Frau, Studium, Karriere

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Logo des Herzog-Instituts. Auf dem Logo – die „einsame Eiche“, ein Symbol von Gush Etzion. macam.ac.il

Zurzeit mache ich unter anderem eine Ausbildung am Herzog-Institut. Institute hier in Israel sind höher im Rang als in Deutschland die Fachhochschulen, und werden als „intimere“ Alternativen zu einem akademischen Studium im Universitätsrahmen gesehen. In Israel gibt es hunderte solcher Institute, kleinere Einrichtungen mit einer geringeren Anzahl von Studierenden, die spezialisiert sind auf bestimmte Themen. An den einen wird reguläres akademisches Studium angeboten, an anderen gibt es Ausbildungszertifikate für bestimmte Fächer. Teilweise sind die Bedingungen optimiert für bestimmte Gesellschaftsgruppen, welche an einer homogenen Umgebung interessiert sind. So gibt es Institute nur für Frauen und nur für Männer, welche gerne von religiösen Juden besucht werden; manche davon sind speziell für charedische (sprich: ultraorthodoxe) Ausrichtungen gedacht. Es gibt technische Institute, Institute für Erziehungswissenschaften, Fotografie und Film, Kunst, Rechtswissenschaften, alternative Medizin und vieles mehr.

Was mich immer fasziniert hat, und woran ich mich noch immer nicht gewöhnen kann (und um ehrlich zu sein – manchmal noch immer stoße), ist die außergewöhnliche Anzahl von religiösen Instituten für Frauen, welche einen B.A. und M.A. in Erziehungswissenschaften anbieten. Einige wenige von ihnen befinden sich in Judäa und Samaria – so die ‚Michlelet‘ (heb. für Institut) „Orot Israel“ in Elkana (Samaria) oder auch meins, Michlelet „Herzog“ in Alon Shvut (Judäa). Das Publikum an diesen Instituten kommt zu einem überwiegenden Teil aus den nationalreligiösen Kreisen, viele von den Mädchen aus Jerusalem, aber vor allem auch aus den Siedlungen in Judäa und Samaria. Andere kommen auch aus anderen Landesteilen. Erziehung ist da extrem populär, und das in einem Spektrum, welches von der Ausbildung zur klassischen Lehrerin für Mathematik, Geschichte oder Hebräisch über das sehr beliebte Gebiet von therapeutischem Tanz und Sport bis zu nichtformaler Erziehung reicht. Nicht formale Erziehung hier vermischt sich ein wenig mit Sozialarbeit. Junge Frauen besuchen Kurse, bei welchen sie mit schwerbehinderten Kindern zu arbeiten lernen; das Unterrichten von schwererziehbaren Kindern und Jugendlichen, ADHS-betroffene Kindern, Legasthenikern, Kindern mit schwachem sozialen Hintergrund und desgleichen mehr ist sehr gefragt.  Auch das Lernen von Tora, jüdischer Philosophie und Geschichte des Landes Israel.

Das sind zumeist sehr junge Frauen, gerade frisch vom „National-/Zivildienst“, den sie ein oder zwei Jahre an verschiedenen Orten und in verschiedenen Organisationen gemacht haben, vielleicht danach noch ein Jahr gearbeitet oder vom angesparten Geld in der Welt gereist.

Und ganz oft sind sie schon – verheiratet.

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Quelle: Michlelet Orot Israel, orot4u.com

Das ist etwas, was mich noch immer in Staunen versetzt, ich komme nicht drum herum. Ich habe in einer Einrichtung für religiöse Mädchen gelernt, ‚Midrasha‘ nennt sich das (das etwas oberflächlichere Äquivalent zu einer Jeshiva für Jungs), jüdische Philosophie und Denken gelernt. Dort hatte ich viele Mitschülerinnen aus Judäa und Samaria, und die meisten waren direkt nach dem Zivildienst da, und spätestens anderthalb Jahre nach Abschluss des Lernprogramms war mehr als die Hälfte aus meinem Kurs schon verheiratet oder verlobt. Ich bekomme alle zwei Monate Nachrichten und Einladungen zu Hochzeiten von meinen Kursmädels. Wir sind alle ungefähr im selben Alter – 21 bis 25. Die frischen Ehemänner sind auch in etwa demselben Alter, teilweise älter – dennoch. Und so wie sie, so sind es auch viele Mädchen in den Instituten. Frisch, jung gekleidet, mit eindrucksvollen Kopfbedeckungen zumeist in Turbanform mit verschiedenfarbigen Tüchern, Clips, Spangen verziert, modisch abgestimmt mit Rock und Bluse oder aber bunt zusammengeworfen. Manche lassen viel Haar aus der Kopfbedeckung hervorlugen, andere mögen es strickt und verdeckt. Ein ganz normaler Anblick am Morgen oder zur Mittagspause – und manche der Mädchen sind auch sicherlich um ein paar Jahre jünger als ich, und einige haben auch gewiss schon Kinder, die daheim bei der ebenso jungen Großmutter warten.

Und ich laufe daneben, und schaue die Studentinnen mit einer Mischung aus Unglauben, leichter Entfremdung aber auch einer gewissen Portion von Neid an, dass sie selbst gar nichts Befremdliches darin sehen, und dass die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen und erzogen worden sind, sie ermutigt, die Werte von Familie und Wissenserwerb gleichermaßen hochzuhalten und sie spielerisch miteinander zu vereinen, und die Mädchen lernen, in beiden Welten zu leben. Ja sogar sehen sie keine Teilung zwischen den beiden; und sowohl in jungem Alter eine Familie zu gründen, als auch zu lernen und zu arbeiten ist für die Frauen national-religiöser Orientierung eine Selbstverständlichkeit.

Ja, Erziehungswissenschaften, jüdische Philosophie, Kinder, grafische Gestaltung und Sozialarbeit sind viel beliebter bei diesen Mädchen als Medizin, Computertechnik, Business oder Archäologie, aber erstens finde ich es persönlich wunderbar, wenn die Erziehung der jungen Generation in den Händen von intelligenten, lebenslustigen und einfühlsamen jungen Frauen mit Kindererfahrung ist, und zweitens gibt es auch wachsendes Interesse, in neue Gebiete vorzudringen. Es lässt sich erhoffen, dass auch andere Gruppen unserer Gesellschaft diese Taktik adoptieren und das Neue erobern, ohne das Bekannte und Gewohnte aufzugeben.

(⇒ Webseite zu Instituten in Israel. http://www.michlalot.co.il/)

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