Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Die Überschrift für die folgende Geschichte, „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, habe ich nach dem Titel des Erfolgsromans des israelischen Schriftstellers Amos Oz gewählt. Diese Geschichte enthält unbeschreiblich viel Finsternis, und unendlich viel Liebe. Nur dass Oz, als erklärter linksgerichteter säkularer Intellektueller, überzeugter Verfechter der Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern und Gegner der Rückkehr von Juden nach Judäa und Samaria, nicht unbedingt begeistert wäre von dieser Titelwahl. Oder? Und was würdet ihr sagen?

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…Es war einmal eine kinderreiche, fröhliche Familie. Vater Yaakov, Mutter Noa und sechs Kinder, zwei Jungen und vier Mädchen. Die Eltern waren noch jung, Anfang Vierzig. Der Vater liebte seine Familie, seine Kinder und weil er Kinder liebte, arbeitete er als Grundschullehrer. Beide waren sie traditionsbewusste und gläubige Menschen, hatten viele Freunde und Bekannte. Sie liebten das Land und die Berge und wohnten in einer kleinen Stadt inmitten von Hügeln und Olivenbäumen – Kiryat Arba, einer warmen Heimstätte für etwa 7000 Einwohner in den malerischen Bergen von Hevron. Ihre Kinder waren ihr großer Stolz. Die Eltern hatten ihnen bedeutungsvolle Namen gegeben, so wie es in ihrer Gemeinde üblich war: Moria – „Gott ist mein Lehrer“, Netanel – „ein Geschenk Gottes“, Sarah Techiya  – Sarah, „die Fürstin“, Techiya – „die Wiedererstehung“.  Der knapp 18-jährige Sohn Netanel arbeitete als Freiwilliger bei dem „Roten Davidsstern“ – dem Äquivalent des Roten Kreuzes in Israel. Sarah Techiya, 21, die Älteste der Familie,

Sara Techiya und Ariel, Quelle: Israellycool
Sara Techiya und Arie bei ihrer Verlobungl, Quelle: Israellycool

hatte schon früh die Liebe ihres Lebens, Ariel, der nur wenige Jahre älter als sie war, gefunden. Das junge Paar wollte feierte seine Verlobung im Kreise der Familie und schon wenige Monate später wollte es heiraten. Die Hochzeit sollte nirgendwo anders als im größten Veranstaltungssaal der Hauptstadt Jerusalem stattfinden. Der Tag? Dienstag, der 17.November 2015.

Es kam die entscheidende Woche vor der Hochzeit. Es mussten noch viele Vorbereitungen getroffen werden, die Aufregung war groß. Sarahs Vater, er hieß übrigens Yaakov, hatte schon am Donnerstag vor der Hochzeit den feierlichen Anzug anprobiert und auch der Bruder Netanel hatte sein Hemd gebügelt gehabt. Am Wochenende würden die Eltern und Geschwister die Zeit mit Sarahs Bräutigam Ariel verbringen, den alle schon längst in ihr Herz geschlossen hatten. Sarah würde das letzte Wochenende ihres „Single“-Daseins mit den Freundinnen feiern – eine Art „Junggesellinnenabschied“ eben.

Ariels Familie wohnte in der kleinen Ortschaft namens Meytar, nördlich von der Wüstenmetropole Beer Sheva. Genau dorthin machten sich Vater Yaakov, Mutter Noa, Sohn Dvir und die drei Mädchen Tehila, Moria und Avia am 13.11.15 auf im Familienauto. Am Steuer saß der 17-jährige Netanel. Die Strecke führte an kleineren und größeren Dörfern vorbei, die Autobahn wand sich durch die Berge, passierte Hevron, die Siedlungen Bet Haggai und Otniel.

Es war kurz vor drei Uhr nachmittags, Sarah hatte gerade daheim geduscht, da begann das Telefon zu klingeln. „Hast du gehört, auf der Autobahn bei Otniel hat es gerade ein Attentat gegeben!“, sprach der Onkel am Telefon, als Sarah den Hörer abhob. Von plötzlicher Angst ergriffen, wählte Sarah die Nummer ihrer Eltern. Niemand ging dran. Weitere Anrufe erreichten sie, und sie erfuhr, dass ihre Mutter und ihr Bruder Dvir verletzt wurden. Sarah rief in Panik ihre zukünftigen Schwiegereltern an. „Sind alle am Leben?“, wollte sie wissen. „Es ist nicht sicher“, bekam sie zur Antwort.

