Frühling ist da, Pessach ist da*

Nach anstrengenden, erschoepfenden, aber ergiebigen Wochen ist das Weltreinigen zum Ende gekommen. Der Feiertag Pessach, der die nationale Geburt des juedischen Volkes, den Auszug aus der (selbstverschuldeten?) Unmuendigkeit hinaus in die Freiheit, ins eigene Land und mit eigenem Schicksal symbolisiert, steht vor der Tuer. Den Namen des Festtages sowie die Tradition des „Fruehlingsputzes“ haben andere Religionen und Gesellschaften uebernommen; doch die einzigartige Freiheitsbotschaft und „Geburt“ einer neuen Realitaet in dieser Welt – der der Gottesnaehe, der direkten Leitung von Schoepfer zu Menschheit durch die Gesetze und Anweisungen fuer das „hauseigene“ Volk, besitzt keine von ihnen. Denn nebst allen Assoziationen von Erneuerung, Befreiung und Hoffnung hat das juedische Pessach-Fest eine direkte Botschaft an den Juden, der dies zu begehen und zu feiern angewiesen ist:

„Jeder Mensch soll sich sehen, als sei er persoenlich aus Aegypten gezogen“ (Talmud)

Das bedeutet, dass fuer Juden und Juedinnen auf der ganzen Welt, zur selben Zeit, dieser Tag einen Neubeginn des Zyklus bedeutet, welcher ihr Sein ausmacht – ihre Religion, Zugehoerigkeit, Aufgabe in dieser Welt. Hier ist der Anfang. Hier der Ursprung. Von hier haben wir angefangen, alle gemeinsam zu gehen, und wir halten noch immer an denselben Haenden, sind die Glieder einer immer laenger werdenden Kette. Und wir glauben noch immer an dieselben Ideale, sie haben uns herausgebracht in die Freiheit, uns den Weg gefuehrt bis heute – wir bleiben ihnen treu.
Auch die Gebote fuer dieses Fest angeht, welches seinen Beginn in einem eiligen Mahl mitten in der Nacht, unter der staendigen Furcht vor der Reaktion der Aegypter, im Angesicht der Schrecken, die deren Land fuellten, und in der Aussicht auf eine Befreiung aus der unertraeglichen Sklaverei hinaus in ein Unbekanntes –  mit einer brennenden Hoffnung auf endlich einem Lichtstrahl in der jahrhunderte waehrenden Dunkelnheit -, gesehen hat, deuten auf das oben Genannte. Pessach ist ein Familienfest. Rund um den Globus, religioes oder ganz in einer anderen Welt, versammeln sich diejenigen, die sich als Teil des juedischen Volkes sehen, zusammen mit der Familie und erzaehlen von „damals“ – von Sklaverei, Befreiung, Gott, Neuanfang. Es bindet alle zusammen. Das hastige Mahl, „mit den Guerteln um die Hueften gebunden und dem Wanderstab in der Hand“, wie es in der Tora heisst, mit einem unfertigen Brot, woraus spaeter das alljaehrige Mazze- Brot wurde (wer kann sich angesichts der heutigen stylischen Kraecker daran erinnern?), wurde fuer Generationen verewigt – als Auftrag, nicht als Erinnerung. „Jeder Mensch soll sich sehen, als sei er aus Aegypten gezogen“. Auszug aus Aegypten ist kein einmaliges historisches Ereignis und damit hat es sich; Auszug aus Aegypten ist eine Berufung. Denn wir sind verpflichtet, die Lektionen daraus tagtaeglich aufzugreifen und zu verwirklichen. Freiheit zu bekommen, heisst Verantwortung zu uebernehmen. Verantwortung ist lebenslange Verpflichtung. Und genau das feiern wir. Den Preis der Freiheit, der unserem Leben als Juden, als Menschen einen Sinn gibt.


