würde nur zu Beschämung der jüdischen Gemeinschaft und zu einer fälschlichen Schaffung von Fakten beitragen. Trotz ihrer praktischen Vorteile – das Fernhalten von Attentätern vom israelischen Staatsgebiet – ist sie keine willkommene Maßnahme in den Augen der Siedler. In Judäa und Samaria gibt es Ortschaften, deren Bewohner sich immer und immer wieder weigern, ihren Ort einzuzäunen, und dadurch in Auseinandersetzungen mit der Armee geraten, welche auf verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gilt, um u.a. die eigene Bürde der Überwachung zu lockern. Und es gibt auch Beispiele, wo sich jüdische und arabische Einwohner zusammengetan haben, um gegen den Bau der Trennmauer zwischen den jeweiligen Ortschaften zu protestieren – so in Efrat und den arabischen Dörfern drumherum.

Wir wissen wohl, dass gerade in dieser erneut angespannten Zeit, deren Abklang momentan nicht absehbar ist, der Schutz notwendig ist. Auch an Soldaten und Absperrungen haben wir uns gewöhnt, die dennoch das tagtägliche Zusammentreffen beider Bevölkerungsgruppen – der jüdischen und der arabischen – nicht verhindern, sondern nur bedingt sicherer machen. Aber die Militarisierung als Antwort auf Terror, welche viele aus der Perspektive der Palästinenser beklagen, hinterlässt auch bei uns Spuren, und nicht wenige.
Die israelische Realität hat niemals aufgehört, komplex zu sein.
Trotzdem bin ich seit Donnerstag sehr glücklich als Tourist bei euch in Israel, obwohl ich ein ängstlicher alter Mann bin
Alles Gute
LikeGefällt 1 Person
Liebe Chaya,
ich nehme Dich in meine Arme und drücke Dich ganz herzlich.
Du/Ihr seid das mutigste und tapferste Volk, das ich kenne!
https://www.youtube.com/watch?v=S2swFOBy65I .
L’Chaim, liebe Chaya!
LikeGefällt 1 Person
Liebe Chaya,
Dein letzter Satz trifft es auf den Punkt.
Ansonsten: Dankeschön für Deine ausführlichen Berichte und Hintergrundinformationen, so etwas bekommt man nur auf diesem Wege, die üblichen Medien liefern so etwas nicht.
Pass auf Dich auf und Shalom aus Hamburg
Friedrich
LikeGefällt 2 Personen
Liebe Chaya,
ich schließe mich Friedrich an und bedanke mich auch für Deinen tiefen Einblick in die Situation in Israel.
Eine befreundete Familie war gerade für eine Woche in Israel, die von einer kath. Pfarrgemeinde organisiert wurde. Im Herbst des vergangenen Jahres wurde die Reise wegen der Situation in Israel verschoben. Jetzt ließ man sich nicht beirren. Meine Freunde waren das erste Mal in Israel und kamen sehr begeistert zurück. Nicht nur wegen des für uns sehr wichtigen religiösen Bezuges, sondern auch wegen der anderen Erlebnisse und Einsichten, die sie in Israel hatten. Sie sehen jetzt alles mit ganz anderen Augen. Sie hatten auch eine sehr kompetente und intelligente Reiseleiterin. Eine Deutsche, die etwa 1960 nach Israel übergesiedelt ist. Nicht nur Ihre Sprachkenntnisse (6 Sprachen) haben begeistert, sondern auch ihr Wissen allgemein und besonders ihre Bibelfestigkeit. Sie wusste mehr als der durchschnittsgläubige Reiseteilnehmer.
In diesem Zusammenhang ist mir noch einmal ganz deutlich ins Bewusstsein gerufen worden, wie wichtig der Tourismus für Israel ist. Nicht nur wegen der Einnahmequelle, sondern viel mehr noch durch die Vermittlung von Wissen durch die Reiseleiter. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Anfang und Ende der 90ger war ich zwei mal in Israel und war von den jeweiligen Reiseleitern sehr beeindruckt. Der eine war ein Jecke in meinem Alter und der andere ein christlicher Araber, der stolz darauf war, dass er nachweisen konnte, dass seine Familie dort schon seit 400 Jahren lebt. Beide waren, wie man in Berlin so sagt: „Allererste Sahne“.
Noch in diesem Jahr fährt der Chorleiter unseres Kirchenchores, der sich am Ende seiner Ausbildung befindet, zu einer Konzertreise mit noch anderen Musikern nach Israel. „Ich habe keine Angst“, sagte er mir auf eine entsprechende Frage mit jugendlicher (24 Jahre alt) Unbekümmertheit.
Der Tourismus ist Eure „Geheimwaffe“ im Propagandakrieg, bei dem ihr bisher immer die Unterlegenen wart. (Aber das soll sich in Zukunft bei Euch auch was tun, wie ich gelesen habe. Es wird aber auch Zeit.) Deshalb richtet sich der Terror auch immer gegen den Tourismus.
Mir war einfach danach, Dir auch mal einige persönliche Eindrücke zu schreiben. Quasi als kleines Dankeschön.
Pass gut auf Dich auf,
mit herzlichen Grüßen,
Paul
LikeGefällt 1 Person
Danke dir Paul! Ich schaetze es sehr!
LikeLike