Sarah begann panisch zu schreien. Das Haus füllte sich plötzlich mit Leuten und es war alles ein großes Durcheinander. Beamte des lokalen Psychologendienstes kamen ins Haus und  ließen sie wissen, dass ihr Vater und ihr Bruder in der Terrorattacke auf das Familienauto auf der Autobahn ermordet worden waren. Sie hatte das schon geahnt. Sarah wurde umgehend nach Jerusalem gefahren, ihr folgte kurze Zeit später ihr Bräutigam Ariel, der begriff, dass er seiner Braut in diesen Stunden beistehen musste. Als Sarah im Krankenhaus angelangte, fiel sie ihrer Mutter um den Hals, schrie und weinte. „Pass auf mich auf“, flüsterte ihre Mutter Noa ihr zu, „ich habe keine Kraft.“ Sie hatte soeben dem Mord an ihrem Mann und ihrem Sohn zugesehen.

(Bericht auf DIE SIEDLERIN zum Attentat auf Yakov Litman: siehe hier)

Yaakov Litman und Sohn Netane hy'd
Yaakov Litman und Sohn Netane hy’d

Sarah Techiya Litman, die in der nächsten Woche heiraten sollte, war ab diesem Freitagnachmittag Waise, zusammen mit ihren vier überlebenden Geschwistern. Sie hatte ihren Vater und ihren Bruder verloren. Sie war am Boden zerstört. Den jüdischen Ruhetag, den Shabbat, verbrachte sie mit ihrer Familie und mit Ariel in unbeschreiblicher Trauer.

Die Details des Mordes an Yaakov  und Netanel Litman begannen sich schnell aufzuklären: Der erste Schuss des Terroristen, der hinter einer Abbiegung auf ein israelisches Auto wartete, der den Vater tötete. Netanel, der zusammen mit seinem jüngeren Bruder Polizei und Krankenwagen kontaktierte und Anweisungen an die restlichen Insassen weitergab, bevor der Terrorist sich dem stehenden Auto nähern und auch ihn aus unmittelbarer Nähe erschießen konnte. Die Schwestern, die beinahe ebenso getötet worden wären, hätte nicht etwas den Terroristen davon abgehalten – das Gewehr schien nicht nachladen zu wollen und dieser flüchtete. Die Fahrer  des „Roten Halbmonds“, der palästinensischen Variante des „Roten Kreuzes“, welche wenige Minuten später am Tatort vorbeikamen, und, anstatt den Verletzten zu helfen, sie unbeteiligt an die israelische Notfallnummer verwiesen und davonfuhren.

Sarah musste sehr viel Kraft aufbringen. Die Ermordeten wurden gleich am Samstagabend begraben und Tausende erschienen zur Beerdigung. „Wer wird mich unter den Hochzeitsbaldachin begleiten, Papa?„, weinte Sarah beim Begräbnis hemmungslos. Auf die Beerdigung folgte das Trauersitzen im Hause Litman. Die ersten Interviews. Die Trauerbesuche. Währenddessen

Sarah und ihr Hochzeitskleid. Quelle: Israel Hayom
Sarah und ihr Hochzeitskleid. Quelle: Israel Hayom

wich Ariel nicht einen Moment von Sarahs Seite. In allen Presseaufnahmen, auf allen Bildern sah man Sarah und Ariel, das vom Unglück getroffene Liebespaar, welches statt des schönsten

Tags ihres Lebens das schrecklichste Unglück erleben mussten, das ihnen passieren konnte. Selbstverständlich konnte die Hochzeit nicht am geplanten Dienstag durchgeführt werden. Die Absage einer jüdischen Hochzeit gilt als  etwas, das nur in extremen Umständen geschehen darf. Und anstatt im Hochzeitskleid zu tanzen, saßen Sarah und ihre Familie in zerrissenen Kleidern als Zeichen der Trauer auf dem Boden.

(Interview mit Sarah und Ariel auf Englisch)

Doch Sarah hatte viel Kraft in sich. Nicht umsonst trug sie wohl ihren zweiten Namen, Techiya, „Wiedererstehung“. Und sie fand die Kraft. Ariel und sie entschieden: Die Hochzeit würde stattfinden.

"Kommt zu unserer Hochzeit" Der Artikel über Sarah Techiya und Ariel in der Zeitung "Yediot Aharonot"
„Kommt zu unserer Hochzeit“ Der Artikel über Sarah Techiya und Ariel in der Zeitung „Yediot Aharonot“

Wir lassen es nicht zu, dass der Terror uns zerstört. Trotz der furchtbaren Katastrophe wird es eine fröhliche Hochzeit werden„, verkündeten sie schon in den ersten Trauertagen. „Wir werden gemeinsam ein Haus aufbauen, mit Freude, im Geiste von Papa und von Netanel.“ Bald darauf wurde auch die offizielle Mitteilung der Familie und des Brautpaares bekannt gemacht. Sie teilten das neue Datum der Hochzeit mit  – und luden ganz Israel zur Hochzeit ein:

„Freue dich nicht, meine Feindin, denn bin ich auch gefallen, so bin ich wieder auferstanden.“ *

Unsere Hochzeit wird, so Gott will, am Donnerstag, dem 14.Kislev, dem 26.November, in der Nationalhalle (in Jerusalem) stattfinden. Ganz Israel ist eingeladen, mit uns aus der Asche aufzuerstehen und an unserer Freude teilzuhaben. Sara Techiya und Ariel.