Nach diesen wenigen Worten zum Feiertag moechte ich euch kurz zeigen, wie die letzten Vorbereitungen bei uns in der Siedlung ausgesehen haben. Ausser dem Pessach-Putz, bei dem alles ungefaehr auf den Kopf gestellt wird, um es nicht nur von gesaeuerten Kruemeln, sondern ueberhaupt von jedem organischen Material zu befreien, gibt es noch einige religionsbedingte Aufgaben, die man erfuellen muss. Das macht man bei uns, weil wir ja eine kleine Gemeinschaft bilden, alle zusammen, auf dem Hauptplatz im Ort.

Das Eintauchen des Geschirrs, Alon Shevut, 2016
Das Eintauchen des Geschirrs, Alon Shevut, 2016

20160421_182820Das Metall- und Glasgeschirr (Toepfe, Besteck, Tassen, Teller etc) muss vor Pessach nach gruendlicher Saeuberung in kochendes Wasser eingetaucht werden, damit es jeden Geschmack des Gesaeuerten herausbekommen kann. Gasherd-Platten und Ofengitter werden mit einem Bunsenbrenner durch den Hardcore-Prozess gefuehrt. Bei uns haben es drei grosse, rüstige junge Maenner uebernommen, die an einem grossen Tisch neben grossen Wasserkesseln mit Eisenstangen standen und jedes Geschirr entgegennahmen. Eingetaucht haben sie es in einem hitzefesten Plastikkorb.

Alon Shevut
Alon Shevut

Auf demselben Platz wurde auch eine „Gesaeuertes-Messe“ durchgefuehrt – allerhand Brot, Chips, Falafel, Getreidewaren wurden von Kindern zum Billigpreis verkauft; Kinder und Eltern fuellten den Platz und wohin man sah, jeder kaute irgendwas. Kinder-DJs spielten froehliche Musik.20160421_183349 20160421_183440

Am Tag danach, ab einer bestimmten Uhrzeit, ist es von der Tora verboten, Gesaeuertes zu essen oder ueberhaupt im Haus zu haben. Die Ueberreste werden verkauft (an Nichtjuden, und dann zurueckgekauft, kompliziert, erklaere ich nicht 🙂 ) oder weggeschmissen/verbrannt. Verkaufen oder weggeben ist 20160422_114753natuerlich die bessere Option, obwohl das Gesaeuerte schon jahrhundertelang dieses Schicksal ereilt, und daher braucht man sich nicht darueber aufzuregen. Ich habe beschlossen, die meisten meiner „nichtkoscheren“ Produkte an benachbarte arabische Familien abzugeben; diese Initiative wurde von den Aktivisten des lokalen „Shorashim/Roots“-Friedensprojekts (hier wird darüber erzählt) vorgeschlagen, und einige haben sich dieser Option angeschlossen (andere reagierten darauf ablehnend).

Und nach dem Ganzen – den Reinigungen, den Geboten – macht mam sich fertig zum Fest, raeumt alles wieder ins nagelneue Haus ein und wartet auf die „Sedernacht“ (woertlich – Nacht mit einer bestimmten Ordnung).

Ganz entsprechend der Tradition und den eigentlichen Umstaenden bin ich den ganzen Tag und insbesondere diesen Abend „in Eile“, weil ich erneut zuspaet gewesen (wer mich kennt…). Statt ruhigen Feiertags- und Shabbatbeginns musste ich hin und her fahren und rennen, um ueberhaupt zu irgendjemandem an diesem Tag zum Abendessen anwesend zu sein. Zum Glueck gibt es Taxis. Urspruenglich war zwar Samaria bei mir geplant…..aber man weiss nie, wo man ankommt, wenn man einmal aus Aegypten zieht…am Ende bin ich doch noch daheim.

Hag Sameach ve Kasher!!

*Die Überschrift stammt aus einem bekannten Kinderlied, kann man hier nachhören:

13 Kommentare zu „Frühling ist da, Pessach ist da*“

  1. Gestern habe ich noch ganz in Eile den Post hochgeladen; jetzt ist er korrigiert und es gibt auch Bilder – bitte um Nachsicht für die erste „unkorrigierte“ Lektüre!

