Anhalterfahren mit Avi

Wie ihr sicherlich schon wisst, fahren wir ‚Siedler‘ per Anhalter und wer ein Auto hat, bietet anderen Wartenden eine Autofahrt an.

Am Morgen des 23.Novembers fuhr ich in die Universitaet, die ca. 80 km von mir entfernt liegt, mit einem Mann namens Avi, mittleren Alters, aus der Siedlung Ateret in Suedsamaria (ueber diese Gegend habe ich hier berichtet). Sein Auto, ein alter Citroen, der wohl schon vieles im Leben gesehen hatte, war mit allerlei Werkzeugen und Kartons gefuellt. Er schlug mir vor, mich zur Ausfahrt aus Jerusalem zu bringen, um von dort einen Bus zu nehmen, bot mir ausserdem Kuchen an und da ich mich als eine eine Einwohnerin von Gush Etzion outete, begann er mich zum Terroranschlag aus der Kreuzung auszufragen, der sich einen Tag zuvor, am 22.11.15 ereignet hatte: „Wo ist die Suesse denn ermordet worden?“ (Das Maedchen, Hadar Buchris, kam aus der Stadt Zfat, war 21 und war auf der Suche nach einer WG in der Siedlung Bat Ayin).
Wir sprachen ueber Gush Etzion. Es hatte heute einen grossen Stau an der Kreuzung gegeben, denn neue Kontrollmethoden waren eingefuehrt und alte verstaerkt worden  – das alles nach dem Terroranstieg. „Es ist eine sehr gefaehrliche Gegend hier, die meisten Angreifer, soll deren Name ausgeloescht sein, kamen von hier“, sagte Avi. „Aber man sagt doch immer, Samaria waere eine viel gefaehrlichere Gegend!“, entgegnete ich. Tatsaechlich, wenn man Einwohner in Judaea fragt, was sie denn vom Leben in Samaria halte, wuerden die meisten sagen, dort sei das Leben viel risikoreicher.  Avi aber lachte bitter auf: „Wie es so schoen heisst, ‚jedem seine Araber‘. Diese sind bescheuert und jene sind noch bescheuerter.“

Avi fragte mich, was ich studierte. Ich erzaehlte ihm von meinem Studium der Nahostwissenschaften: „Ich studiere auch Arabisch.“ „Ich kann Arabisch, ich bin immer von der Sprache umgeben gewesen“, erzaehlte mir Avi. „Ich bin auch Jemenite [sprich, Jude jemenitischer Herkunft] und hatte immer mit der Sprache und den Leuten zu tun. Ich war in der Armee bei der Fallschirmspringereinheit, da musste man Festnahmen in Libanon durchfuehren, da hat mich mein Kommandeur immer hingeschickt, um sich mit den Leuten zu verstaendigen.“

Autobahn 443 Richtung Landeszentrum. Quelle: mcity.co.il / Menachem Bentov
Autobahn 443 Richtung Landeszentrum. Quelle: mcity.co.il / Menachem Bentov

Avi, so stellte sich heraus, dient noch immer im Reservedienst und ist auch im Notrufkommando seiner Siedlung taetig, in der er schon 22 Jahre wohnt (euch interessiert, was es mit dem Notrufkommando auf sich hat? Hier gibt’s mehr). Von Beruf ist Avi Vertriebsagent einer Verpackungsfirma. Auch waehrend er sich er mit mir unterhielt, antwortete er auf Arbeitsanrufe.
‚Der Wehrdienst macht mir Spass“, sagte er, „was soll man machen, Gott wird uns helfen“. Neben dem Beifahrersitz hatte er ein grosses Gewehr liegen, das jeder, der in einem Notrufkommando dient ist, bei sich tragen muss.
Er fragte mich ueber das Studium aus und ueber Arabisch im Besonderen. „Ich mag die arabische Sprache“, sagte er. „Die geschriebene ist aber schoener als die gesprochene“, erwiderte ich. „Kannst du es schon ein bisschen sprechen?“ Ich verneinte lachend, soweit war ich noch nicht.

Ateret, Modiin, und auch Jerusalem und Ramallah - alles auf einer Karte
Ateret, Modiin, und auch Jerusalem und Ramallah – alles auf einer Karte

Avi fuhr schnell.  Die Atmosphaere im Auto war angenehm, Avi plauderte gern und war ein netter Mensch. Den Kuchen, den er mir angeboten hatte, hatte ich schon aufgegessen.
Wir fuhren weiter als Jerusalem, ueber den Streckenabschnitt 443 durch Suedsamaria/Binyamin nach Modiin, einer Stadt westlich von Jerusalem, dort wuerde ich einen schnelleren Bus nehmen. „Kommt dir gelegen, dass ich dir angehalten habe“, schmunzelte Avi. Bei der rasanten Abfahrt auf der Autobahn 443 Richtung Tal belegte es mir die Ohren. Die Berge von Binyamin sind hoch, wir stiegen von 800m auf 200m herab.

Bevor Avi mich absetzte, fuhren wir noch zur Tankstelle. Avi war gut gelaunt und locker und freute sich, mir geholfen zu haben. Auf ein solches Gemuet treffe ich haeufig bei Leuten aus den Siedlungen.

Beim Abschied wuenschte mir Avi, ich solle viel Arabisch ueben.

2 Kommentare zu „Anhalterfahren mit Avi“

  1. Schöne Geschichte, passt so gar nicht zu dem, was in den Medien über „Militante Siedler“ berichtet wird. Freundliche, warmherzige Menschen, die auch noch anderen helfen – schon per Anhalter fahren, ist in D deutlich schwieriger. Ich fand Autofahren in Israel sehr anstrengend. Extrem viel Verkehr, in der Stadt kaum Parkplätze zu bekommen. Hab noch ein Park-Ticket offen, dass ich in Jerusalem am letzten Tag bekommen hab – ich fürchte, bei meiner nächsten Einreise werde ich gleich verhaftet. 😉

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    1. unbesorgt…
      „Hab noch ein Park-Ticket offen,…, ich fürchte, bei meiner nächsten Einreise werde ich gleich verhaftet.“
      So ähnlich wie dieser Mann, dem man das Überziehen der Ausleihfrist einer Videokassette mit angedrohter Haft in Erinnerung ruft? (Videokassetten, das gibt’s noch?)
      Hoffentlich -im Gegensatz zu dem Videoverleih- existiert der Staat Israel noch bei Deinem nächsten Besuch! Und dafür wirst Du doch gerne eine Verhaftung in Kauf nehmen?
      Natürlich nicht ohne angemessene Gegenwehr, versehentlich abgeschossene Kugel mit den Zähnen fangen und entwaffnend lächeln, und so… 😉

      Chaya,
      Danke für die nette Anhalterfahrt.
      (Die letzten ~300 Jeminiten wurden vor einigen Jahren ausgeflogen, nicht wahr? Man hatte noch einen kleinen jüdischen Jungen entführt. Wurde er jemals befreit?)
      Nu, auf Reisen kann man viel lernen. So reise ich immer mal wieder gerne in Deinen Blog.
      Gute woch!

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