Es geht weiter mit der Interviewreihe „Siedler über sich“. Dieses Mal lesen wir, was uns Josef, ein junger Mann aus Petach Tikva nahe Tel Aviv zu erzählen hat, und wieso er sich entschloß, in einem Institut in der Siedlung Itamar seine Lernjahre zu verbringen.
Hier findet ihr die Interviews von Orli und Asher.

Zur Information: Itamar liegt nordöstlich von Tel Aviv, in den Bergen von Samaria, ca.55 km – 45 Minuten – Autofahrt entfernt von der Grenze mit Jordanien. Die nächstgrößte arabische Stadt ist Nablus (hebräischer Name: Shechem), die nächstgrößte jüdische Stadt: Ariel.
Woher kommst du und wieso kamst du zum Lernen nach Itamar?

Ich heiße Josef, 21, und bin in Petach Tikva aufgewachsen. Nach meinem Armeedienst habe ich eine Jeshiva (religiöses Institut für Männer, Anm.) gesucht, in welcher ich meine innere Welt bereichern könnte, bevor ich in die „große, weite Welt“ hinausziehe. Einen Ort mit warmer Atmosphäre und ernsthaftem Lernen. Noch zu meiner Armeezeit hatte ich einige Freunde, die in Itamar lernten, also habe ich mir schon zuvor die Jeshiva anschauen können. Ich habe mich in den Ort verliebt – ein bergiges Dorf im Herzen des Landes, mit einer sehr familiären Atmosphäre und ganz viel Natur. Als jemand, der sein ganzes Leben in einer Stadt zugebracht hatte, verzauberte mich vor

allem die Natur.
Welche Bildungseinrichtungen gibt es in Itamar und für wen? Kennst du noch weitere Kommilitonen, die in Itamar lernen, aber nicht in Judäa und Samaria leben, und wieso kommen sie dorthin?
Die Siedlung hat einige Einrichtungen, so zum Beispiel Grundschulen für Mädchen und für Jungen, und zu diesen Schulen kommen größtenteils Kinder aus den umliegenden Siedlungen. Es gibt eine Mittelschulen-Jeshiva für Jungen, in ihr lernen Schüler aus dem ganzen Land. Die Schule hat ein Programm für konzentrations- und lernschwache Schüler, und daher ist die Auswahl an Lernmöglichkeite groß. Die Jeshiva, in der ich lerne, ist auf Institutslevel – keine Schule mehr. Es hat einen sehr guten Ruf, und auch in ihr lernen Männer aus dem ganzen Land, in diesem Jahr gab es sogar die höchste Anzahl an Anmeldungen von allen zionistischen Jeshiva-Instituten im ganzen Land.
Erzähle ein wenig über Itamar selbst – welchen Hintergrund hat es, ist es auf biblischen Wurzeln gegründet oder eher ganz von neu entstanden?
Itamar wurde 1984 auf dem Bergmassiv südöstlich der Stadt Shechem (heute bekannt als Nablus, Anm.) gegründet. Diese Gegend hat eine vielfältige biblische Geschichte. Das Dorf selbst liegt an einer antiken Hauptstraße, welche auf dem Bergrücken verlief und das Land sozusagen in die Länge teilte; sie führte von Beersheva im Süden bis nach Megiddo im Norden. Dementsprechend spielten sich hier viele Ereignisse ab, welche wir aus der Tora kennen. Die Wanderroute von Avraham bei seinem Eintritt in das Land: „Und Avraham zog über das Land bis zum ort Shechem bis Elon More“ (1.Buch Moses, 12,6). Hier lebte Ja’akov mit seiner Familie und hier wurde seine Tochter Dina entführt (1.Buch Moses, 34). Hierher gelangten die Stämme des Volkes Israel nach ihrem Eintritt in das Land (nach Ende der Wüstenwanderung, Anm.) und erhielten den Segen auf dem Berg Gerizim und die Flüche auf dem Berg Eval (5.Buch Moses, 27, 12-14; Jehoshua 8, 33). Heute liegt auf dem Berg Gerizim die jüdische Siedlung Har Bracha. Unter dem Enkel König Davids, Rechavam, trennte sich das vereinte Königreich in Jehuda und Israel – hier war das Nordreich Israel. Und schließlich, so überliefert es die Tradition, ist der Sohn des ersten jüdischen Priesters Aharon namens Itamar hier bei dem naheliegenden arabischen Dort Awarta begraben, und nach ihm ist unsere Siedlung benannt.