(*Zitat aus Prophet Micha, Kap.7)

Quelle: INN
Quelle: INN

Wir laden alle, die mit uns den Schmerz gefühlt haben, mit uns den Sieg zu feiern. Die Palästinenser wollten uns das Leben nehmen , doch wir werden es weiterleben. Wir werden froh sein und den Weg von Papa und Netanel gehen„, erklärten beide in einem kurzen Video der Nachrichtenseite Israel National News.

Landesweit und auch auf internationalen Ebene verfolgten Juden, Israelis und auch andere, die das Schicksal von Sarah und Ariel berührt hatte, den Auftritt des jungen Paares. Der bekannte israelische Rabbiner Yitzhak Neria eröffnete für Sarah und Ariel einen Spendefonds – nicht um der Familie finanziell zu helfen, das hätten sie nicht nötig, erklärte er, sondern damit jeder, der möchte dadurch eine Chance bekäme, dem Paar eine „warme Umarmung“ zu geben und Unterstützung zu zeigen. Ein weiterer Spendefonds sammelte in 9 Tagen über 21 Tausend Dollar als virtuelle Geschenke für das Brautpaar aus der ganzen Welt. Bei der Hochzeitsvorbereitung wirkten verschiedene israelische Firmen mit, die ihre Dienste dem Brautpaar umsonst zur Verfügung stellten, so beispielsweise einen Leihwagen für die ersten Wochen nach der Hochzeit. Und viele weitere im ganzen Land warteten gespannt auf den langersehnten Tag der Hochzeit – dem 26.November, um der Einladung zu folgen und um 22.30, nach der eigentlichen Trauungszeremonie, die im Kreise von Familie und Freunden durchgeführt werden würde, an den Tänzen teilzunehmen.


Und nun war es der 26.November, und die israelische Presse übertrug live die „Hochzeit des Jahres“ von Sarah Techiya Litman und Ariel Biegel. Die ersten Bilder und Videos tauchten schon im Internet auf: Sarah im Brautkleid unterwegs nach Jerusalem.

Um 19.00 Uhr fand die eigentliche Trauungszeremonie statt. Rabbiner und führende Persönlichkeiten aus ganz Israel kamen zur Feier – so auch die Ehefrau des Ministerpräsidenten, Sarah Netanyahu. Eine Gruppe amerikanisch-kanadischer jüdischer Studenten reiste speziell zur Hochzeit an, um am Fest teilzunehmen. Weitere Tausende Menschen versammelten sich um die Halle herum, sangen, schwenkten Fahnen und bemühten sich, ins Gebäudeinnere vorzudringen, um einen Blick von Sarah zu ergattern. Die glücklichen und ergriffenen Gesichter von Sarah und Ariel füllten die Titelseiten der Presse.

In der ersten gemeinsame Mitteilung des jungen Paares Litman-Biegel dankte Sarah ganz Israel vom Herzen für die enorme Unterstützung, welche sie erfuhren (Zitat: srugim.co.il):

„Noch vor zwei Wochen kannte niemand Ariel und mich und hat sich nicht für uns interessiert. Dann, binnen einem Moment, inmitten der Hochzeitsvorbereitungen, wurden mein Vater und mein Bruder von einem grausamen Terroristen ermordet. Es gibt keinen Moment, an dem ich mich nicht nach dem Lächeln von Netanel und der Bescheidenheit von Papa sehne, und es wird mich für immer begleiten.

Aber gerade aus dem Schmerz heraus, im Monat der Stärke und des Heldentums, vor dem Feiertag von Chanukka, werden wir gemeinsam mit dem Volk Israel das gewaltige Licht der Freude verbreiten, der Güte und der Liebe, mit welchen uns die ganze Nation überhäuft hat. Und die Hauptsache ist es, sich vor nichts zu fürchten.“

 

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(Quellen für Berichterstattung und Zitate : INN, Channel 2, Srugim.co.il, Ynet)

5 Kommentare zu „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“

  1. Das macht sprachlos.
    Bei den Juden gibt es wunderbare Menschen, die man sonst wohl nicht so schnell findet.
    Die Hand des HERRN möge allezeit das Brautpaar schützen.

    Herzlich, Paul

    Gefällt 2 Personen

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