Shalom an alle.
In den letzten Tagen habe ich relativ geschwiegen und nichts veröffentlicht; das liegt daran, dass ich in den letzten Wochen sehr von meiner Arbeit und dem Studium beansprucht wurde (zur Erinnerung, ich arbeite als Reiseführerin in Teilzeit in der Knesset und studiere Nahostwissenschaften für das BA an der Bar-Ilan-Universität). In solchen Fällen kommt es leider vor, dass ich keine Beiträge schreiben kann.
Das Leben steht aber trotz meines überfüllten Alltags nicht still und es finden sich Aspekte, die es wert sind, erwähnt zu werden. Natürlich rede ich dabei von den aktuellen Ereignissen in Judäa und Samaria, auch wenn es in ganz Israel momentan alles andere als ruhig ist.
Zur aktuellen Sicherheitslage: Die Terrorversuche und Attentate flauen leider nicht ab. In Städten im Zentrum des Landes tauchen Terroristen auf und greifen Bürger an, und was Judäa und Samaria angeht, so sind Steinewürfe, versuchte (oder ausgeführte) Messer- und Schussattacken auf Kontrollposten seitens palästinensischer Araber insofern Teil der Routine, als dass selbst ich mittlerweile müde werde, sie zu erwähnen. Unsere Kreuzung, in Gush Etzion, ähnelt schon einige Monate einem Sicherheitstrakt, und wenn ich morgens durch die Felder von meiner Karavanensiedlung aus hinunter zur Hauptstraße komme, laufen mir immer wieder Soldaten entgegen und wollen wissen, wer ich sei. Sie wechseln sich ständig ab und haben sich noch immer nicht an mich gewöhnt. Einmal pro Woche hören wir in den lokalen Nachrichten von einem versuchten Attentat entweder bei uns, oder auf einer anderen Kreuzung. Die Soldaten vor Ort sind sehr angespannt, das merkt man ihnen an. Denn die Einwohner lassen sich von den Terroristen nicht daran hindern, weiterhin an den Bushaltestellen zu warten und zu fahren.
Am 14. 03 ereigneten sich eine Schuss- und Autoattacke auf der Bushaltestelle bei der Einfahrt in die Stadt Kiryat Arba-Hevron (Judäa), bei der zwei Terroristen die sich dort aufhaltenden Wartenden und Soldaten angriffen. Drei Soldaten, darunter ein Offizier, wurden verletzt und evakuiert, die Attentäter wurden getötet. Am 17.03 (heute) wurde eine Soldatin an der Ariel-Kreuzung (Samaria) von zwei Arabern angefallen, die auf sie einstachen. Die Täter wurden getötet, die Soldatin medizinisch versorgt und evakuiert. (Quelle: IDF)
Die israelische Instant-Nachrichtenseite 0404 berichtet, dass Donnerstag früh drei arabische Lastwagen mit Baumaterial von der israelischen Zivilverwaltung (für die zivilen Angelegenheiten der jüdischen und arabischen Bewohner Judäas und Samarias sowie für Landangelegenheiten verantwortlich; ein Organ der israelischen Militärverwaltung) konfisziert worden sind. Ihre Besitzer hatten sich unrechtmäßig aufgemacht, ein Landgebiet um die Siedlung Karmey Tzur (Judäa) herum zu bebauen. Das betroffene Gebiet besitzt Untersuchungsstatus (was bedeutet, dass sein Besitzer juristisch gesehen noch nicht ermittelt worden ist) und darf offiziell nicht von israelischen oder palästinensischen Einwohnern bebaut werden. Die spontane und illegale Landaneignung seitens palästinensischer Araber im C-Gebiet findet regelmäßig statt; bei manchen der Fälle hat in der Vergangenheit auch die EU ihre Unterstützung geliefert. Die israelische NGO „Regavim“ befasst sich mit illegalem arabischen Bau in C-Gebieten ebenso wie im Süden und Norden Israels.

Am 15.03., Dienstag, fand ein Protestmarsch bei uns in Judäa statt – besser gesagt, auf der Autobahn 60 zwischen der Siedlung Karmey Tzur und dem zentralen Knotenpunkt – der Gush-Kreuzung. Der Autruf wurde von den Vorsitzenden der Regionalverwaltungen getätigt – von Gush Etzion, der Stadt Kirzat Arba, Südhevron, Binyamin-Samaria, und richtete sich an die Einwohner mit dem Aufruf, gegen die freie Fahrt palästinensischer Fahrzeug durch den Hauptknotenpunkt Gush Etzion zu demonstrieren. Unter dem Motto „Hauptstraßen versperren – Abschreckung wiederherstellen“ gingen mehrere Dutzend Menschen (den Aufnahmen zufolge,