Heute ist Itamar eine landwirtschaftliche Siedlung, es leben in ihr etwa 200 Familien. Es gibt einige landwirtschaftliche Betriebe und Bauernhöfe, mit Betonung auf organische Landwirtschaft. Leider hatte dieser Ort viel unter Terrorattacken zu leiden, seitens der Araber aus der Umgebung, und alles in allem fielen diesen 16 Einwohner und 3 Schüler der Mittelschule zum Opfer. Bei dem letzten verübten Anschlag wurden die Mitglieder der Familie Fogel umgebracht – darunter der Vater, Rabbiner Udi sel.A., der in meiner Jeshiva unterrichtet hatte.
(Anmerkung: Der Mord an Familie Fogel trug sich am 12.03.2011 zu, an einem Freitagabend. Zwei arabische Terroristen aus dem Dorf Awarta drangen durch den Zaun in die Siedlung ein und ermordeten Udi und Ruth Fogel und ihre 3 Kinder Yo’av, Elad und Hadas in ihrem Haus, anschließend flohen sie zurück in ihr Dorf. Sie wurden 3 Wochen nach dem Mord gestellt.)
Welche Bedeutung hat es für dich, an diesem Ort zu lernen?
Das Lernen, insbesondere hier, ist sehr wichtig für mich. Hier leben wir unsere Ideologie und machen sie wahr, wir üben praktischen Zionismus aus. Der Gedanke daran, dass vor 4000 meine Vorfahren hier gelebt haben, und die Erzählungen, die ich in der Tora lese, gar nicht weit weg von mir sind, sondern sich direkt vor meiner Nase ereignet haben – all das bringt neue Werte in das Leben hier und heiligt sie. Ich habe ein Privileg erhalten, ein Privileg, das Juden die letzten 2000 Jahre lang nicht gehabt haben – das Privileg, im Land Israel zu leben, unserem historischen Ursprungsland. Hunderte von Jahren lebten Juden im Exil in allen Ecken der Welt, als ein unterdrücktes und erniedrigtes Volk, und ich, unbedeutend wie ich bin, habe das Privileg bekommen, zuzusehen, wie unser Volk auflebt und zurück in sein Land kehrt. Der Gedanke daran berührt mich immer wieder von Neuem und gibt mir Kraft, stolz darauf zu sein, in diesem Land zu leben.
Wenn dem so ist, könntest du dir vorstellen, hierher umzuziehen – nach Judäa oder Samaria?
Eigentlich bietet sich so ein Umzug an, ich habe keinen Zweifel daran, dass, sollte ich heiraten oder mein Institut verlassen, ich in irgendeine der Siedlungen ziehen werde. Und wenn ich es sogar einrichten kann, hier in Itamar zu bleiben, dann bin ich doppelt zufrieden. Itamar hat eine große Gruppe an jungen Paaren, und viele kleine günstige Wohnungen, die diese mieten können, daher ist es auch sehr bequem und einladend, hier wohnen zu bleiben. Das machen auch die meisten Studenten, wenn sie mit ihrem Lernprogramm fertig sind.
Was gefällt dir denn am Meisten an deinem Studium hier in dem Gebiet?
Die Verbindung zur Natur ist etwas, was mich sehr anzieht. Das Gemeinschaftsleben im Ort, insbesondere, da die Siedlung nicht so groß ist (an die 200 Familien), gibt es eine sehr familiäre Atmosphäre. Der Charakter der Jeshiva, in der ich lerne, ist sehr offen, und das ermöglicht aufrichtiges und seriöses Lernen, denn es basiert auf der persönlichen Verantwortung eines jeden Schülers.
Hast du irgendwelche Bedenken, Zweifel, Ängste bezüglich der Terrorgefahr?
Ganz ehrlich, man muss dumm sein, wenn man keine Bedenken hat, denn es gibt durchaus genug Gründe, um welche zu haben. Und dennoch ist man schwach, wenn man aufgrund dessen aufgeben und gehen will. So wie in allen Dingen, muss man auch hier einen Mittelweg und Ausgleich finden.
Einerseits, muss man verstehen, dass das Leben hier keine perfekte Harmonie und Bequemlichkeit bietet, und in den Dörfern um dich herum leben Menschen, die dich umbringen möchten, und daher muss man Vorsicht walten lassen. Dafür hat Itamar eine sogenannte „Bereitschaftseinheit“ für den Fall, dass Terroristen in das Wohngebiet eindringen (was schon einige Male geschehen ist, so wie bei dem Mord an der Familie Fogel). Die Armee befindet sich hier in unmittelbarer Nähe, 24 Stunden am Tag, und viele der Einwohner haben eine eigene Pistole mit Waffenschein. Wie der Fall bei vielen kleinen Siedlungen, sind die öffentlichen Verkehrsmittel hier rar und die meisten bewegen sich hier per Anhalter. Wir sind daher vorsichtig, und schauen genau, zu wem wir zusteigen, und fahren nicht mit dem Erstbesten, der anhält.