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  2. “Jeder Mensch soll sich sehen, als sei er persoenlich aus Aegypten gezogen” (Talmud)

    Jeder Mensch oder jeder Jude? Bitte mir diese Textstelle im Talmud genau zu übersetzen! Danke

    Gruß Steph

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    1. בכל דור ודור חייב אדם לראות את עצמו כאילו הוא יצא ממצרים
      In jeder Generation muss der Mensch sich sehen, als sei er aus Ägypten gezogen. So steht es laut den Worten unserer Weisen im Talmud in der Pessach-Hagada.

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      1. Der Talmud ist der Abgesang der reinen jüdischen Thora! Mit dem Talmud hat sich das thoratreue Judentum genauso von G“tt verabschiedet, wie das Christentum mit der katholischen Kirche! Den Talmud kannst du in der Pfeife rauchen!! shalom!!
        S.B.-H.

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      2. Danke für deine unqualifizierte Meinung, auch diese ist hier legitim, wenn auch nicht gerade erfreulich.

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      3. Ob meine Meinung unqualifiziert ist oder nicht, das diskutiere bitte mit Bibelwissenschaflern, aber nicht mit Rabbinern oder Pfaffen! Ich habe meine Meinung dazu geäußert und Fakt ist, dass die Realität des rabbinischen Judentums ca. 1500 Jahre Verfolgung, Antijudaismus und diesen nationalistischen „Blaupausenclown“ Antisemitismus zur Folge hatte!! https://www.youtube.com/watch?v=rYF7opH-9do

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  3. Danke Dir,liebe Chaya,für die Erklärung von Pessach. Zwar kenne ich die Geschichte vom Auszug aus Ägypten seit meiner Kindheit,aber die Aktualität für jeden von uns heute Lebenden–das hast du wunderbar beschrieben. Wie denkst du darüber,daß ich , obwohl Nichtjüdin, mich da einbeziehe? Ich habe von meinem Vater,der evangelischer Theologe war,sehr viele der Geschichten aus dem –wir sagen:Alten Testament–
    hochdramatisch und anschaulich erzählt bekommen,davon zehre ich heute noch.Und vieles spricht mich direkt an,besonders eben die Erzählung vom Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit.Der Unterschied zu Dir (z.B.) ist,daß es für mich mehr eine individuelle Erfahrung ist,ohne Verbindung zu meinem Volk. Ein ganz klein wenig könnte ich fast neidisch sein auf diese feste Verbundenheit ,wenngleich ich weiß,welch hohen Preis diese hatte und noch immer hat.Ohne dieses Volk Israel wüßten wir nichts von Gott,und darum sollten alle Christen Israel -im Sinne von „Kinder Israel“,also den Juden, ewig dankbar sein und sie ,als die „Auf-den Weg-Helfer“ ehren und achten.
    Gesegnete Festtage!
    Elisabeth

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  4. Hab herzlich Dank, liebe Chaya, dass Du uns – nur ein wenig Eingeweihte – teilhaben lässt an dem, was Dir und Deinem auserwählten Volk zu Beginn Eures großen Festes so wichtig geworden ist! Es ist immer wieder erfrischend, Deinen Gedanken nachzusinnen.

    Vielleicht wird es Dich erfreuen, dass wir hier, einige Christen der Stadt Schönebeck an der Elbe, gestern zur selben Zeit wie Ihr, versucht haben, mit den wenigen russischen Juden, die nun hier seit der „Wende“ neue Heimat gefunden haben, den Sederabend gemäß der jüdischen Tradition zu begehen, wie beispielsweise mit dem Lehren der vier Kelche Weines, mit dem Verstecken des Afikumens und der Suche danach und mit den vier Fragen des Kindes nach dem Sinn der Tradition. Uns ist wichtig geworden, dass Ihr Juden dieses Fest nicht nur für Euch feiern sollt, sondern dass auch wir Christen lernen sollen, es mit Euch zu feiern.