müssten es knapp Hundert gewesen sein) mit Israelflaggen und in Begleitung der Armee auf die Straße, sperrten für 2 Stunden den lokalen Verkehr ab und demonstrierten für sichere Straßen für israelische Fahrzeuge – durch das Verhindern palästinensischen Verkehrs. Der Aufruf richtete sich selbstverständlich an den Premierminister und das Regierungskabinett. Die Idee dahinter: Die unaufhörlichen Terrorakte gegen die jüdische Bevölkerung basieren auf Hetze und

werden von der unmittelbaren Umgebung der Täter befürwortet und unterstützt. Auf die Terrorakte folgt keine Reaktion der offiziellen Stellen und es gibt kein Abschreckungspotential gegenüber zukünftigen Tätern und ihren Unterstützern. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität dieser „unterstützenden“ Umgebung würde zu einem Abschwellen des Terrors führen.
Ich weiß nicht, inwiefern dieser Marsch tatsächlich etwas erreichen wird oder gar einen Sinn hat in seinen Absichten. Aber ich respektiere das Recht auf freie Meinung und Ausdruck. Es ist wichtig, dass Menschen nicht gleichgültig ihrem Schicksal gegenüberstehen.
Heute (18.03.16) findet vor der Tür sozusagen, in den Feldern bei Alon Shevut, eine „Friedenszusammenkunft“ der besonderen Art statt.
Frieden? Hier? Judäa? Westjordanland? Was? – höre ich die Stimmen.

Allerdings. Gerade bei uns, gerade in Judäa. Es geht um eine Initiative, die vor etwas anderthalb Jahren gestartet wurde, und die der Idee des im Jahre 2013 verstorbenen Rabbiners Menachem Fruman aus Teko’a nachhängt. Wer den Namen schon einmal gehört hat – gut so, so wird sich einiges aufklären. Wer nicht – Menachem Fruman, über den und seine Familie ich im Laufe der Zeit berichten möchte – war der „Wunderrabbi“ der gemischten Siedlung Teko’a in Ost-Judäa und ein national und international bekannter Friedensaktivist. Als Rabbiner, nationalreligiös und Siedler, nahm er sich vor, den Kontakt zwischen Juden und muslimischen Arabern ausgerechnet in Judäa und Samaria aufzunehmen und zu fördern. Frieden, so Fruman, muss von unten wachsen, und niemand würde dafür besser geeignet sein als die beiden Bevölkerungsschichen, die sich diesem meisten verbunden fühlen würden – die arabische Dorfbevölkerung und die jüdischen Bewohner von Judäa und Samaria.
Zu diesem Zweck führte Rabbi Fruman jahrzehntelang Gespräche mit lokalen muslimischen Geistlichen, palästinensischen Politikern, einfachen Einwohnern – und natürlich den „Mitsiedlern“. Traf sich mit ihnen, organisierte gemeinsame Gebete, besprach Auswirkungen von Terroranschlägen und ihre Prävention. Er traf sich auch mit den Anführern der Palästinensischen Autonomiebehörde und den führenden Politikern der palästinensischen Widerstands- und Terrorbewegungen! Als er 2013 an einer Krankheit verstarb, führten seine Frau Hadassah, nicht weniger bekannte Aktivistin, und seine Kinder sein Lebenswerk mit Überzeugung weiter.

Die Initiative, über die ich momentan einige Worte verlieren möchte, wird sowohl vom „Fruman’schen“-Zentrum organisiert, als auch von den „Roots“ (Shorashim/Judur auf Hebräisch und Arabisch). Und „Roots“ ist eine NGO in Anlehnung an die Ideologie von Rabbiner Fruman und ist etwa 1,5 Jahre lang aktiv. Die treibende Kraft und der „Partner zum Dialog“ dahinter ist Ali Abu Awwad, ehemaliger Fatah-Aktivist und heute in einer innerarabischen Bewegung für Gewaltlosigkeit und Kooperation tätig, die er ins Leben gerufen hat. Er, gemeinsam mit dem amerikanischstämmigen Rabbiner Hanan Schlesinger aus Alon Shevut und einigen dutzend weiteren motivierten Israelis (und darunter einigen wenigen

