Jedes Purim-Fest wird etwas anders gefeiert. Das Fest der Rettung der jüdischen Diaspora im Persischen Reich durch die jüdische Königin Esther und ihren Onkel Mordechai, die Schicksalswandlung für die Juden in Persien und Midien und der Hauptstadt Shushan (Shosh) und die Abwehr ihrer Feinde nach dem Auffliegen des Vernichtungsplans von Großvisier und Judenfeind Haman – heute, viele Generationen später, hat Purim viele zusätzliche praktische und geistige Elemente als Feiertag erhalten, spirituelle Erzählungen und Erklärungen haben sich darum gesammelt, Bräuche wie selbstvergessenes Trinken und Verkleidungsumzüge füllen diesen überaus fröhlichen und sozialen Feiertag. Im ganzen Land Israel und in der Diaspora feiern alle Juden gemeinsam – außer den Bewohnern von Jerusalem und seiner unmittelbaren Umgebung. Diese feiern, der Tradition und der Niederschrift in der Esther-Rolle entsprechend, einen Tag danach – etwas, was sich bis heute hält!
Jedes Purim verbringe ich anders. Das vorletzte Jahr war ich, als Pippi Langstrumpf verkleidet, in Hevron bei der jüdischen Gemeinde und habe hier darüber berichtet – und auch über die Bräuche und meine persönlichen Erlebnisse an diesem Tag. Das letzte Jahr verbrachte ich bei einer Ladies Night Party in unserem nahegelegenen Vergnügungspark „Eretz Ha’Ayalim“ und hatte mich, in einer Hommage an meine Lieblingshaustiere, als Katze verkleidet (leider finde ich keinen Bericht dazu).

Dieses Jahr wollte ich, infolge meiner Wissenserweiterungen bezüglich des Arabischen und der arabisch-palästinensischen Bevölkerung, etwas Ausgefalleneres als Kostüm wählen und auch diesmal wollte ich feiern gehen. Also fuhr ich, nach einiger Beratung mit lokalen Freunden, nach Bethlehem und handelte mir dort mithilfe eines Freundes ein nicht allzu teueres, aber qualitatives traditionelles Kleid einer arabischen Dorfbewohnerin aus der Gegend von Bethlehem aus. Das sogenannte „Thob Falastini“ wird usprünglich per Hand mit einem jeweils ortstypischen Dekorationsmuster, „Tatreez“ genannt, verziert (in meinem Fall natürlich maschinell…sonst müsste man über ganz andere Preise sprechen) und dazu gehören generell noch ein Schal und eine Kopfdekoration. Ich habe dabei die Kopftuchalternative „Hijab“ (einfaches muslimisches Kopftuch) gewählt und den Gürtel auf Empfehlung der Verkäuferinnen in der Bethlehemer Einkaufsmeile zu einem Kopfschmuck umfunktioniert und das Ganze dann mit Stecknadeln auf dem Kopf zusammengebastelt.

Der Effekt war ganz ansehnlich. In der Synagoge, am Abend, beim Lesen der Esther-Rolle, waren die Reaktionen zumeist als „Begeisterung“ zu deuten; viele waren überrascht, denn wenn sich bei uns jemand als „Araber“ verkleidet (und das taten in diesem Jahr bei uns und generell im ganzen Land sehr viele), dann ist meistens die Keffiyah das Hauptkleiderstück, und dann natürlich die Beduinenroben, aber

keine „palästinensische Nationaltracht“. Ich denke, im Allgemeinen kann man alle Reaktionen zusammengezählt (frühmorgens in der Siedlung;in der Synagoge; auf der Bushaltestelle; bei der Party; bei Freunden; auf Facebook) als „Faszination“ beschreiben. In meinen Augen auf jeden Fall etwas Positives – trotz zusammenstoßender politischer Narrative und Realitäten sollte Traditionen Respekt gebühren. Und wann sonst kann man als festlich gekleidete arabische Bauernfrau in einer Siedlung herumlaufen, wenn nicht an Purim? 😉
Das Feiern erledigte ich dann in Teko’a, einem Großort (die größte Ortschaft der Regionalverwaltung Gush Etzion mit ca.3700 Einwohnern) im Osten der Gush Etzion-Region, an der Grenze zur Judäischen Wüste. Teko’a ist bekannt für seine gemischte, sprich säkular-religiöse Einwohnerschaft, für interessante und kontroverse Persönlichkeiten wie der Rabbiner Menachem Fruman, für seine Musik- und Bierfestivals – und für Parties. Neben allen

möglichen anderen Veranstaltungen am Samstagabend (11.03) wurden zwei Ladies Only Feiern organisiert, zwischen denen ich mit meiner Freundin Netta aus Bat Ayin (Gush Etzion) bis etwa zwei Uhr morgens pendelten. „Ladies Only“, das heißt natürlich Zutritt für Männer verboten, aber es heißt keinesfalls Langeweile. Eine DJ unterhielt eine der Parties, die einer verrückten Disco-Nacht für Mädels zwischen 15 und 55 ähnelte, mit einem beeindruckenden Mix aus neuesten Charthits aus Israel und der Welt, hebräischen Folksongs und religiös adaptierten Schlagern; es gab Henna-Malerei auf Hände und Füße und künstlerische Gesichtsschminke und eine Menge Alkohol im Angebot. Auf der zweiten Party gab es eine etwas „heimischere“ Atmosphäre und dort wurden Wein und Gemüse mit Tahini-Sauce umsonst angeboten – Musik natürlich inklusive (aber keine künstlerischen Extras). Um etwa Mitternacht formierte sich ein Kreis aus den tanzenden Frauen und gemeinsam summten und sangen wir eine Weile umarmt; die einen beteten, die anderen drehten Piruetten im Raum und wieder andere standen still und ließen den Feiertag in ihre Seele hineinsinken.

Das Feiern ging bis in die frühen Morgenstunden hinein und Netta und ich hatten irgendwann beschlossen, heimzufahren. Zu schlafen schaffte ich es nicht mehr – am Morgen musste zum zweiten Mal die Esther-Rolle gelesen und dann die Geschenke verteilt werden, ein Festmahl musste auch gegessen werden – und dann konnte man sich etwas ausruhen. Das Wetter war nicht sonderlich fröhlich – kalt und windig und ein Staubsturm fegte an diesem Tag durchs Land. Aber alles in Allem war die Stimmung überall positiv und festlich.
Leider habe ich aus Teko’a keine besonders gut gelungenen Bilder, aber solltet ihr euch eine Vorstellung von der Purim-Feier und Festumzug in der jüdischen Gemeinde in Hevron machen wollen – fernab der hässlichen Schlagzeilen und Verleumdungen, mit welchen die internationale Presse die Juden Hevrons regelmäßig bedenkt – dann schaut in die Galerie meines Freundes Shmuel Mushnik, eines Malers und Touristenführers aus Hevron, hinein – hier. Ein paar Beispiele aus der Galerie findet ihr nachfolgend. (Achtet auf das Bild mit den Mädels in Keffiya neben dem im Kopftuch mit roter Jacke – diese hatten sich als „europäische Friedensaktivistinnen“ in Hevron plus verkleidet, die regelmäßig den schon recht angespannten Alltag durcheinanderbringen und die Bewohner provozieren.)
Auf dass auch nächstes Jahr es ein so ausgelassenes Purim-Fest gibt!
die tracht steht dir ausgesprochen gut!
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Sagenhaft, was so ein Köstüm ausmacht! Ich hätte Dich nicht
erkannt, liebe Chaya! Da kommt Dein hübsches Gesicht sehr
schön zur Geltung! 😉
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