Nebst all diesem, ist es auch wichtig zu wissen, dass auch auf der Seite der Araber es einfache Menschen gibt, die einfach nur ihr Leben in Ruhe leben möchten und am Ende des Tages einfach heim von der Arbeit kommen wollen. Nicht alle Araber sind Terroristen und diejenigen, die hier leben, wissen das sehr gut. Es ist schon witzig, dass die Leute, die außerhalb von Judäa und Samaria leben, viel mehr Angst haben als wir. Ich glaube, das liegt vor allem an Unkenntnis. Je weniger Kenntnis voneinander es zwischen Juden und Arabern gibt, desto größer wird die Angst auf beiden Seiten. Es gibt zwar Terroranschläge, und sie haben keinerlei Legitimation, aber die meisten Anwohner hier leben gut miteinander. Wir fahren zusammen auf denselben Straßen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und gehen sogar zusammen zu den selben Orten einkaufen.
Gibt es deiner Meinung nach etwas „Besonderes“ an der jüdischen Gesellschaft in den Siedlungen?
Es ist zwar von Ort zu Ort verschieden, aber alle jüdischen Ortschaften haben es gemeinsam, dass sie einem das Gefühl einer Umarmung geben. Sehr warmherzige Menschen, sehr viel Hilfe und Unterstützung. Die Jugendlichen hier sind gut und sehr aktiv, die Familien laden uns zu Shabbat-Mahlzeiten ein und auch die Soldaten, die hier in einer Basis in der Nähe stationiert sind, und das gilt nicht nur für Itamar. In den meisten Siedlungen leben junge Paare, und das ist ein zusätzliches Plus für die Gemeinschaft.
Haben die Einwohner von Itamar oder sogar du irgendeinen Kontakt zu den arabischen Nachbarn?
Leider haben die Araber, welche in Judäa und Samaria leben, noch immer nicht die Tatsache akzeptiert, dass hier Juden leben und sie sind hierhergekommen, um zu bleiben. Als Resultat davon, und aus Sicherheitsgründen, ist der Zutritt für Araber in die meisten jüdischen Siedlungen nicht erlaubt; die Siedlungen sind von Zäunen umgeben und am Einfahrtstor sitzt ein Wachmann. Daher hat man im Alltag, wenn das Leben innerhalb der Siedlung verläuft, keine Berührung mit den arabischen Nachbarn. Auch umgekehrt ist es der Fall: der Zutritt für Juden in arabische Ortschaften unter der Kontrolle der PA ist verboten.
Aber außerhalb der Siedlung, auf den Straßen und in den Einkaufszentren trifft man aufeinander. Das bringt zwar keinen engen Kontakt herbei, aber es gibt Interaktion. Ich kenne beispielsweise Leute, die in dem naheliegenden arabischenOrt Hawara einkaufen.
Glaubst du an die Zukunft der Siedlerbewegung in Judäa und Samaria?
Ja, sehr, ich glaube an sie und unterstütze sie. Ich sehe darin eine Verwirklichung sowohl der zionistischen Werte als auch der Prophezeiungen, die das Volk Israel erhalten hat. Dabei glaube ich aber auch, dass die Ansiedlung auf eine faire Weise gegenüber den arabischen Bewohnern verlaufen muss. Wenn man das weise durchführt, kann man zusammen Judäa und Samaria entwickeln und gestalten, denn dieses Gebiet hat ein gewaltiges und vielfältiges Potenzial. Aber wenn wir, und auch die Araber, nicht in der Lage sein werden, um das mit der notwendigen Klugheit zu tun und zusammenzuarbeiten, dann kann das hier zu einem Ort der „Verrückten und Radikalen“ werden, einem Kriegsschauplatz zwischen zwei Völkern, und das wird lediglich Leid für beide Seiten bringen. Es ist mir klar, dass wenn wir in seine solche Situation stürzen werden und zu kämpfen gezwungen sein werden, wir dabei gewinnen. Der Radikalismus und der Mangel an Geduld seitens der Muslime wird sie selbst zu Fall bringen.
©2015 Chaya Tal. Ohne ausdrückliche Genehmigung darf keines der Bilder oder Ausschnitte aus dem Interview in welchem Format auch immer weiterveröffentlicht werden.