pal.Arabern) betreiben die Organisation als eine lokale Initiative für Kennenlernen, Verständigung und Normalisation zwischen den zwei
verfeindeten Bevölkerungsgruppen – den Arabern und den Juden Judäas und Samarias. „Roots“ veranstaltet Gesprächsrunden, Aktivitäten für Kindern, Vorträge in Amerika und der Schweiz; Rabbi Schlesinger und Abu Awwad treffen sich mit Interessierten. Es hört sich bombastisch an – aber die Organisation ist noch immer starr, beschränkt sich momentan nur auf Gespräche und Vorträge mit einer überwiegend israelischen Teilnehmerzahl (überwiegend – das heißt, in den meisten Fällen 50 zu 1).
Was aber ist das Treffen am Freitagvormittag, dem 18.03? Die „Friedenszusammenkunft“ soll zum Gespräch und Kennenlernen animieren und genutzt werden. Über die Ideologie des lokalen Friedens wird gesprochen werden. Zu den Gästen zählen auch unter anderem linke Friedensorganisationen, welche offenbar ein Interesse an ihrem „Siedleräquivalent“ bekommen haben, wohl aber bisher einen Kontakt zu den jüdischen Siedlern verneint haben. Es soll auch arabische Redner geben…
Das alles hat mir übrgens jemand beim neulichen Autostoppen erzählt. Wer war der/diejenige?
Die Tochter von Hadassah und Rabbi Fruman höchstpersönlich, Re’ut!
Ich traf auf sie beim Autostoppen nach Hause. Erst aus einem Telefongespräche verstand ich, dass es sich um die Tochter Rabbi Frumans handelte. Ihr Gespräch drehte sich natürlich um das Event am nächsten Tag. Ich sprach sie darauf an und wollte mehr darüber wissen, und vor allem über ihre Meinung darüber. Auch brennende Fragen hatte ich – und habe immer noch: Was erreicht die Organisation tatsächlich? Wie viele Menschen interessieren sich dafür? Wieso kommen so viele lokale jüdische Interessierte, treffen aber immer auf dieselben zwei bis drei arabische Aktivisten (und meistens nur auf Ali Abu Awwad)? Was soll die Initiative bei der arabischen Bevölkerung erreichen, erreicht sie etwas?
Re’ut hörte sich nach jemandem an, der ganz in die Idee ihres Vaters vertraut und mit ganzer Seele dabei ist, obwohl sie bekundete, ihr Vater habe ihr noch als Jugendliche die Wahl freigestellt, ob sie sein Lebenswerk unterstützen oder diesem fernbleiben wollte. Was die lokalen Veranstaltungen und Projekte ihrer Mutter Hadassah angeht, so meinte sie, dort gäbe es viel mehr Rückmeldung und auch Menschen, „Roots“ sei so etwas wie eine Tochter und auch davon bekämen Menschen zu hören. Sie war sichtlich voller Vorfreude auf das kommende Event. Auf die Frage, wieso die arabische Seite der Organisation nach außen hin kaum bis gar keine Beteiligung zeige, wusste sie mir Beispiele anzuführen und vor allem hatte sie ein Argument: Es ist gefährlich. „Viele, die uns im Herzen unterstützen, können sich das nicht erlauben, zu kommen. Diejenigen, die kommen, begeben sich in Lebensgefahr. Wenn sie kommen, sind sie sich das bewusst und nehmen es in Kauf. Andere, verstehst du, viele können dies nicht machen.“ Sie brachte mir ein Beispiel eines muslimischen Scheichs, der mit ihrem Vater einst viel Kontakt hatte und auch zu ihm kam. Dieser Scheich meinte, er würde keiner Bedrohung ausgesetzt sein – er sei eine religiöse Figur. – Zwei Wochen danach erfuhr sie, dass derselbe Scheich sich ins Ausland abgesetzt hatte, da gegen ihn seitens der Hamas ein Todesurteil ausgesprochen wurde.
Was Ali angeht, so Re’ut, so hat er einen großen Clan hinter sich, der zu ihm steht. Andere, die keinen großen und einflussreichen Clan hinter sich haben, haben es viel schwerer. Ob ihre Mutter Hadassah Fruman auch mit der Palästinensischen Autonomiebehörde Gespräche führe? Ja, das tue sie, so Re’ut. Wieso sollten sie ein Interesse daran haben, an einer Normalisierung, an einem guten Verhältnis? Es sei immer einfach, sich dagegen zu stellen, so Re’ut, aber auch sie hätten Interesse daran, dass es eine Realität vor Ort mit Rechten und normalisierten Zuständen gäbe.
Mehr konnte ich Re’ut leider nicht fragen und auch nicht weiter nachhaken – ich musste aussteigen. Ich hoffe, sie bei der Veranstaltung noch einmal zu sehen und auch dort selbst einige Antworten zu bekommen – zumindest in der Variante der „Roots“-Aktivisten, um zu sehen, inwiefern das Ganze einen Realitätsbezug besitzt. „Friedensaktivisten“ gibt es viele, aber nur wenige von ihnen nehmen die Wirklichkeit um sie herum in der richtigen Proportion in Kauf….
Danke für den Bericht. Hoffentlich bringen solche Aktivitäten mehr als die Reisediplomatie der EU und Kerry`s.
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