    Da die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion
    es schon fast vergessen hatten, wie ihre Feste zu feiern sind, bemühen wir uns, diese, wenn auch ein wenig lehrhaft, mit ihnen neu zu feiern. Und, wenn auch bewusst zaghaft, fügen wir an manchen Stellen an, was uns im Hinblick auf das ewige Passahlamm, Jeshua Hamashiach, beim Begehen dieses Festes so wichtig geworden ist. Wir haben ja hier das große Glück, dass die zur Kristallnacht geschändete Synagoge mit Brandschatzung nicht abgebrannt ist und dass sie von Christen noch zu DDR-Zeiten liebevoll restauriert und als „Bethaus für alle Völker“ wieder schön hergerichtet werden konnte.

    Dir und Deinen Mit-Siedlern eine erfüllte Festwoche unter dem Schutz des Höchsten!

    Es grüßen die dankbaren Gottfried und Elisabeth Palm

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    1. Ich kann mich gut anschliessen an die Idee, dass sich alle Menschen ungeachtet ihrer Zugehörigkeit an den Schöpfer wenden; jedoch wende ich mich entschieden und in jeder Form gegen eine Hinzufügung von christlichen Theologieideen zu jüdischen Festtagen und Traditionen, lieber Gottfried. Das riecht mir stark nach Mission, insbesondere gegenüber Ungelehrten und leicht beeinflussbaren Menschen wie den russischen Juden (zumeist Älteren), welchen aufgrund des brutalen Kommunismusregimes ihre gesamte Kultur und Religion entwendet worden war. Auch in Köln hatten wir Gemeinschaften, die mit der einen oder anderen Absicht versucht haben, Juden „ihre Religion“ nahe zu bringen, und dabei christliche Motive haben einfliessen lassen. Unsere örtlichen Rabbiner haben vor diesem Tun gewarnt. Jesus ist für uns kein Messias, seine Lehre hat für uns keine Bedeutung, und die christliche Absicht, Juden zu missionieren, ist eine Beleidigung unserer Gemeinschaft und stellt eine grobe Verletzung des guten Tons dar, außer dass es natürlich ein strenges Verbot für uns darstellt. Daher bin ich eher traurig, darüber zu hören. Denn für Juden gilt – besser ein ungelehrter und unwissender Jude, als einer, der einem fremden Dienst nachgeht und damit in die Irre geleitet wird. Tut mir leid, wenn meine Geradlinigkeit dich verletzt haben sollte, das ist nicht die Absicht.

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      1. Liebe Chaya, ich fühle mich keineswegs verletzt, vielmehr achte ich Deine Aufrichtigkeit. Die Last des Judenhasses meines deutschen Volkes, ja des Großteils der christlichen Kirchen in den Jahrhunderten, lastet täglich auf meinem Herzen. Ich sehe die zunehmende Christenverfolgung nicht nur in den islamischen Ländern, sondern auch in den westlichen und vermute, dass der einzig wahre Gott, der Gott Israels, solches zulässt, damit der Fluch der Feindschaft langsam überwunden und endlich das lang ersehnte und von den Propheten vorhergesagte Friedensreich mit dem Zentrum in Jerusalem zur Erfüllung kommen kann.

        In Jesus Christus dürfen wir Christen endlich wieder den König der Juden und somit das jüdische Volk ehren, sofern wir unsere Bibel wirklich ernst nehmen.

        Bei einem Arbeitseinsatz der sächsischen Handwerker im Altenheim in Haifa vor drei Jahren durften wir das Wunder erleben, dass die vom Holocaust geschädigten Insassen eine liebevolle Zuwendung durch deutsche Christen nicht mehr als Bedrohung, sondern als ein Stück innerer Befreiung erlebt haben. Unser Geheimnis ist, dass der Sühnetod Jesu für die unermessliche Schuld der Deutschen ausgereicht hat, um ein solches Wunder zu wirken.

        Hag Sameach!

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      2. Werte Chaya,

        das Brot und der Wein der christlichen Messe sind auch unfermentiert. Und das haben sich die Christen keineswegs ausgedacht. Das haben sie von Euch Juden übernommen.

        Und wenn Du es genauer wissen willst: Der Papst als Oberhaupt der Christen hat weniger mit dem Pontifex Maximus der Römer, und eher mit dem Kohen Gadol der Juden.

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