…einfach mal daheim zu sein.

Das Leben am Rande eines kleinen Dorfes, wo jeder jeden kennt, wo jeder miteinander spricht, wo sich nach Sonnenuntergang kaum einer auf der Straße zeigt, wo man im Schlafanzug und Pantoffeln bei den Nachbarn einen Besuch abstatten oder einfach ein Buch auf der Anhöhe lesen kann, wo man am Morgen mit einem Schrei eines Esels geweckt wird und auf dem Arbeitsweg über eine Ziegenherde stolpert – an so einem Ort hat das Leben einfach eine andere Qualität. Einen ganz persönlichen Rhytmus. Aus diesem kommt man raus, wenn man schon etwas mehr als einen Tag in einer niemals ruhenden, brodelnden Metropole wie Tel Aviv verbringt.
Und kommt man dann nach einer Tel Aviv-„Tauchfahrt“ zurück in die gemächtigen Berge Judäas, so ist man nicht nur eine ganze Berg- und Talfahrt von der westlichen Landesgrenze entfernt, sondern auch in einer ganz anderen Welt angekommen. Dort leben genau dieselben Staatsbürger unter demselben Recht und sprechen dieselbe Sprache und haben dieselben Wurzeln. Aber einander wirklich kennen – das können nur wenige von sich behaupten. Und verstehen? Bis dahin ist es leider noch sehr weit. Insbesondere die diesjährigen Wahlen haben mir gezeigt, wie sehr sich die israelische Gesellschaft gern in „Lager“ spaltet, dann hinter dem eigenhändig aus Prinzipien und medialer Meinungsmache errichteten Zaun dieses „Lagers“ hockt und auf die Nachbarn mit faulen Tomaten wirft.
Und ganz abgesehen von der politischen Identität der Bevölkerungsschichten Tel Avivs und Judäas – der Lebensstil, das Lebenstempo, selbst die Ausdrucksweise, die Angewohnheiten – sie sind, ja, anders, und gegenseitig eher ausschließend als integrierend, in einem gewissen Sinne. Und weil ich mich persönlich mit einer Seite stark identifiziere, so fällt mir die reibungslose Integrierung in die Tel Aviv’sche Umgebung schwer. Die Umstellung auf Großstadt und zurück ist ein Erlebnis für sich.
Und aus Tel Aviv in Alon Shvut angekommen, gewöhne ich mich langsam wieder an den Anblick der Karavans, an den freien Himmel, an die Stille und an den Schlafanzug-Spaziergang zum Nachbarn.
Graufell deutete das an, was ich fühle.
Ist man in der Einsamkeit des flachen Landes, dann fühlt man den Drang nach draußen. Umgekehrt ist es umgekehrt. 🙂
Da ist man am Rande der Stadt am besten aufgehoben. Man hat beides.
Übrigens die Reichen wussten das immer schon. Sie wohnten in Berlin am Rande, in Dahlem und Wannsee, weil sie auch noch die Hauptwindrichtung, wegen der guten Luft beachteten, im Westen der Großstadt. Dahin kam die frische Landluft und nicht der Stadtmief, wie im Osten Berlins der Wohngegend der Ärmeren.
Nachdem ich 1993 in Israel war, kam mir das ganze Land wie ein einziges großes Dorf vor. Das ist nicht beleidigend gemeint. In Windeseile fuhr man durch das ganze Land. Vom Meer zum Jordan – ein Katzensprung.
Jeder kannte jeden immer, auch damals schon, das Telefon am Ohr. Wenn irgendwo jemand einen „Pub“ ließ, „roch“ man es gleich im ganzen Land.
Liebe Chaya, so wie Du wohnst, ist es ideal. Zur Arbeit hast Du es auch nicht weiter als jemand in Berlin. Meine Tochter braucht innerhalb Berlins 40 km bis zur Arbeit.
Ach so, meinen Nachbarn, in einem Mietshaus besuche ich nur in Schlappen und manchmal auch im Schlafanzug. 🙂
Herzlich, Paul
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Das hast du sehr schön beschrieben. Ich lebe nicht weit von Berlin entfernt auf dem Land und mancher Nachbar hat sogar noch freilaufende Hühner. Es lebt sich hier meistens ruhig und entspannt, aber manchmal fehlt sie mir doch, die Großstadt.
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Liebe Chaya,
eine sehr poetische Darstellung eines weit verbreiteten Problems.
Irgendwie haben wir ja alle unsere Wurzeln auf dem Land, Metropolen sind erst gewachsen durch den Zuzug vom Land. Bei euch kommt dann noch die von Dir beschriebene Bildung von Lagern dazu. Obwohl man doch eigentlich aufeinander angewiesen ist.
Genieße die Tage in Alon Shvut
Friedrich
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